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Autorenbuch Dieter Schlesak Tunneleffekt UNEINLÖSBARKEIT, VERMESSEN – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dieter Schlesak

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UNEINLÖSBARKEIT, VERMESSEN


Ich hatte im Buch eines florentinischen Freundes,
des Therapeuten F. über diese absolute 
Uneinlösbarkeit gelesen, und dabei äußerst
Vermessenes über Celan, Lichtenberg und
Aristoteles gedacht. Mehrere Personen, in
verschiedenen Zeiten verschieden, lassen sich
trotzdem vergleichen, und  ergeben ein Drama,
das Erkenntnis sammelt.  

Celans Selbstmord am 20. April 1970 in der Seine,
ein ande¬rer aber, Lichtenberg, der in Stade 1773
dem Vermessungsauftrag des königlichen
Ministeriums aus Hannover nachging, hart am Ufer
der Schwinge wohnte, ihren Gezeitenverlauf aus
dem Fenster beobachtet, und darüber nachdenkt,
wie er, der dies beschreibt, sich eben deshalb nicht
ersäufe, was aber Aristoteles auf der Flucht vor
dem gleichen Gifttod tat, den sich  Sokrates in
Athen selbst geben mußte, ertränkte sich in der
engsten Stelle des Golfes, Euripos, wo er Strudel
und Strömung in ihrer komplizierten Periodik
(sechzehnmal die Wechselströmung am Tage)
beobachtete, aus Verzweiflung tat, sich also in der
Nichtlösbarkeit der Aufgabe ertränkte, flüssig
wurde, sich auflöste für immer.

Wie ein anderer im Feuer des Ätna  - viel später
auch tat, weil er nicht erkennen konnte, was da
und weshalb es so vorging, was Lichtenberg, der
Landvermesser und Aufklärer in Stade,  aber nicht
tat, sich nicht ertränkte. Er hat es in einem
Brief an Joel Paul Kaltenhofer am 14. Juni 1773
so begründet: Hätte nämlich der Aristoteles da
gewohnt, "wo ich jetzt sitze und schreibe, so
hätte er seine Absicht, das Ersäufen meine ich,
gerade aus dem Fenster erreichen können".

"Aufklärung": - alles zu einfach, schrecklich
gelöst. Und sogar staatlich gesichert, wie
Lichtenberg, anders als der Landvermesser K.,
der im feindseligen Dorf nachts ankommen wollte
und doch nie ankam. Und ich gebe zu: daher kann
auch ich dies jetzt schreiben, gesammelt, da
ch nicht ankommen kann, es aber nicht weiß:

Im Lykeion, Theophrast, Aristoteles´ Nachfolger,
sagte schon Peter Huchel, vermaß sich nicht,
war traurig, wie ein Gedicht, und vermaß auch
nicht. Einer, der nachts in einem Dorf angekommen,
nirgends ankommen konnte, doch nicht so eindeutig
wie Aristoteles im Exil, der des Unglaubens
angeklagt, tatsächlich im Unglauben gefangen war,
an den er nicht glaubte.

Am 20. April 1970 hatte Paul Celan, dessen Mutter
in einem KZ ermordet worden war, in der Seine
Selbstmord begangen; so war er gelöst, aufgelöst
flüssig, von der Zeit nach dem Krieg aus dem
Erinnern zerstört. Und Erfahrung an der Grenze
unserer Vorstellung scheint genau so zu beweisen,
daß Erkennen und Verstummen in eins fallen, und er
so mit seinem Erkennen versinkt, die Trennung
aufhebt, die ihn umtreibt, sich auflösend mit dem
eigenen gequälten Kopf, in dem, was ihm
entgegen steht.

Heute aber, ja, heute wäre es ein Strudel außen,
ein Sund, der erst heute überbrückt, die angeblich
schon aufgehobene Trennung genau so außen und nur
außen aufhebt, wie sie außen ist , verbindend, aber
mauerlos elastische Konstruktion die 35 Meter zum
Ufer der Stade, das nicht mehr ist, sondern wie
die bisher einsame Insel nun zugehörig, kein
Rätsel mehr, Druckausgleich eben in der Komplexion
der Gezeiten, berechenbar:

Lichtenberg eben, wie Hans Blumenberg berichtet,
wie der Aufklärer bekannte, daß seinem Fürsten eben
genüge, wenn er bequem vermesse, und die Welträtsel
eben klein gemacht werden müßten, um sich dem
Ganzen, das nie erkannt werden kann, als solches,
zu nähern, es sei denn, man gebe sich selbst,
riskantes Vielleicht!

Besser eben - dem Fürsten eben ein Ingenieur zu
sein, sonst nichts, und so zu wissen, wo man steht
und liegt: auf der Karte, und wie spät es ist, gar
nicht im Sund oder der Seine - sondern in der Uhr,  
Rechnung, die aufgeht, regierbar die Welt, und wie
vermessen, daß wir es ausbaden wollen.

Das sagen die einen, die "Verständigen"; die andern
aber: Schreiben sei ein Versuch durch Kristallisationen
daraus ein therapeutisches Spiel zu machen,
orientierend eine Katharsis auszulösen, einen Boden
der Deutung und der Vernunft im Chaos.  

Der Augenschein ist das Gewesene. Bringe, sagtest
Du, bringe dir bei:  bringt die Illusion der
"festen Welt" mit ihrer Sprach-Hilfe zum Verwesen,
heb die Illusion auf.

Möglichen Widerstand leisten, sieh hier unter dir
immer noch die mörderische Masse des "Objektiven",
die Tyrannei. Die Kurzsichtigen dienen ihr lebenslang
- und verlieren das Leben! Den Hut ziehen sie
alle nur vor dem Tod.

Gott ist der Tod.

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