FIXPOETRY weiterempfehlen

 


Link: http://www.fixpoetry.com

Autorenbuch Dieter Schlesak Tunneleffekt 7 – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dieter Schlesak

Sollte Ihr Browser kein Flash unterstützen:

7


Unser Elend und die beim Formulieren und  Denken auftretenden Paradoxien rühren vom Zerschneiden der Erscheinungen,  also den "Trennungen" von Dingen und Erscheinungen, die eigentlich zusammengehören her; so etwa wie Leben und Tod zusammengehören! Wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengehören, gleichzeitig sind!

Die schlimmsten Verheerungen richten die Trennungen aber in der Geschichte an. Wunderbar hat dieses Alexander Kluge auf den Punkt gebracht: "Wenn das Leben sich nicht für die Wirklichkeit interessiert, ist Wirklichkeitsliebe nur von den Toten zu erwarten" (Neue Geschichten, 1977). Weil die Toten, die Opfer vor allem, diese Trennungen überwunden haben, die Absurdes, Unlösbares, ja, Tod erzeugen. Die Lebenden kommen immer zu spät, weil die notwendigen Verbindungen zum richtigen Zeitpunkt nicht hergestellt werden oder  (wegen der falsch gelenkten Abläufe - mit tödlichem Ausgang - ) meist nicht hergestellt werden können: " ... es ist durchaus unpraktisch, wenn die Erschütterung deutscher Familien, die im Jahre 1942 etwas Wichtiges für die Opfer in Auschwitz bedeutet hätte, im Jahre 1979 nachgeholt wird; denn heute ist es eine im wesentlichen unbrauchbare, nämlich zeitlose Form der Erschütterung."
Es gibt keine Wiedergutmachung. Die "Veränderung der Vergangenheit" ist eine  komplexe ja, eine enorme Aufgabe nicht "für" die Zukunft, sondern eine Aufgabe "der" Zukunft - und zwar jetzt, im gegenwärtigen Augenblick - daß ein ganz anderes, höheres Bewußtsein und Können  dazu nötig wäre - wir in unserer linearen Zeit daran zerbrechen müßten, leuchtet ein. Nötig wäre praktisch die Aufhebung der Zeit in parallelen Ebenen, was gegenwärtig im menschlichen Bereich hypothetisch nur die theoretische Physik – die Grenzwissenschaften, die Literatur und das Erinnerungsvermögen ermöglichen! Die Konsequenz wäre: das schuldhafte, vertane Leben zurückzuholen, indem eine radikale Veränderung der bisherigen Lebensweise, die auf lineare Zeit aufgebaut ist, stattfindet, die jederzeit die gleichen Greuel auf der Körperebene möglich macht, wie sie auch gegenwärtig (1999) vor unseren Augen geschehen!

Doch alles, was diese Körperwelt überschreitet, wird mit einem Tabu belegt; und die Mehrheit sieht nicht nur Lyrik als unsinnig an, sondern  alles, was nicht mit den Händen greifbar ist;  die Mehrheit geht den Verführern begeistert auf den Leim, die erklären, daß die mentale Persona nicht existiert, und die Bewußtseinsvorgänge nichts als neuronale Stoffwechselvorgänge seien, das Ich und das Selbst aber ihr Nebenprodukt, und also mit dem Tode verschwinden müßten.

So erscheint der Einzelne als sinnloses Tier, und das Endspiel-Todesbewußtsein im Leben, Absence aus der eigenen Existenz geht um, das Downerprogramm, so wird in diesen Niederungen jeder manipulierbar, die totale Tristesse macht alle frei verfügbar, man kann einen Pseudosinn anbieten, das Lustprinzip und uniformierte Heere von Konsumenten schaffen. Für Wenige bedeutet das unermesslichen Reichtum, für einige Wohlstand, für viele Armut, für alle aber letztlich und auf lange Sicht seelisches und körperliches Siechtum.

Doch: Port Bou: der Erschossene / läuft noch immer, und er/ kennt noch immer keinen Tod, / ein Nein nur// er lebt// Anderswo/ unvorgestellter Himmel// anders// als nur ein Mahnmal/ mit Geisterhänden nachts,/dieses große//  "Zu Spät"// ... (Für Walter Benjamin und das Berliner Mahnmal).

Im Begrenzten, Abgetrennten, gar Nur-Sichtbaren gibt es keine Auswege oder Lösungen. Heiner Müller formulierte es in seinem "Glücksgott" so: "Stehende Figuren (Götter, Denkmäler, Typen) sind als Katalysatoren brauchbar, wenn Erfahrung die Geschichte überholt hat ... wenn die Chancen vertan sind, be-ginnt, was Entwurf neuer Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten".

Im Grunde genommen hieße es, daß wir so nicht weiter leben können, wie wir bisher gelebt haben. Und dies wäre die einzig richtige Antwort!

weiterempfehlen

zurück

Autorenarchiv

  1. A
  2. B
  3. C
  4. D
  5. E
  6. F
  7. G
  8. H
  9. I
  10. J
  11. K
  12. L
  13. M
  14. N
  15. O
  16. P
  17. Q
  18. R
  19. S
  20. T
  21. U
  22. V
  23. W
  24. X
  25. Y
  26. Z