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Autorenbuch Dieter Schlesak Tunneleffekt 8 – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dieter Schlesak

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8


Da und zugleich Nicht-da-Sein in einem merkwürdigen Ungleich und Zugleich. Gegenwart ist also nie. Heimat ein Niemals, und  so auch der Zeitfluß Illusion. Glücklich ist, wer daran Abschiedsfähigkeit lernen  kann.
Schreiben geschieht an dieser Grenze des Todesbewußtseins in einer merkwürdigen Geborgenheit und Absence, wo etwas  Wesentliches, Intimes fest-gehalten werden kann!

Beim Schreiben nämlich geschieht das Zusammensetzen der BILDER in einem umgekehrten Prozeß, und das ist die Möglichkeit einer überrealen Probehandlung vor allem im Gedicht, die das Unzertrennte, Unzerschnittene wiederbringt; nicht der Zeitverlauf, sondern die  aufblitzenden Sequenzen sind zuerst da. Und in einem Aufblitzen und Einleuchten ziehen sie sich je nach Verwandtschaft und Sinn-Nähe an; das schafft höhere Lust, ist also ein gefühlter Wahrheitsbeweis. Und schafft einen andern Zeitverlauf, der kein Bruch mehr ist, keine quälende Unvereinbarkeit, sondern fiktiv ist, wie Einfälle und Intuitionen, die aus einem Bereich an der Grenze unserer Vorstellung kommen. Eine Übung, um etwas zu erreichen, was es nicht gegeben hätte, aber sein könnte, eine Menschenmöglichkeit, die verloren gegangen wäre, hätte sich hier nicht der Einfall den Weg in unsere Verständniswelt gebahnt; der Ein-Fall ist also wie ein Fakt, wie eine Stimme aus einer andern Welt, womöglich aus einer zukünftigen, postmortalen  Welt, wo es diese  Trennungen nicht mehr gibt.

TUNNELEFFEKT. Teilchen in der Realität, wie auch Sprachteilchen im Kopf sind nie genau auszumachen, Nie an einem bestimmten Ort, zeitverschoben,   niemand kann sie  festlegen nach vorgefasster Logik, denn sie haben auch "jenseits der Barriere eine gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit." Und das schönste daran sind die völlig unlogischen Überraschungseffekte, im Fragment, im Denkbild, im Gedicht, -  es scheint, als seien sie nun auch mitten in der  Realität anzutreffen und in der Geschichte: ein noch unerkanntes Prinzip der Bewegung,  wir aber mitten im Tunnel.

Wie aber trägt und erträgt der traditionelle Satz, der an eine traditionelle Logik gebunden ist, diese Erfahrungen? Man muß die Gedichte als  annähernde "Übersetzungen" ansehen, wo im Satz Erfahrungen dieser Art widerhallen. Eine neue Lyriksprache müßte geschaffen werden, die experimentelle Lyrik etwa die Pastiors, "umkehrt", umstülpt wie einen Handschuh, durch wirkliche Grenz-Erfahrungen ersetzt, die in jener am Formalen hängenden, spielerischen  Sprachumgebung meist fehlen.
 
Meine Ansätze  in diesem Band sind eher anekdotisch auflösend und das Unsagbare umkreisend mit der "normalen Sprache":

Auf dem Foto/ war nichts zu sehen./ Und auch das Zeichen verheilte/ leider zu schnell./ Überhaupt keine Kontur,/ kein transzendentales Souvenir./ Der Film aber, milchig  weiß,/ war überbelichtet.// Schallend lachten die Leute,/ die da nichts sahen./ Foto-Ironie, sagte ich./ Ja, - auch die Netzhaut/ müßte dies lernen. (Flug nach Haiti).

Ellipse, Interlinearversion, Metapher, Allegorie und Hinweis. Intuition,  Ahnung,  "Traumerinnerung" der Angst- und Todeserfahrung, die durchaus die Sprachgrenze überschreitet, wie die Mathematik und die Musik, sind die besten Instrumente dieses Meta-Klanges.

Ein "Ereignis " also wird im lyrischen Geschehen umkreist, denn durch welche Zeit des Verbums läßt sich dieses  Bewußtsein ausdrücken? -

Das hypnotische System/ löst sich langsam auf ...// Die Sonne auch wie das kleinste Herz*/ das Loch um uns/ im Auge läßt die Welt sich sehn/ und blinde Punkte blinkt sie uns zu. (Das hypnotische System...)

Vielleicht ist dieser quälende Todes-Zustand  der gegenwärtigen Welt sogar ein Augenblick der Wahrheit gegen die Sprache!  Es wird  als Zwiespalt empfunden, daß alles noch da ist und schon längst vergangen, ein Aufbrechen unserer Logik, von der auch die Sprache bestimmt ist?! Was wir sehen, das äußere Augenbild macht alles so alt und zwiespältig, denn das Andere, der Tod steht fest, daß wir hier einmal als Gast gewesen sein werden,  er ist schon in uns:

Steh still und atme noch// Ein Augen Blick war ganz bei ihnen/ kehrt jetzt zurück ich staune wieder/ daß ich noch bin. (Der Augenblick bricht auf).

Die scheinhafte Identität unseres Ich wird durchbrochen in parallele Zustände aufgelöst, die nicht im Vorurteilsraster unseres Zeit-Raum-Kausalität-Denkens aufgehen:

"Ich bin nicht ich.
Ich bin jener,
der mich begleitet und den ich nicht sehe,
den ich manchmal  besuche ... " ( Juan Ramon Jimenez)

Der Autor, das Ich oder die "Iche" werden in der neuen Lyrik aufgelöst, abge-schafft. Die Subjekte werden Opfer übergreifender Konstellationen neuer Sinneinheiten der Berührung, die die Wort-Höfe und "wirklichen" Augenblicke bieten. Das Opfer erweist sich als Geschenk und als Schlüssel für den Lebensverlust in diesem Gericht.
... du bist bei uns/ komm sei uns näher/ als dir bewußt. (Und hör die Stimme nur im Wort).

Und ich vermute, daß dieser Zustand, wo das wirkliche wie das  lyrische Ich nicht weiß, ob es lebt oder tot ist, heute generell als wichtigster ästhetischer Ort angesehen werden muß, als Apriori jedes Gedichtes (Wir sind so nah daß du/ uns gar nicht sehen kannst), Apriori aber auch jedes anderen Textes, der gegenwärtig ernst genommen werden kann! Das "EINE" - auch im Spiegel der Sprache - wird nämlich erst im Gedicht als Spiegel des neuen Wandlers anderer Ebenen von Existenz konkret sichtbar; es wird sinnlich faßbar, was nicht schilderbar war und nur intuitiv wirklich ist (wir sind in jedem Gras Halm/ den du siehst/ es ist dein Blick der ihn erschafft/ im Finger der bewegt/ und uns er-schafft), und erhält über dieses Medium des lyrischen Ichs eine faßbare  Gestalt.

Eine Übersetzung unserer eigenen Absenz im historisch Späten, das Gefühl, daß wir Abwesende und Posthume sind, ist heute das Grundgefühl nicht nur meines Gedichts. Ein Prozeß, der schon 1950 mit Becketts "Molloy" in der Literatur begann.

Das Ich ist im Zeit-Entzug angekommen. Mit dem Wissen des "zu Gast-Gewesen- Sein-Werdens" (Celan), mit dem wir heute leben, wissend, daß unser Zeitbewußtsein angelernt und Projektion ist, läßt sich die von vielen noch geglaubte "Wirklichkeit", nicht darstellen, nur „aufheben“! Erzählen aus jener andern  "Zeit-Ebene", wo Zeit aufgelöst ist, kann in unserer Sprache nur durch Interlinearversion oder metaphorisch eingesezt werden, Erzählen ist unmöglich, da weder die Subjekte noch die Sprache Lebens-Erfahrung mit jener anderen Ebene haben können,  es ist dies nur möglich mit der Todes-Erfahrung, die noch keiner hier, ohne Rekurs auf das Unterbewußtsein, haben kann, aber täglich im "kleinen Tod", also im Abgrund zwischen den vergehenden Sekunden erlebt. Das hier-gebliebene Bewußtsein der Personen aber erlebt es in seinen Abgründen sublim, intuitiv, als Traum-Ebene - in jenem Grenzraum, der durchgehend Lebende und Tote, die nie getrennt sind oder waren, im "Unbewußten" vereint, so daß auch die Beziehung Personen-Erzähler-Ich und lyrisches Ich - reales Ich  überhaupt möglich wird!

Der Herr der Welt bedrängt mich arg,
will aus dem Namen, der den Kopf
mir unentwegt beengt, doch was der Sprache
fehlt, gehört zu ihr, das Fehlen, DU, und
ICH entferne mich aus dem Kontext, dies
mein Gedicht das Fahrzeug JETZT euch
zu erreichen; bin müde, müde dieses
Herren, du bist nur in ihm noch
zu haben, doch hält er mich gefangen:

Druck Seiten schwarze kleine Augen,
nicht du, da liegt der Fehler, nicht des
Fehlens, das antreibt wie das Herz.
So schrei ich nachts den Namen, meinen
deinen an die leere Wand, schief hängt
daran dein Bild und Seines, das Loch
zu dir ein Fehler, und schuld und nichtschuld
an dem Winkel ist
die Müdigkeit der Welt.
(Petrarca in: Landsehn, Galrev 1997)

Es ist in unserer gespaltenen Welt insoweit   ein "Regressus", als es dieses Bewußtsein der Einheit tatsächlich  einmal gegeben hatte, das heute aber unmöglich scheint, verspottet wird, jedoch im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden  ist. Daraus entsteht die typische Bewußtseinsspaltung aller, die Freud einmal "Urteilsstreit" genannt hatte!

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