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Autorenbuch Elsa Rieger Acactl – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Elsa Rieger

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Acactl


Ben schwitzte.
Es tropfte in seine Augen, brannte. Mit der Machete trennte er einen Streifen vom Shirt ab und band ihn sich um den Kopf.
Und er stank.
Alle sagten, er solle nicht wochenlang ungewaschen herumlaufen. Er würde verrotten, verfaulen, unkten sie. Ben wusste es besser. Acactl wusste es besser.
Mit dem Rauchen war es nicht anders.
„Du bist erst achtzehn“, jammerte die Großmutter, „paffst drei Päckchen am Tag und bekommst Lungenkrebs. Warum putzt du nie deine Zähne? Sie werden dir ausfallen! Wasch dich wenigstens alle zwei oder drei Tage!“
Er kratzte sich zwischen den Beinen. Sie kapierte nichts! Beschützt von Acactl konnte er machen, was er wollte. Hundert Jahre würde er werden oder mehr, egal, was die anderen sagten.
Es war entsetzlich heiß im Dschungel. Die mannshohe Pflanze, die ihm im Weg stand, hackte er mit einem kraftvollen Schlag um. Zack! Schon lag sie am Boden.
„Nicht mit mir“, murmelte er, „keiner kann mich aufhalten, den heiligen Weg zu beschreiten.“
Saft tropfte aus den Schnittstellen. Sah wie Blut aus. Ben lachte.
Weiter. Er musste weiter. Zum Schamanentempel. In Bens linker Schädelhälfte meldete sich das vertraute Pulsieren. „Wenn du mir gehorchst, bist du unsterblich, egal, was du treibst.“ Acactl mochte nicht, dass Ben sich mit Kleinigkeiten aufhielt. Ben nickte und bahnte sich den Weg mit der Machete.

Gestern hatten sie seinen Geburtstag gefeiert.
„Du bist nun volljährig, mein Junge!“, sagte die Großmutter, als sie ihn besuchte. Sie weinte. Wahrscheinlich tat ihr leid, was sie getan hatte.
Er hatte bei ihr gelebt, seit dem Tod seiner Mutter vor sechs Jahren. Doch letzten Monat, aus heiterem Himmel, fuhr die Rettung vor.
„Du wirst niemals wieder glücklich sein, Oma! Acactl verflucht dich, denn du hast mich verstoßen!“ Er stampfte auf den Paneelen herum, die er während der Nacht von den Wänden seines Zimmers gerissen hatte. „Ich musste das tun, verstehst du das nicht, du alte Kuh? Hinter der Wand ist der Ausgang zum Tempel“, schrie er, während die Sanitäter ihn auf der Liege im Auto fixierten.

In der Klinik für Seelenfrieden liefen nur echte Verrückte herum. Er verdrehte die Augen als er an diesen Komiker dachte, der mit „Kaiser Nero“ angesprochen werden wollte. Lächerlich, wie auch ein gewisser Kurt, der von einer Panik in die nächste fiel, wenn er aufs Klo musste. „Meine Seele fällt mit der Scheiße aus meinem Körper raus“, schrie er andauernd.
Niemand verstand, dass Ben im Gegensatz dazu auf dem Weg der Erleuchtung war! Auf einer Techno-Party, bei der er Ekstasy probiert hatte, war Acactl in ihn eingedrungen. Seither wies er Ben an, beriet ihn. Er hatte ihm die Augen geöffnet. Auch über den Tod seiner Mutter. Alle logen ihn an. Es hieß, sie sei an einer Überdosis gestorben.
Acactl erzählte ihm die Wahrheit. „Sie ist abgehauen, weil sie keine Lust hatte, für dich zu sorgen.“
Ben wusste, dass er ihn niemals täuschen würde. Wütend schlug er einer Pflanze, die mit ihren Zweigen nach ihm angelte, den Kopf ab. Einen Moment wunderte er sich, woher plötzlich diese Einkaufsstraße mit den vielen Menschen mitten im Dschungel kam, dann verschwand sie aber wieder hinter den Urwaldriesen und Lianen. Er kämpfte sich weiter den schmalen Pfad entlang.
„Ist nur Einbildung, Ben. Du bist auf dem Weg zu meinem Tempel, um unsterblich zu werden.“
Ben lachte laut und schwang die Machete. „Logo. Wenn es bloß nicht so heiß wäre … außerdem habe ich Hunger.“
Acactl war ein großer Zauberer. Vielleicht der größte überhaupt, denn kaum hatte Ben den Wunsch geäußert, stand er vor einem Imbiss. Der Würstchenverkäufer wich zurück; bestimmt erkannte er die Macht, die von dem heiligen Mann in Bens Kopf ausging. Nachdem der Typ offenbar nicht in der Lage war, ihn zu bedienen, versorgte er sich selbst, nahm eine schöne Wurst vom Grill, klatschte Mayo und Ketchup ins Brötchen und griff nach einer Cola.
Ben fand einen bequemen, umgestürzten Baum, der fast wie eine Bank aussah. Es schmeckte ihm. Die Bude verschwand.
Acactl grinste, Ben spürte es genau. „So lange du an mich glaubst, ist alles gut, Ben. Und ich sage dir, du leidest nicht an paranoider Schizophrenie, wie sie dir einreden wollen. Alles Lügner.“
„Genau!“, antwortete Ben.
Sie wollten ihn vergiften. Vertrauensvoll hatte er einige Wochen die Pillen geschluckt. Dreimal täglich. Bald bemerkte er, dass er müde und dick davon wurde. Ab da verbarg er sie unter der Zunge und spuckte sie ins Klo, sobald der Pfleger das Zimmer verlassen hatte.
Weil er scheinbar so brav gewesen war, hatte Ben heute mit Oma die Klinik verlassen dürfen, um etwas Schönes von ihrem Geburtstagsgeld zu kaufen.
Unterwegs hatte ihm die Stimme den Auftrag erteilt, im Afrikashop eine Machete zu erstehen, damit er sich den Dschungelpfad frei schlagen konnte, der zum Tempel führte.
Kurzerhand entriss Ben seiner Oma die Handtasche und schmiss sie ihr vor die Füße, nachdem er die Geldbörse herausgenommen hatte. Er konnte viel schneller laufen als Oma, und schon hatte er Acactls Befehl ausgeführt.  

Als er den letzten Bissen in den Mund stopfte, wurde er von hinten gepackt.
Zurück in der Klinik schüttete Ben sich aus vor Lachen, als der Weißmantel sagte: „Ben, Sie haben heute mit Ihrer Machete zwei Menschen geköpft und drei weitere schwer verletzt. Wissen Sie das?“
Ben wischte die Lachtränen von seinen Wangen.
„Sie sind ab sofort auf der geschlossenen Abteilung untergebracht.“
Die Injektionsnadel piekste.
„Wir werden Sie nun ruhig stellen.“
„Was für ein Idiot“, flüsterte Acactl, der eintausend Jahre alte Aztekenpriester in Bens Kopf.

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