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Autorenbuch Manuel Falcão Malzbender Begegnungen – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Manuel Falcão Malzbender

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Begegnungen


Ein anderes Leben: Wege, die sich streifen und wie eine Schleife auseinanderlaufen, Luftspiegelungen an einem ewig fernen Horizont, im harten Pflaster ein lockerer Stein:
Nietzsche, der im Zug einer italienischen Tänzerin gegenübersitzt, sie nickt lachend zum Fenster und weist mit einem beringten Finger auf die Landschaft, die er als farbigen Strom aus Licht und Schatten vorüberziehen sieht; er wendet den Kopf zurück in ihre Richtung, er hört ihre Augen, ihn umschmeicheln Vokale, er lächelt, während ein Strom aus Erzählungen sich über ihn ergießt, er lauscht, wie jemand in der Ferne der Brandung lauscht, von der er einst sich abstieß, zu fahren auf ein uferloses Meer. Nietzsche, der einer Tänzerin gegenübersitzt, und in gebrochenem Italienisch mit ihr plaudert - doch der Zug geht nach Turin (alle Züge gehen nach Turin); er schreibt: "Ich lebe wie auf der Flucht, ich weiß kaum, wo ich mein Haupt niederlegen soll."
Kafka, der im Goethehaus die Tochter des Wärters anspricht ("Kafka kokettiert", schreibt Max Brod); die Tage sind gezählt, doch er trifft sich mit ihr - weil die Tage gezählt sind, trifft er sie, verabredet sich für den Ball, läßt sich der Familie vorstellen, schenkt Blumen, erwartet sie auf dem Nachhauseweg und notiert zugleich: "Wie wir mit keinem Fädchen zusammenhängen"; ein weiterer Versuch unter unmöglichen Bedingungen, Feuerwerke unter Wasser, Schwimmer in der Wüste, ein Schlüssel für ein Haus ohne Tür, er schreibt: "Im Kampf zwischen Dir und der Welt sekundiere der Welt" - dann streicht er den Satz, und schreibt darunter: "Man darf niemanden betrügen, auch nicht die Welt um ihren Sieg"; und so reist er ab, die Tage sind gezählt, das Duell ist vorüber, der Versuch wird fortgesetzt, das Duell beginnt - ein anderes Leben, aus Marienbad schreibt er dem vielbeschäftigten Freund, der Vorträge hält und Schriften verfaßt: "In den Feldern, heraus aus dem Irrsinn des Kopfes und der Nächte. Was für ein Mensch bin ich! Was für ein Mensch bin ich!"
Ein anderes Leben: Flaubert, der nach tagelanger Reise durch die Wüste in Esneh einer syrischen Kurtisane begegnet ("auf der Treppe mir gegenüber eine Frau im gleißenden Licht"), sie verbringen zusammen eine Nacht; er breitet im Morgengrauen seinen Mantel über die Schlafende und windet ihre Halskette um die Finger einer Hand ("als wollte ich sie zurückhalten, wenn sie erwachte"), doch schließlich die Weiterreise, der Küste zu: Ein Felsplateau, von Staub überweht, hoch über dem glitzernden Meer - eine leere Fläche, die kaum noch die Umrisse der Mauern verrät, der Gassen und Tempel - doch Salammbô wandelt zwischen den Ruinen, ein Säule aus Staub in der gleißenden Sonne: Karthago ersteht vor den Augen, dreimal erhoben, dreimal niedergeworfen, zuletzt schleifen die Römer die Wälle und ein Magier verflucht auf ewig den Ort: Ein viertes Mal erhebt sich Karthago, im Kopf eines Dichters aus Rouen, und keine Wirklichkeit wirft es nieder, keine Kette hält es zurück: Im Licht der Fackeln steigt Salammbô die Stufen hinab, in den Strassen bahnt das Volk ihr ehrfürchtig den Weg - Salammbô muss sterben, weil sie den Mantel der Tanit berührt hat, Salammbô, eine Säule aus Staub, Ruine und Fluch eines anderen Lebens, das sich immer aufs neue erhebt, um bezwungen zu werden; Salammbô, ein Grab in der "Nekropole des Herzens" - Jahre darauf, im geheizten Zimmer in Croisset (nach dessen Licht die Schiffer sich richten) schreibt er zurückblickend: "Ich riß mit beiden Händen den Menschen an den Wurzeln aus... Aus dem Baum mit dem grünenden Laub wollte ich eine nackte Säule machen, um auf ihrer Spitze ich weiß nicht welche himmlische Flamme zu entzünden."

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