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Autorenbuch Manuel Falcão Malzbender C.3.3. – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Manuel Falcão Malzbender

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C.3.3.


"Reissen Sie sich zusammen, Mr. Wilde", zischt der Gefängniswärter und ergreift den Arm seines Begleiters, der beim Anblick eines knospenden Baums am Gleis eines Vorstadtbahnhofs in Freudentränen ausgebrochen ist - der Begleiter ist ein magerer, grauschläfiger Herr in schlechten Schuhen, dessen Ärmel kaum bis an die Handgelenke reichen, Sträfling C.3.3.: Entlassen nach zweieinhalb Jahren Haft, zweieinhalb Jahren Tretmühlen, Wergzupfen, Steineklopfen, Gängen über einen grauen Hof, Nächten in einem wandschrankgrossen Zimmer aus Stein, durch das am Abend der Wind heult - Pentonville, Wandsworth, Reading Gaol: Ein Leben hinter den Kulissen, die Bühne ist leergefegt, der Lärm verstummt, die Lichter verloschen; der Kopf ist ein Theater, in dem allnächtlich dasselbe Stück gegeben wird, ein Reigen aus Masken, ein dunkler Karneval: C.3.3. bittet den Direktor, ihm Bücher zu beschaffen, in der Zelle liest er Dante, Pater, Augustinus, studiert bei abnehmendem Licht auf der Gefängnispritsche deutsche und italienische Grammatik, er bettelt um Tinte und Papier - bis ihm der Wärter die Bücher aus den Händen nimmt und sich im Schloß der Schlüssel herumdreht. C.3.3., Oscar Wilde, verurteilt ohne Bewährung wegen 'widernatürlichen Verhaltens' - einzig entlassen, um von einem Gefängnis in ein anderes überführt zu werden, die Welt ist eine Zelle, das Leben ein leerer Hof, durch den der Wind heult, ob Reading Prison oder Dieppe, wo die vornehmen Engländer die Straßenseite wechseln, wenn sie auf dem Boulevard seiner ansichtig werden - auch Paris, das 5 Jahre zuvor den Schöpfer Salomés wie einen Eroberer hofierte, in dem Mallarmé zu seinen 'mardis' lud und Sarah Bernhardt, André Gide, Ernest Renan den perlenden Worten lauschten, die der Herr mit der Lilie im Knopfloch in die Ohren seiner Gäste träufelte, sec"form is the secret of life" - "The secret of life is suffering" schreibt Wilde 5 Jahre später, knieend auf Steinboden bei abnehmendem Licht, als der Wärter den Riegel beiseite schiebt - doch kein Ausgang, keine Ruhe: Die Zelle heißt Gestern, Heute, Morgen, heißt Italien, England und Frankreich, heißt dieser Stuhl und dieser Tisch an einem Pariser Boulevard, 1898, im strömenden Regen, ohne einen Sous in der Tasche, wartend auf ein bekanntes Gesicht, das ein paar Worte durch die Gitter spräche, einige Sätze, Namen, Erinnerungen: Davray, sein Übersetzer, geht vorüber, Wilde steht auf und schiebt ihm seinen Stuhl hin, "Ich bin einsam, bitte gehen Sie nicht"; anderntags erkennen die Freunde ihn nicht wieder, sie beteuern, es handle sich um ein Mißverständnis und nehmen eilig Abschied, C.3.3. bittet um Geld, um Essen, um Bücher - Er, Ziehvater von Generationen, "the first well-dressed philosopher in the history of thought", nun verreckend in einem Zimmer des Hôtel d'Alsace, dixième catégorie im Pariser Hotelführer, ausgespien von einer Menge, der der Sinn nach leichterer Kost steht, nach Vaudeville und Pärchentanz, nach Kaminfeuer und Imperien ("in the soul of one who is ignorant there is always room for a great idea"): Auf seinem Sterbelager fährt Wilde mit einer müden Hand die rankenden Ornamente der Wandtapete entlang, während der Arzt die Morphiumspritze aufsetzt, langsamer und langsamer kreist die Feder auf dem Papier, als jäh die Lichter verlöschen und draußen jemand den Riegel beiseite schiebt, "and when the children ran in that afternoon, they found the Giant dead under the tree, all covered with white blossoms".

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