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Autorenbuch Peter Berg Brett vor dem Kopf – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Peter Berg

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Brett vor dem Kopf

Brett vor dem Kopf


Schon mit fünf war ich ein wirklich guter Schachspieler, das sagt mein Vater jedenfalls. Und wer gern Schach spielt, der weiß: In der Schlacht der Gehirne braucht man Konzentration und Aufmerksamkeit. Und man sollte nicht mehr Bier trinken als der Gegner. Mich wurmt es daher, dass Celli, meine fünfjährige Nichte, mich beim Memory Spielen schlägt. Sie klettert schneller, zeichnet besser, und manchmal, verfickte Scheiße, da habe ich den Eindruck, sie drückt sich sogar gewählter aus. Mich tröstet jedoch der Gedanke, dass ich sie wahrscheinlich im Armdrücken besiegen könnte, jederzeit, oder zumindest noch die nächsten fünf Jahre.

Tja, Memory, also die genaue Erinnerung daran, was sich wo befindet, das ist scheinbar nicht mein Ding. Auch mit Gesichtern oder Namen habe ich es nicht so. Und wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke, dann muss ich zugeben, dass ich mit meinem Gedächtnis niemanden mehr beeindrucken kann, ich merke mir weder Termine, noch Tanzschritte und erst recht keine Gedichte, ja nicht einmal die eigenen! So schlimm ist das.

Einmal bin ich, das war noch während meines Studiums, zu einer mündlichen Prüfung erschienen. Wie gut, dass ich mir diesen Termin notiert hatte! Ich war sehr pünktlich, nur stellte sich bald heraus, dass ich mich auf das falsche Fach vorbereitet hatte. Und in Gedanken sah ich meine Mutter, und sie fragte: „Junge, hast du deinen Kopf denn nur zum Haare kämmen?“

Nun, inzwischen ist er selbst dafür nicht mehr zu gebrauchen, und den Geburtstag meiner Mutter hab ich gleich vier oder fünf Mal hintereinander vergessen. Ich scheine unbemerkt gealtert zu sein, was ich allerdings nie für wirklich schlimm gehalten hatte, denn man kann ja, wie ich das für gewöhnlich auch tue, einfach nur da liegen und sich dennoch verbessern, so wie ein Wein, dessen volles Aroma sich erst entwickelt, wenn er in Ruhe reifen konnte. Mit dem Unterschied, dass ein Wein irgendwann umkippt und dann ungenießbar wird, beim Menschen ist dies ja eher umgekehrt.

Aber was rede ich? Man altert nicht „unbemerkt“, wie zumindest derjenige weiß, der sich mal die Spuren eines inzwischen „vielfältigen“ Lebens im neonröhrenbeleuchteten Spiegel einer Bahnhofstoilette betrachtet hat. Was jedoch noch bedenklicher ist, das sind die nicht sichtbaren Mängel, die eigentlich aber auch nicht zählen, weil sie absolut lächerlich sind. Schon mal in der Küche gestanden, ohne eine Idee, was man da eigentlich wollte, und dann setzt du dich wieder auf die Couch und hast irgendwie Durst? Oder schon mal die ganze Zeit gedacht, es sei Samstag, obwohl doch erst Freitag ist? Und dann am nächsten Tag: schon wieder! Schon wieder Samstag? Oder schon mal eine Geschichte erzählt und dann irgendwie abgedriftet, den Faden…

Jedenfalls Memory, nein, das ist scheinbar nicht mein Ding. Schach dagegen… Das hatte ich schon erwähnt, oder? Und das ist noch so etwas. Nie weiß ich, wem ich was schon erzählt habe. Doch dafür sind Freunde gut. „Freunde“, sagt einer meiner besten Freunde immer, „das sind Leute, die sich zum tausendsten Mal eine Geschichte anhören, und dabei noch immer so tun, als sei sie spannend.“ Warum nur sagt er das dauernd? Er muss ja wohl noch zerstreuter sein als ich.

Meine Mutter, komischerweise, ist sehr aufmerksam, und sie merkt sich alles! Nicht dass sie nachtragend wäre, nein, sie erinnert sich nur gern an Dinge von früher, und so hat sie mir einen wunderschönen Schachtisch gebastelt. „Damals hast du das geliebt!“ Das stimmt. Und es ist nun auch nicht so, dass ich kein Vertrauen mehr in meine Fähigkeiten hätte, doch kann ich meinen Vater wohl höchstens noch zum Armdrücken herausfordern, die Angebote zu einer Partie lehnt er seit Neuestem ab. „Peter“, sagt er dann, „mit fünf warst du ein wirklich guter Schachspieler, aber verbessert hast du dich seitdem nicht!“

 

Nachtrag: Fast hätte ich es vergessen zu erwähnen: Beim Memory, so behauptet die Wissenschaft, seien Kinder generell besser, doch der Aufmerksamkeit meiner Mutter ist nicht entgangen, dass Celli, das kleine Mistvieh!, ihre Siegeschancen nicht nur dadurch erhöht, dass sie weniger Bier trinkt als ich, sondern vor allem, weil sie heimlich Karten aufdeckt und dann einfach ganz woanders hinlegt. Dies hat mich jedoch nicht nur versöhnt, ich bin inzwischen auch sehr sicher, dass ich, bis meine Mutter mich erwischt, wieder als ein wirklich guter Schachspieler gelten könnte.

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