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Autorenbuch Ulrike Schäfer Die Löwin – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Ulrike Schäfer

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Die Löwin


Die Morgenluft streicht über mein Fell. Vogelrufe schallen durch die Dämmerung. Es wird ein heißer Tag werden, aber noch ist es kühl und dunkel. Wie ein Pfeil durchschneidet deine Stimme den Morgen.
"Okay, Leute, es geht los. Ein paar goldene Regeln noch."
Du hast also wieder einen Pulk Gäste in deinem Landrover. Es müssen neue sein, denn du wiederholst dein Anfangsritual.
Noch seid ihr außer Sicht, aber ich kann mir vorstellen, wie du dich von deinem Sitz erhebst, dich langsam umdrehst zu ihnen und den linken Fuß aufs Trittbrett stellst, wie du es immer tust.
"Bitte stehen Sie unterwegs nicht auf. Die Tiere müssen den Landrover als Einheit betrachten", sagst du, und bei dem Wort "Einheit" bewegst du bestimmt deine Hände, als würdest du die Form des Mondes nachfahren.
"Der junge Mann hier neben mir heißt Manla und hilft mir beim Spurenlesen. Wenn Sie während der Fahrt ein Tier entdecken, das wir übersehen, dann geben Sie bitte Bescheid. Wir halten auch jederzeit, wenn Sie Fotos machen wollen, kein Problem!" Ich bin sicher, deine Hände streichen weit ausholend wie über flachen Boden bei den letzten Worten. Du nimmst sehr viel Raum ein, und deine Stimme schmerzt in meinen Ohren.
Sie bebt, als du weitersprichst, und ich sehe vor mir, wie deine blauen Augen dabei leuchten. Ihr fahrt zur Nordseite, denn das Rudel habe gestern dort ein Kudu gerissen. Später habe ein Ranger meine frische Spur weiter südwestlich entdeckt. Sicher würde ich die Jungen von dort zur Beute führen. Ihr hättet also eine gute Chance – "eine wirklich gute Chance", wiederholst du –, uns heute auf dem Weg dorthin zu Gesicht zu bekommen.
"Ist das nicht gefährlich, Steve?", fragt eine sehr hohe Frauenstimme.
Nach einer Pause antwortest du tief und gedehnt: "Nicht, wenn ich bei Ihnen bin." Gelächter.
Du hast Recht, Steve. Ich bin unterwegs nach Norden. Aber die Jungen habe ich nicht dabei.
Der Weg, den ihr nehmen müsst, führt in einem großen Bogen am westlichen Grenzzaun entlang. Ich kann mir Zeit lassen, streife durchs Unterholz direkt zu der Stelle, wo der Weg den Bach kreuzt. Hier ist es morastig. Ich überquere ihn und steige langsam den Hügel hinauf.
Der fauchende Warnruf eines Impalas ertönt, Hufgetrampel bricht durch die Dämmerung und verliert sich unten im Tal. Hinter einem Dornbusch auf der Hügelkuppe halte ich inne, wende mich um und warte. Noch stehe ich seitlich zum Wind.
Das Brummen des Motors schwillt an. Eine Weile noch, dann taucht dein Landrover aus dem Halbdunkel auf.
Ja, ich hatte Recht, deine Augen leuchten. Als wärst du ein Kind, Steve. Als wäre all das hier ein Spiel. Deine Fingerknöchel sind weiß, so fest umklammerst du das Lenkrad. Du fährst sehr schnell.
Vor dem Bach hältst du an. Manlas schwarze Gestalt sehe ich als erste aus dem Wagen springen. Er zeigt auf die Stelle im Morast. Sofort bist du hinterher. Deine Stimme bebt jetzt wieder, als du dich über den Abdruck meiner Pranken beugst.
"Leute, es wird ernst. Das ist eine ganz frische Spur, weniger als eine halbe Stunde alt."
"Viel weniger", flüstert Manla.
"Oh, wie aufregend!", wispert die Frau mit der hellen Stimme. Ihre Fingernägel krallen sich um das Seitengeländer.
Da richtest du dich auf und wendest dich deinem Publikum zu. "Sie ist allein. Aber heute kriegen wir sie zu sehen, versprochen!"
Ach Steve, du versprichst so gern.
Du steigst ein, greifst nach dem Fernglas. Die Gäste zücken die Kameras. "Wo denn, wo?", stößt die Frau aus.
Manla hockt immer noch über die Spur gebeugt. Jetzt richtet er sich auf, hebt seinen Kopf, bewegt ihn langsam nach links. Die Augen hat er geschlossen.
Ich warte noch, bis Manla die Augen wieder öffnet und den Kopf schüttelt. Dann drehe ich ab, pirsche den Kamm entlang durch die Dornbüsche, bis ich den Wind im Rücken habe.
Manla reagiert fast augenblicklich. Er wendet den Kopf genau in meine Richtung, aber er kann mich nicht sehen. Er deutet nicht. Seine Nasenflügel zittern.
"Wo?" fragst du.
"Dort oben", flüstert Manla.
Dein Fernglas folgt seinem Blick, aber Manla schüttelt nur den Kopf.
Da nimmst du dein Gewehr vom Halter, steigst aus und wendest dich zu deinen Gästen.
"Okay, Leute, sie kann nicht weit sein, aber von hier aus können wir sie nicht sehen. Ich pirsche jetzt da hoch und versuche rauszufinden, in welche Richtung sie läuft. Dann können wir sie vielleicht am Fluss abfangen. Ich hoffe, sie dreht nicht ab nach Osten, dort kommen wir nicht durch."
Manla fasst dich am Arm. In seinen Augen steht eine dunkle Ahnung.
Aber du kannst nicht in Manlas Augen lesen, Steve. Manla ist fast noch ein Kind. Du bist viel älter als er, aber durch Manlas Adern fließt Buschmannblut, und hinter seinem Rücken liegen tausend Jahre Afrika.
"Sie ist satt wie ein Baby", sagst du. "Aber keine Sorge, ich passe auf."
Dann kletterst du langsam den Hügel hinauf.
Deine Schritte nähern sich, ich ducke mich flach auf den Boden. Der Wind wird stärker, aber jetzt höre ich jeden deiner Atemzüge. Ich weiß, wo du die Kuppe erreichen wirst. Dort liege ich und warte.
Die Dämmerung morgen früh wird kühl und dunkel sein, Steve. Ich werde Vogelrufe hören. Sonst nichts.
 

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