Essay

Konkurrenzfähig

Hamburg

Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist bescheiden. Jedenfalls der, der nicht aus einer Familie stammt, deren Kapital schon so lange wuchert, daß der Kapitalismus selbst zur Farce wird.

Denn der Kapitalismus verlangt – Marx zufolge – konkurrierende „Kapitalien” (MEW, 43/307), er verlangt, daß Kapital nicht in erdrückender Zinslast und Besitz degeneriert: ungenutzt aufgetürmt kein Kapital mehr ist. Kapital ist Kapital im Moment seiner Aufwendung, der Investition; einen naturalen Wert, auf dem basierend einfach Kapital sein könnte, gibt es nicht, bloß Tauschwerte, die sich je aktualisieren. Man kann Kapital also nur mehr oder weniger aussichtsreich verschwenden, um hernach mehr oder weniger zu haben. Es nicht verschwendend hat man eine Virtualität oder Mutmaßung, und sei sie gülden. Das ist (grob verkürzt) Kapitalismus. Er fußt auf Bonität, die er aber nicht einmal vernichtet, die sich vielmehr in seinem Rahmen transformiert. Triple A ist dabei also eher eine binnenkapitalistische Religion als ein Faktum.

Während demgemäß Kapitalismus also bedroht ist, wie auch das ihn (scheinbar?) konstituierende Kapital prekär ist, gibt es aber doch etwas, das nicht fraglich ist: das Prekariat. Nichts zu haben ist eine relativ klare Sache. Wir leben heute in Zeiten, in denen das Kapital dessen, der nicht aus betuchtem Hause stammt, das Kapital seiner selbst ist. Man trägt sich zu Markte, Ich-AG ist die sexy Formel für etwas, das bei Ingeborg Bachmann „die universelle Prostitution” heißt. Arbeit und das Investieren in die Fähigkeit, bald eine besser renummerierte Arbeit ausüben zu können, ist das Unternehmen dessen, der Subjekt/Objekt ist, der Zuhälter oder Aktionär seiner Kompetenz.

Diese drückt, während sich das Schulsystem sich in seinen idealistischen Vertretern noch um Menschenwürde und dergleichen müht, als Schlüsselbegriff schon aus, was heute betrieben wird, jedenfalls dort, wo die Bildung nicht Sache der Elite ist, die – statt qua Ethikunterricht faire Modernitätsverlierer zu züchten – dem Nachwuchs Herrschaftspraktiken beibringt, die angesichts neofeudaler und insofern postkapitalistischer Verhältnisse mit Konkurrenz und Kompetenz wieder weniger zu tun haben mögen. Eher mit Unglauben in Sachen Bonität und der Fähigkeit, in deren Namen dennoch sich andere geradezu zu verpflichten.

Das Wort Kompetenz ist also heute das Kunststück, die Illusion der Chancengleichheit (u.a. von Pierre Bourdieu so benannt) so anzugehen, daß die Metöken sich optimieren; von einer „endlosen Schändlichkeit eines Lebens in Arbeit” (Jean Baudrillard) nichts mehr wissend dieses vielmehr zu kultivieren und ernsthaft zu glauben, unter diesen Bedingungen bedeutete das propagierte Menschenrecht Bildung nicht eine latent infantile Ausbildungspflicht, „den Vorgaben des Konkurrenzsystems besser (zu) entsprechen.”1

Bildung meinte einst etwas anderes; Schule meinte etwas anderes; und Menschsein meinte etwas anderes.

  • 1. Erich Ribolits: Die Antiquiertheit der Menschenwürde. Warum ein Recht auf Bildung nichts mit Menschenwürde zu tun hat. In: Streifzüge, N°56: Konkurrenz, Herbst 2012, S.41-46, S.46

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