Blanka Beirut - Tagebuchstaben (8)

Kolumne

Autor:
Andrea Karimé
 

Kolumne

Karnevalsschlacht und zerschnittenes Schweben / März / acht / tamania

Würdest du mir deinen Lunge leihen
Mein Vater war Fensterputzer im Haus der Lüge
und ich rauche

(Selim Özdogan)

So irritiert wie das Blümmschen am Fenster schaut Blanka Beirut auf den deutschen März. Von Sonne über Eiskälte und Regen ist schließlich alles dabei. Hauptsache ungewiss. Da sollen den Wörtern nicht die Haare zu Berge stehen. Die bibbern und wollen nicht aus der Handtasche rauskommen. Der Tag ist bereits am Vergehen, konfettibunte Sterne wollen kommen und die Stadt hat für die Karnevalsschlacht aufgerüstet. Da muss Blanka Beirut an das Danseplädzchen denken. Das ist nicht etwa eine neuartige Kekssorte, sondern ein nordhessisches Wörtchen, das Oberfläche bedeutet.  Eigentlich Tanzplätzchen, doch die Nordhessen mit der Büffelzunge, wie Blankas Oma, beplatschern die Konsonanten so lange, bis alles Harte abgeschliffen und ein Danseplädzschen draus wird. Auf dieses steigt Blanka auch ab und zu. Mit geliehenen Lungen. Vor allem wenn sie wie heute zweimal für eine Iranerin gehalten wurde. Warum bloß? Liegt es an ihrer Nase, die iranisch aussieht? Aber wie sieht eine iranische Nase aus?

Fragt sie sich noch in der Straßenbahn, auf abgewetztem grünen Sessel sitzend, zwischen Möhnen, lernt sie zwei traurige arabische Augen kennen. Irak, bröckelt er, und dann sehr empört ein „ich bin Kurde“ entgegen.
So was löst man nur auf dem Danseplädzchen. Außerdem gibts eine herrliche Aussicht auf winterliche Baumgeweihe und die ersten Opfer der nun einsetzenden Schlacht: kotzende Kinder und Schnapsleichen. Macht nichts. Geht alles ins sanfte Bummbumm über. Nichts ist wirklich schlimm hier oben, alles löst sich in Luft auf, Luft die mit Melodien in der Stadiontonart gefüllt ist.

Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer, denn Blanka will irgendwann wieder Strawinskys Musikschweben hören, dass von seinen Streichern erhellend durchgeschnitten wird. Ohne einen Ton zu verletzen. Also wieder runter. Und schon kommt die Frage nach der iranischen Nase wieder. Hat sie eine? Die Lunge platzt fast vor lauter Fragen, nur der Stift rollt wieder, wie das Mädchen, das auf einem Rollbrett mit jeckem Lachen einen Abhang runtersaust und hayır  schreit, als hieße das ja. Und wie ein treues Pudelrudel springen die Wörter auf und folgen ihr.