Waldundwiesen-Erzählungen

Miniaturen

Autor:
Mechthild Curtius
 

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Epidot GrünStern

Fast zweitausend Meter hoch im Gebirge liegt der höchste Ort Lü. Der Name hieß einmal  Lux, Sonnenlicht bescheint die Hänge über dem Tal, und im langen Winter spiegelt es gleißend auf Eis und Schnee, ein Lichtkranz in Lü um seine siebzig Bewohner. Ein besonders lange sonnenbeschienenes Bergsegment fällt im rauhen Ländereck auf, fruchtbar genug für Baumbewuchs, warm genug für Weinstöcke, der Ackerboden wurde per Kiepen heraufgetragen. Rar ist der Lü-Riesling, weiß Gott kein zuckriger Tropfen; trocken, warum eigentlich, fragt das Kind, Wein ist wie Wasser. Nass. Und quietschsauer. Dort wo die hundertzwanzig Weinreben die untere Schlossmauer raufranken, sich in die Risse im Gestein klammern, wo der Hangdruck den Stein zu Sand zermahlt, fein genug, um die Rebwurzeln als Erdreich zu nähren. Von Zeit zu Zeit rutscht polternd ein ganzer Mauerkeil runter und begräbt drei, vier Weinstöcke.

Im Berginnern nisten Kristallstöcke vieltausendfach grün:
Weinbeerenglasiggrün pistaziengrün grasgrün laubwaldgrün tannwaldgrün laubfroschgrün arsengiftiggrün schierlingsbecherschleimgrün molkengrüngrau platinweißsilbern jadegrün smaragdeidechsengrün entenscheißgrün - durchsichtige Steinstöcke, matt die eine Seite, glattseidig die andere und die dritte derartig harsch, dass sich die Finger verletzen, in klingenscharfen Graten auslaufend zum HautAnritzen die vierte und alle laufen zusammen in muldentiefer Schüssel, umgeben von seidenbleichen kandiszuckerartigen Spitzen, daneben eine KristallRosette bernsteingelb honiggelbbraun im Schaum der blautannendunklen Rundungen kieseliger Steine und alle verwandt; EdelsteinFamilie namens Epidot, die weltweit hier und da und auch im südmitteleuropäischen Alpingebiet vorkommen, rar, das ist wahr, aber hier, das ist klar, gibt es sie. Reichtum und wenn durch den dunklen Gebirgsschlund in den BergBauch ein winziger Strahl fällt durch den Spalt messerbreit, das leuchtet das Edelgestein auf. Erwerben und Sterben Arbeiten und Lieben und Leben und Launen hin und her zwischen schweren Wintern und derart lichten Sommern, dass die Traube üppiger wächst, wie der Epidot klargrün, in dunkler und stiller Bergtiefe, Grube, begraben, aus welchen Tiefen hervorholen.

Erleuchtet, wo alles Sonne ist, fällt Licht nicht auf und kräht kein Hahn danach im Frühtau zu Berge und  im Dorf Lü der Hofhahn mit den grünschillernden Schwanzflügeln schlägt und der Erpel den grünglänzendem Federkopf sträubt mit blauweißer Banderole um den Federhals. Kenner kommen, Bergsteiger, Schatzsucher, Edelstein-Narren, trinken den kostbaren Wein und dringen ein in den Bergbauch auf der Suche nach seltenen Mineralien. Und vor allem der Epidot hat es ihnen angetan. Wie dem Besucher aus der Stadt mit der Seidenfliege unter dem Kinn. Doktor Servatius steigt in den Bergen herum und sucht, besessen, alles vergessen, sogar seine sehr junge Frau, Maria, das Mädchen, der Madonna am Marterl nicht ungleich. Sieht er nicht, sie langweilt sich allein, aber die Maria sieht umso mehr jeder Mann im Dorf, sind ja nur zwanzig von siebzig. Zwei sehen die Maria sehnsüchtiger an als alle anderen; des Sammelwütigen aus der Stadt einzige Leidenschaft sind die Steine, der eigene Gatterich, Gänserich, der er ist, mit dem Gebinde um den gänsigen Magerhals.

Der vertrocknete Ganter klettert mangelhaft angeseilt durch die unzugänglichste Klamm, die jeder Älpler aus Respekt vor der Gefahr meidet. Kann sein, ein ländlicher Liebhaber geht dem Gatten nach, kann auch sein, der andere sucht selbst im Bergbauch nach kostbaren Steinen, kann sein, dass einer abstürzt von allein, der Berg ruft tückisch und ist inwendig keineswegs reglos starr, kann sein, dass einer den anderen anstößt, Rivalen um den raren Epidot, den Edelstein am Hals der Maria.

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