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Prosa
Frankenberg. Haus am Hang
Osterreise vom Main an die Lahn wie in ein anderes Land. Landschaft bezeugt ihre Geschichte; katholische, hugenottische, lutherische. Hochamt in Rossdorf, einem der katholischen Dörfer, die dank cuius regio überdauern, das Mainzer Rad an vielen Mauern. Franzosenwiesen heißt das Gebiet nach den Hugenotten und Waldensern. Denen gab der geschäftstüchtige Landgraf gern Asyl, waren sie doch tüchtige Textil-Manufacteurs; die heimischen Bauren behielten die fetten Weiden, die elendigsten Sauerwiesen blieben „den Franzosen“. Kahl braun und grau, winterfahl, ausgelaugt von Schnee und Regen, gefroren und getaut wieder und wieder und märzensonnenbleich schlaff oben schimmelfeucht, unten Waldgras und Ried, wenn ich genau hinschau, sprießen dünne grüne Halme hervor, viele Moosarten bilden Polster, winzige Hügel an Hügel, Baumstümpfe senkrecht und waagrecht, schief und gerade, und dazwischen ölige Teiche, gelber Huflattich und weiße Gänseblumen am Wegrand. Wenige hier, dort in der Wetterau sind die Wiesen von ihren weißen Blüten übersät. Mediterrane Gärten spielt das „Frankfurter Nizza am Main“, wo Mandelbäume und Magnolien Blütenblätter verstreuen, so fern können hundert Kilometer nach Nordhessen hin sein. Apfelbäume blühen rechts, Sträucher grünen links der Straßen und Wege. In Frankenberg steht hoch am Hang eine gotische Kirche, ähnelt der Marburger Elisabethen-Kathedrale, zusammen mit den Schwiegertöchtern gehe ich hinein, drinnen an den Pfeilern plastische Neidköpfe und sinnliche Szenen, farbig bemalt, dort wo hoch droben Steinmetz und Maler nicht nur zur Ehre Gottes Heiliges schufen.
Drunten in Sichthöhe kohlschwarze Eisenofenplatten mit kirchlichen Szenen, Maria und Magdalena mit Rostflecken - Sommersprossen, spotten wir, deuten auf die Maria mit halblangen und auf die Magdalena mit hüftlangen Haaren, und vergleichen sie mit meinen Schwiegertöchtern, ich spiele gern Dozentin, erkläre, was ausgerechnet Ofenplatten in einer Kirche zu suchen hätten. Die Eisenwerke, Reichtum aus Bodenfunden der Region einmal, haben außer Kanonen auch Öfen und Herde fabriziert, für die Wohnstuben mit Kunstszenen geziert. Das glühende Eisen wurde in Holzschindeln gegossen, die Formenschnitzer haben alsbald hessische Barockkirchen ausgestattet, ihre Emporen, Kanzeln und Altäre geschnitzt. Berühmt geworden seien die "Formensnider" Josias Wolrad Brützel und
Jost Schilling. Erinnert euch an den schönen geradezu erotischen Sebastian, dem Bruder Heiner sieht er ähnlich, am Altar von Oberrosphe, kleinem Dorf im Burgwald, Barockkirchen zwischen Marburg und der Waldeckschen Schweiz. Auffallend sind die aufplatzenden roten Granatäpfel und die Engelputten mit den Stirnlocken, Knospenmündern und Birnenbacken. Die kurzhaarige Schwiegertöchter - ich sehe es an den Augen - ist in Gedanken woanders. Vielleicht dort, wo ich mit meinem Sohn und ihr saß, am Sonnenplatz vor dem Eiscafé am Obermarkt, wir laufen zum Untermarkt durch die Torbögen vom kleinen Rathaus, holzgeschnitzte Huckepack-Männer hocken buntgemalt über der Durchfahrt, Türme über Fachwerk, früher war der Fleischmarkt drinnen. Hin zur Backsteinkapelle, an der Brüstung stehen und sehen: über Fachwerkfassaden hinweg tief in den Wiesengrund und hoch in das Bergland.
Vermischte Familie von vier Generationen im braunen Haus am Hang, hängend, das ist wahr, weil es herunterrutscht, zwischen blauen Traubenhyazinthen und zwischen Ostereiern findet das Kind Mörtelbrocken. Heller als Milchschokolade, drum nimmt er es aus dem Mund. Nicht gesund. Hart. Rennt fort in den Zaubergarten, kleine Treppen führen ins Nirgendwo, Pavillons unter keimenden Ranken, Frühlingsblumen auf den oberen Terrassen, Wildwuchs aus Obstbäumen unter Lianen aus Jelängerjelieber, Klematis und Glyzinien, kaum knospend, grau. Bank mit durchgebrochenen Hölzern, Vogelhaus und zwei blaue Eier darunter, Meisen piepen, Amseln singen, kein Menschenlaut, kein Wort, ein Mädchen in Rosenrot, ein Junge in Schwarz und Braun lehnen zwischen zwei Baumstämmen, beugen die Köpfe vor, bis sich die Gesichter berühren.
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