Lorbeeren.Portrait.

Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

Schlimmer wird es immer...

     "Dort droben aufn Berg" haben sie gesungen und ich habe gewusst, du gehörst nicht dazu. Dazugehören, wie alle sein, wie schön muss das sein. Kindertraum von uns allen: den Schwestern, den Brüdern und mir. Bewusst nicht. Nicht mitspielen dürfen. >Privileg der adligen Geburt.< So ein Blödsinn. Was ist die Herrschaft eines einzelnen Königs über alle verglichen mit dem Kommando der Massen gegen einen einzigen, der anders sein muss. Muss. Niemals will. Niemals.   

"Jung Josef ist ein stolzer Knab geht von des Vaters Schloss herab". Hinter den Büschen Hohnlieder singen und lachen, lange Nasen machen. Ins Gesicht hinein schmeicheln. Den Kindern unten im Dorf haben wir es nicht recht machen können. Den Tanten und Onkeln auch nicht, denn die sind reich. Genealogische Stammbaumgemetzel sind so. Schon der poetisch begabte Großvater, Eichendorffs Nachfahr um einige Ecken, war zu verträumt in Wolken anderer Werte, um auf Schlösser und Wälder wegen des Geldes zu achten.

Herabkömmlinge sind wir, wie George Bernard Shaw über seine Adelsfamilie gesagt hat. Solche sind manchmal die Ahnen von Dichtern und Denkern. Dichterfrölen Annette von Droste haben die Verwandten verspottet. Dichten ein bisschen zum Zeitvertreib. Als Debütantin ein wenig Klavier spielen. Nicht als Beruf. Vater komponiert. Er gibt Konzerte. Mutter schreibt Bücher. Sie ist Lehrerin in der Stadt. Darüber amüsieren sich Onkels und Tanten. Lebt doch von geistigen Werten. Nicht nur Proleten lachen uns aus.

Die sind dumm, sagen Vater und Mutter. Christian-Josef, mache es anders, ruh dich nicht wie die alle auf den Lorbeeren der Vorfahren aus. Was soll ich denn machen. Was stimmt. Ich möchte mitspielen mit den Dorfkindern, ich hab die Elisabeth und den Peter doch gern. Und Vater und Mutter. Aber ich kann eben kaum eine Note und Wörter nur wenige. Für die Schule mehr als genug. Ich schreibe wie alle ins Heft und wir singen zu Weihnachten in der Schule Es ist ein Ros entsprungen und zu Ostern in der Kirche Christ ist erstanden von den Martern allen. Damit ist's genug.
Wie hab ich mich auf die Ferien bei der Tante auf Schloss Berka gefreut, da kann ich mit den Cousins reiten und angeln im Bach. Erst haben die Eltern die Nase gerümpft. Und dann haben mich die Cousins ausgelacht, weil ich vom Pferd falle. Wo gehöre ich hin.  Einzig eine in meiner Dorfschule ist lieb zu mir, in der Zwergschule, zwei Klassen. Bin verwirrt. Was will sie, was hat sie. Elisabeth rufen sie die Lehrer. Lisa mit den langen Zöpfen mögen alle, ein hübsches Mädchen, sagen Vater, Bruder, alle - so verschieden sie sind. Im Schulgarten erklärt uns Rektor Angermann die Blumen und Singvögel am lebenden Beispiel ohne viel Worte; wir sehen und hören, fühlen Wind und weiche Seidenblätter, schnuppern an Blüten, essen gar Gänseblümchen und Sauerampfer und Veilchen. Lisa geht gern eigene Wege, ich auch, wir stoßen zusammen unter dem Pfirsichbaum an der Mauer. Sie schaut hoch, denn einen Kopf größer bin ich schon damals, lächelt, senkt die langen Wimpern, hebt sie wieder, macht die Augen groß, hebt auch die Hand, streichelt über meine Wange. Warum. Flüstere ich. Nicht sofort - ich muss mich erst fassen. Weil dein Gesicht so  aussieht wie das vom Sebastian am Altar. Aber ohne Pfeile im Fleisch. Warum? Er ist der Schönste von allen. Sie regt sich, rennt davon. Dann erst merke ich, dass die anderen gaffen. Seitdem ist manches immerhin anders. Ich gehe ganz gern zur Schule. Lisa freut sich über gute Zensuren, also mach ich das auch. Ganz leicht. Das ergibt sich seither wie von allein. Sogar manche Verwandten werden gnädiger, immerhin, der Junge kann was. Für nix gibt’s nix, jedenfalls nicht das, was ich, der hochnäsige Christian-Josef, wirklich mag. Dass Lisa lieb ist. Ich mache gute Aufsätze, rechne schnell, ziehe mich so schön wie möglich an. Warum sie den Hans einfach so alle mitspielen lassen, ob er zerzaust ist und doof oder nicht, dahinter komme ich nicht. Bis heute nicht. Sei der Beste, dann wirst du von solchen wie Lisa geliebt. Und der Vater brummt halbwegs zufrieden. "Auf fremden Lorbeeren ruht er sich nicht aus".  Am Stammbaum derer von Eschendorff mit den Wurzeln im zwölften Jahrhundert gibt es viele Feldherren, zwei Dichter und drei Musiker sind auch dabei. Sagt der Professor aus München. Und dass der großkotzige Onkel Gilbert von und zu Hohen-Rhoenfels ein moderner Raubritter sei: "Wie der mit den Stechaugen ganz vorn in der Ahnentafel; guck hin, wie die beiden sich ähnlich sehen!"    

So kommt eines zum andern. Bald geht es von allein. Jahrelang,  wachsen und weg von Lisa, weil die auf dem Bauernhof helfen muss. Ich muss in die Stadt bis zum Abitur, Internat. Studieren. Alles fällt mir leicht, wenn es schnell schnell schnell fertig ist; nur warten, forschen, langwierig, langfristig, dazu fehlt mir die Geduld. Über den Hochstapler Felix Krull vom Thomas Mann schreibe ich die Examensarbeit, schreibe, dass der schöne Felix doch ein harmloser kleiner Heiratsschwindler sei und nicht mehr. Lerne vom ihm: Eindruck schinden auf krummen Touren führt schneller zum Ziel. Warum umständlich Blatt um Blatt wenden, Jahrelang forschen, schreiben, besser blenden. Die einen finden ein Buch eine Großtat. Bekennen mit Beethoven: Kunst und Wissenschaft erheben die Menschen über den Alltag und bringen sie in die Zukunft. Die anderen machen schnelles Geld. Einer von denen, Onkel Gilbert, sieht mich sitzen über der Doktorarbeit und spottet: Buch links, Buch rechts, Chrischan in der Mitte macht daraus das dritte.  Jetzt reicht's. Ich lasse mich von seinen Kollegen einstellen, aufstellen; denn dass ich nicht nur als Freiherr von Eschendorff was vorstelle, sondern auch repräsentativ aussehe, sagen sie alle.

Lisa sah mich in der Schulzeit durch und durch an. Bist schön, einfach so. Heiß wurde mir, Porenhaare standen zu Berge. Elisabeth lässt sich nicht mehr Lisa nennen, als ich von den Wahlplakaten lächle, sieht mich irgendwie nur noch von Weitem. Das tut weh. Muss anders werden. Da muss ich durch. Stein auf Stein, Minister muss bald fertig sein. Dann wird sie mich wieder anschauen, nah herankommen, lieben. Elisabeth. Meine Lisa. Liebe und Freundschaft und alles. Es geht immer höher. Immer weiter. Fremde Menschen, viele. Fremde Länder, fremde Städte. Warum schaudert mir zwischendurch immer beim prickelnd berauschenden Bad in der Menge?  Stein auf Stein, anhäufen, was beliebt und berühmt macht. Symbole der echten Klugheit und gleißender Macht. Was ist wer. Was ist wo. Man kann malochen. "Man kann's auch kaufen." Zischt Onkel Gilbert zwischen den Lippen, als er mir einen Scheck zusteckt, sehr große Summe. Dass einer derer von und zu Eschendorff aus dem Haus Hohen-Rhoenfels lügt und betrügt. Nie dagewesen in achthundert Jahren. Wer hätte das von Christian Josef gedacht, wer davon gewusst. Endet sein Wahlvortrag fünf Jahre später. Mutter dichtet nicht mehr. Ist krank. Vater komponiert nicht mehr seit dem Skandal. Er kommt vom Schloss herab, mitten ins Dorf. Alle Dorfleute applaudieren. Als ihr Baron empört in dreißig Kameras sagt: Gemein, Unmenschlich ist, dass sie ihn wie ein Wild jagen. Natürlich hat Christian Josef seine Doktorarbeit selbst erarbeitet. Tag und Nacht. Jahrelang brannte jede Nacht Licht in seinem Schlosstrakt. Immer kam er zu Tisch, die Arme voller Bücher und machte Notizen in Hefte.

Am Palmsonntag bin ich zuhause. Meine Lisa sehe ich von Weitem in der Dorfkirche. Der Pfarrer predigt vom Einzug Jesu auf dem Esel durch das Tor nach Jerusalem. Palmzweige unter den Hufen, Tücher unter den Schuhen, Palmwedel. Rufe:
Heil dir, Heiland. Herr Jesus. Wunder der Güte. Freude der Liebe. Hosianna.
Warum. Es keinem einst Umjubelten besser ergeht,
solang die Erde besteht.  
Schlimmer wird es immer: Hosianna. Kreuzige ihn.

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