eingekreist - die Monatskolumne Juli 2011

Kolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Kolumne

Unanständig Schreiben

Vielleicht hätte ich Fleischer werden sollen. Sobald in unserer Küche ein Stück Tier auftaucht, das zurechtgeschnitten gehört, schneide ich es, worüber meine katholische Freundin sehr froh ist. Rohes Fleisch mag sie nämlich nicht so gerne anfassen. Ich versuchte eine Konfrontationstherapie. Das Fleisch blieb jedoch unberührt, als ich mich heute nacht mal wieder mit großer Erwartung neben sie gelegt hatte. Gebraten hätte die Sache anders ausgesehen, da beißt sie beherzt zu.

Ich dagegen liebe es, einen Klumpen, der mich rosig und saftig anstrahlt, in mundgerechte Gulaschstücke zu zerkleinern. Ihn erstmal in die Hand zu nehmen, sein Gewicht und seine kühle Nässe zu spüren. Die Konsistenz des Gewebes zu prüfen, indem ich es mit Daumen und Zeigefinger zusammendrücke, wobei es schmatzend an den Fingerkuppen anhaftet, bevor es sich wieder löst. Dann lasse ich mit leichtem Druck die Klinge durch das Fleisch fahren, durch die Faserungen und Schichten hindurch. Manchmal treffe ich auf diesem Wege eine Sehne, deren Ende ich ergreife, das Messer ansetze, damit es auf der Sehne wie auf einer Schiene durch das Fleisch hindurchgleitet. Nach dieser Messerfahrt ist sie vom Fleisch getrennt und kann einem Vierbeiner überlassen werden.

Wenn ich allerdings Fleischer geworden wäre, müßte ich mindestens acht Stunden pro Tag am Fleisch herumschneiden. Neben dem geregelten Arbeitstag schreckt mich die Entzauberung des Fleisches. Denn was man zu oft schneidet, verliert seinen natürlichen Reiz. Serienkiller habe ich in dieser Hinsicht nie verstanden. Ich bin eher ein Freund des unverbindlichen Fleischschneidens für zwischendurch.
Mein tägliches Fleisch kaufe ich gegenüber bei Penny. Überhaupt kaufe ich fast alles dort. Nicht weil ich die Produkte so toll finde, sondern weil der Laden so nah ist und halbwegs billig. Als Lyriker habe ich meinen Klassenstandpunkt begriffen: Ich bin ein Prekariatshedonist. Irgendwann schmeckt auch der Drei-Euro-Wein und das mit Billiggehacktes gefüllte Gewächshausgemüse.

Nach einem solchen Pennyeinkauf, setze ich mich an den Computer und surfe ein bißchen im Internet. Auf Zeitonline wird von der Literaturkritikerin und eingefleischten Vegetarierin Iris Radieschen ein Buch sehr gepriesen: „Anständig Essen“ von Karen Duve. Das erinnert mich irgendwie an ein Buch, das vor ein paar Jahren von einem orthodoxen Juden geschrieben wurde mit dem Titel: „Koscherer Sex“. Eins kann ich jetzt schon verraten, die schönsten Praktiken fallen nicht darunter.

Aus der Rezension erfahre ich: Karen Duve stellt alle Ernährungsweisen auf den Prüfstand und testet sie im Selbstversuch. Bio, vegetarisch, vegan. Selbst frutarische Ernährung. Dabei aß sie nur das, was der Baum ihr freiwillig vor die Füße fallen ließ. Das sei ihr sogar am besten bekommen. Mir ist schon mal ein Apfel auf den Kopf gefallen. Seitdem weiß ich, der Baum schenkt mir nichts, er brät mir eins über, sobald sich ihm die Gelegenheit bietet. Mein Freund der Baum, sang einst die Schlagersängerin Alexandra. Den Autofahrern kann ich nur sagen: Sucht euch bloß nicht die falschen Freunde.   

Die Rezension vermittelt mir nun immer mehr den Eindruck, daß es Karen Duve wirklich darauf anlegt, ein guter Mensch sein zu wollen. Besonders zu Tieren. Sie lebt mit einem Huhn (namens Rudi) zusammen. Auf Pferden reitet sie gerne. Irgendwann sei ihr aufgegangen, daß ihr Sattel aus Leder (Tierhaut!) besteht, weshalb sie sich einen aus Plastik besorgt hat, damit kein Tier unter ihrem Reitsport leiden muß. Was scheinbar nicht geklärt wird, ob sie das Pferd gefragt hat, ob es von ihr geritten werden will. Noch dazu mit einem Plastesattel. Aber vielleicht erfährt man ja im Buch mehr darüber.    

Ich recherchiere weiter im Internet und entdecke einen Auftritt von ihr bei „Anne Will“. Neben dem Fleischlobbyisten macht sie eine gute Figur. Sie vertritt das linksalternative, grüne Bildungsbürgertum, zu dem ich mich auch zählen müßte, wenn ich nicht wenigstens ab und zu Qualfleisch bei Penny kaufen würde. Der Ausdruck „Qualfleisch“ kommt übrigens nicht aus der Sadomaso-Szene, wenngleich Veganismus als Spielart des Masochismus gelten kann. Bedeutet das doch den Verzicht auf alle tierischen Produkte, auch auf Eier und Milch. Zeigt die mediterrane Küche auf überlieferte Weise, wie man fleischlos durchaus sehr schmackhafte Gerichte zubereiten kann, so versucht der engagierte Veganer zu beweisen, daß man mit Tofu auch sehr lecker kochen könne. Obwohl: „Engagierter Veganer“ dürfte ein Pleonasmus sein. Der Veganer scheint per se engagiert. Und jene, die mir bisher über den Weg gelaufen sind, machten mit ihrem Eßverhalten, oder sollte ich Eßstörung sagen, den Eindruck, als müßten sie irgendwas Unbewältigtes in ihrer Psyche unter Kontrolle halten.  

Inzwischen knurrt mir der Magen. Ich pfeife mir den letzten O-Ton von Frau Duve rein: Artgerechte Tierhaltung mit dem Ziel, das Tier zu schlachten, sei ein Widerspruch in sich. Schon der sonntagnachmittägliche Tierfilm zeigt mir allerdings, daß geschlachtet werden durchaus artgerecht ist. Vielmehr ist der einzige Sinn unseres Lebens, auf den man sich halbwegs einigen kann, doch der, sich irgendwann in die Nahrungskette einzureihen.  
Mit der Zeit nimmt alles ab, die Sehkraft, das Gedächtnis, die Lust. Außer der Bauchumfang. Ich sehe das an meiner katholischen Freundin und mir. Am Schluß ist der Tisch für die Würmer reich gedeckt. Bis dahin werde ich mit dem Tierreich kein Mitleid haben. Es ist uns längst auf den Fersen.  


Nachtrag:
In der halleschen Fußgängerzone war vor kurzem ein Infostand von „Aktion Tier“ aufgebaut. Junge, aggressive Geldeintreiber gingen immer wieder auf Passanten los. Ich bin demonstrativ ca. zehn Mal an ihnen vorübergegangen in der Hoffnung, mich würde einer ansprechen. Das ist nicht passiert. Sie konzentrierten sich auf etwas labil aussehende junge Mädchen, reifere Damen und Studenten. Ich beobachte das seit Jahren. Ob greenpeace, amnesty international, attac. Niemals werde ich angesprochen. Keiner will eine Einzugsermächtigung von mir. Ich sehe anscheinend aus wie jemand, dem man kein Weltverbesserungsbedürfnis zutraut. Als wäre ich der Antichristian von Halle. Aber im Grunde bin ich eigentlich ganz nett.