Nervöse Fata Morganas? Ach was; bitte!

Essay

Autor:
Jochen Arlt
 

Essay

Nervöse Fata Morganas? Ach was; bitte! - Über die anhaltende Liebe zum unsterblichen Dampfradio

Die Karawanserei des intergalaktischen Multimedia-Gewimmels mache sie total nervös, mittlerweile gar apathisch, höre ich aus zeitgenössischen Kreisen in regelmäßigen Abständen. Wir zappen uns dement, wird geklagt. online-Radio- wie TV-Progammangebote seien kaum mehr verdaulich. Außerdem würden wir zugemüllt von herkömmlichen Medienofferten bis hinein in die längst unüberschaubar gewordene Hörbuchwüste. Das Schwarzbrennen von Musik(-Filmen) mache wunschlos satt mit Clapton und Dylan, Miles oder Mingus, von Brahms über Chopin bis zu Stockhausen und Telemann. Aber: Dampfradio – ach was; bitte!

Ich widerspreche respektive distanziere mich. Vom wunschlosen Sattsein und allabendlichen Surfen so wie so. Niemand zwingt mich ins Mülldepot zum Leergut sammeln. Ich brauche per Internet-Links keinen Grönland-Speed Metal, keine Never ending-Black & Decker-Sounds aus Pretoria. Hörbuchwüste? Ganz alleine schuld, wer sich durch entschleunigende Karawanserei in nervöse Fata Morganas oder zur distanzierenden Passivität treiben lässt.

Mir reicht die Hausdiskothek. Und nicht nur am Rande das regelmäßige Flanieren wie flankiert werden durchs bewährte  un/zeitgemäße, ja, richtig, Dampfradio. Von meinem Eifel-Arbeitszimmer aus tragen mich Hörfunk-Reisen beispielsweise nach Woodstock zurück. Unvergessen ein Feature-Interview mit dem Schlafsack-umhüllten Hippie-Pärchen vom Frontcover des berühmten Festival-Tripelalbums. Barbara und Nick als Bildbeschreibung über 2009 hinaus so präsent wie die freakliche Aura in Köln-Mülheim 1969. Wohlgemerkt – durchs farbbildlose Dampfradio-Aroma.

Länger bereits sind abwinkende Schlagworte wie kulturelle Reizüberflutung, Berieselung, vor allem Formatradio gängig. Ach was; bitte! – darf ich nun kontern. MTV etwa startete Ende der 1970-er Jahre die Epoche Musikfernsehen blasiert orakelnd mit dem Chartsrenner „Video killed the radio star / in my mind and in my car“. Was aber ist geblieben vom darbringenden New Wave-Duo „The Buggles“ plus MTV? Beide sind längst Geschichte als One-Hit-Wonder – vor allem in Erinnerung durch die ach so fürchterlich reizüberflutende Berieselung eines Evergreens namens (Format-)Radio.

In my Car neulich rief ganz entrückt my Mind nach Aaron Copland-Filmen fürs dritte Ohr. Ruckzuck, nahezu telepathisch, erhörte mich beim nächsten Ampelhalt wer immer – tatsächlich, pure Wahrheit, wurde Leonard Bernsteins „Appalachian Spring“-Klangästhetik angesagt. Und jüngst ließen mich die Ungarischen Rhapsodien 1-6 von Franz Liszt den Stau auf der Flughafenautobahn nahezu vergessen.

Berieselung, vorgestern während des mitternächtlichen Heimflugs Köln- Houverath, war mir höchst willkommen per sogenannter Musik zum Träumen mit Bert Kaempferts „The world we knew“ oder Theo Mackebens „Bei dir war es immer so schön“. Als überraschende Zugabe beglückte mich wundersam, bis ins Carport hinein, Namensbruder Hans-Georg Arlt samt Streichorchester durch die himmlisch arrangierten Betthupferl-Klassiker „Wives and lovers“ und „Lady be good“.

Es war einmal, wenn überhaupt – „Video killed the radio star“. Stars sind und bleiben mir anhaltend vertraute Funkkollegen. Und langelange ein Weites voraus Video samt DVD, allzeit gar, der bewährte Radioapparat als nicht wegzudenkender Dauerbrenner. Halt auf Wellenlänge von Anno Tobak bis zur Stunde. Völlig sekundär dabei, ob als übriggebliebene Fuffie-Klamotte oder konstant angesagtes HiFi-Nobelgerät haman/kardon.

Selbstverständlich gibt es Gründe, dass hier und jetzt ausschließlich meine Hinwendung zur Musik im Radio aufgelegt wird. Mitnichten wollte ich, ein sattes Vierteljahrhundert dem Literatur-/Lyrik-Genre angehörend, zur Egotrip-Fraktion konvertieren hinsichtlich gewohnter Buchtipp- und Hörspiel-Jubelposaunen. Lieber indirekte Musikclub-Backstage- oder Schallplattenbar-Argumente als das soundsovielte Mal die nahezu verschwägerte WDR3-Kultur-Institution Mosaik preisend. Gesonderte Essays wert wären eh noch all jene Reportage-,   Kommentar- wie Magazin-Großtaten aus Kölns Rund-um-den-Wallrafplatz-Studios. Darüber hinaus, selbstredend, nicht zu vergessen die zahlreichen Gütesiegel vom DLF, NDR, SWR, SFB, wohin ich gelegentlich ebenfalls per Daumen und Mittelinger radle.     
Zugegeben: Überwiegend bis durchweg Karawanserei-Belege. Indes ganz persönlich ausersehene Fata Morganas. Ohne die meine Lebensqualität erheblich beschnitten wäre. Das war 1956 bereits so mit Freddy Quinns „Heimweh“, stellvertretend genannt wie gegenwärtig Open House, das Beatcafé oder die feine WDR4-Jazz-Swing-Hausnummer„Bands und mehr“.
 
Originalbeitrag