„Denen sind meine Anzüge zu teuer“

Interview

Im Gespräch:
Harald Nicolas Stazol und Jochen Arlt
 

Interview

„Denen sind meine Anzüge zu teuer“ - Jochen Arlt im Gespräch mit Harald Nicolas Stazol

Du bist mein Land,
ich deine Flut,
die sehnend dich ummeeret;
du bist der Strand,
dazu mein Blut
ohn Ende wiederkehret.

An dich geschmiegt,
mein Spiegel wiegt
das Licht der tausend Sterne;
und leise rollt
dein Muschelgold
in meine Meergrundferne.

Arlt: Setze ich dieses Poem von Christian Morgenstern Ihrer Essay-Collage „Ich bin gerne Deutscher – Eine Liebeserklärung“ gleich, geschätzter Herr Stazol, ist das wahres Muschelgold oder bewege ich mich interpretatorisch eher in Meergrundferne?

Stazol: Das Meer ist bei uns Hamburgern die See, und die ist ewig. Ich bin ja nun immerhin in der Deutschen Nationalbibliothek zu finden. Die ist sogar atombombensicher. Kann also nur hoffen, dass, wenn hier der ganze Planet im Dutt ist, mich wenigstens die Aliens noch ausgraben. Muschelgold also.

   Grazie und Glückwunsch. Indes gleich zu Beginn: Wer ist Harald Nicolas Stazol? a) Ein narzisstischer schwuler Snob, b) ein von Hartz IV lebender geschwätziger Ex-Lifestyle-Journalist, c) ein gesellschaftspolitisch Unkorrekter mit stark regional bezogener Lebensphilosophie, d) ein heimattümelnder Nouveau Bourgeois mit literarischen Ambitionen?

a) Tja, das wirft mir meine Muse jedenfalls vor; b) nee, hab inzwischen geerbt. Geschwätzig? Soll ich Sie zum Duell fordern? c) Ja, aber Philosophie kann man das wohl nicht nennen: Ich sehe in meiner Umwelt halt nur wenige funktionierende Lebenskonzepte. Im Vergleich zu denen schneide ich ganz gut ab. d) Ich darf doch bitten, was heißt denn literarisch ambitioniert? Nennen Sie mir einen brillanteren Essayisten meiner Generation, Herr Arlt! Ich würde ihn gern kennenlernen. En garde! J´y suis, j´y reste. Und Nouveau Bourgeois? Sie sollten mal meine Zweitwohnstatt sehen …

   Startete jüngst mehr zufällig beispielsweise die TV-Quiz-Show „Ich liebe Deutschland“ oder sind solch einschlägigen Symptome, wie halt auch Ihr Buch-Aufmacher, Belege für ein neu wachsendes Heimatbewusstsein?

Naja. Wäre ja langsam mal an der Zeit. Ich glaube, dass jenes Bewusstsein irgendwie schlummerte. Und keiner hatte die Traute, bislang, sich dazu zu bekennen.

   Welche Erfahrungen machen Sie als moderner deutscher Mann?

Viel Sex, kaum Liebe.

   Unzertrennlich Harald Nicolas Stazol und seine Muse. In welcher Form werden Sie von ihr im Gerne-Deutschsein flankiert?

Mein ganzes Denken wird von ihr beeinflusst. Ich habe niemanden Vergleichbaren je kennengelernt. Mein Liebesbegriff ist neu definiert. Und, horribile dictu: Für meine große Liebe musste ich also 40 werden. Ein Freund sagt immer, es sei beeindruckend, wie vor dieser Liebe alles nur zum Hintergrundrauschen wird. So ist das. Und da ich einen romantischen Liebesbegriff habe, ist er also deutsch. Darin werde ich flankiert.

   „Von Snob zu Snob“, immer wiederkehrendes sowie gelegentlich zynisch eingeklinktes  Resümee Ihrerseits. Wäre der Buchtitel „Ich bin gerne ein deutscher Dandy“ nicht authentischer?

Meine Herkunft, meine Eleganz, meine Diktion – die hatte ich schon immer. Da ist Dandy nur eine Bezeichnung. Ein Dandy wird immer zum plaudernden Kleiderpüppchen degradiert. Die mich umgebende Gesellschaft erklärte mich zum Dandy, klar. Aber es ist im Rahmen dessen nicht immer einfach, zu Soireen geladen zu werden, um alle mit Apercus zu unterhalten.

   Welche deutsche Tages- oder Wochenzeitung, welches Magazin aus der Republik macht Ihnen gute Laune?

Keins. Der „Spiegel“, ich las ihn gerade wieder im Zug, macht nur depressiv. „Die Zeit“ schwebt über den Wolken manchmal. Der „stern“ langweilt. Die „Süddeutsche“ vielleicht macht Laune, gelegentlich. Aber nur, weil mein Freund Ulrich Schäfer da schreibt. Der hat übrigens gerade ein bemerkenswertes Buch vorgelegt mit dem Titel „Der Angriff“. Wenn ich ihn richtig verstehe, ist die Kernthese wie folgt: Dass sich die Weltwirtschaft gerade in einer Krise ungeahnten Ausmaßes befindet liegt an den immensen Kosten unseres Konfliktes mit der islamischen Welt. Insofern war der Schaden durch 9/11 gigantisch. Ich lese den „New Yorker“ gern, die „Vanity Fair“, „New York Times“ und den „Econnomist“. Die Ausländer, denken Sie nur an „Le Monde“, sind schlichtweg unterhaltsamer. Und oft viel besser informiert.

   Und welche Blätter nehmen Sie warum gar nicht mehr zur Hand?

Zur Hand nehme ich alles Gedruckte, das muss man als Essayist und Journalist ja. Wirklich unnötig aber ist die „Vogue“, nur noch übertroffen von „GQ“ und „NEON“.

   Gibt es einen Austausch, Verbindungen zu treudeutschen – stellvertretend genannt - „Junge Freiheit“-Kollegen?


Nicht die geringste. Denen sind meine Anzüge zu teuer und meine Anzüglichkeiten zu klug.

   Brillanz, innovative Kraft, Genauigkeit der Sprache zeichnen Ihren ersten Roman „Porcella“ aus. Sie distanzieren sich dennoch von allen und allem Intellektuellen …

So konsequent habe ich es nicht geschrieben. Ich finde vielmehr, dass in Deutschland intellektuell immer gleich nach impotent klingt. Nehmen Sie Sloterdijk. Wer kennt ihn? Wer hat „Sphären“ gelesen? Dafür, dass der mal aufs Sofa im Fernsehen darf, als kluges Feigenblatt der Nation, also wirklich ...

   Ich darf  Sie nun bitten, Monsieur Stazol, zu folgenden Namen und Stichworten spontan jeweils maximal drei Sätze zu sagen, ja?

Ich mache alles mit, Sir.

   Merci. Beginnen wir mit

Karl-Theodor zu Guttenberg:
Niederer Adel, würde meine Mutter sagen. Dieselben Usancen. Und sein „wohlbestalltes Haus“? Fragen Sie mal Lothar De Maiziere!

Alice Schwarzer
: Hat mit den Frauen von heute nur noch wenig zu tun, jedoch ist ihr   Respekt zu zollen. Eine Art weiblicher Helmut Schmidt.

„Es funzt“: Chakamuah.

Heidi Klum: Erstaunlich, wie gut Blondinen-Witze sein können.

Bernt Engelmann
: Zeitlos. Großartig. Als Klassiker längst unsterblich.

„Deutschland schafft sich ab“:
Lag bei Karstadt in Ingolstadt in der Kofferabteilung an der Kasse. Die Sarrazinen waren heldenhafte, gefürchtete Kämpfer. Sic transit Gloria Mundi.

Oscar Wilde:
Immer noch der brillanteste Spötter aller Zeiten. Außer mir vielleicht.

Paula Almqvist:
Wollte ganz eitel ihr Jugendportrait zu ner Kolumne im „stern“ haben, vor zehn Jahren. Irrelevant inzwischen. Keine Klassikerin.

„Journalismus ist unlesbar, und Literatur wird nicht gelesen.“:
Von Oscar Wilde. Stimmt. Ich jedoch bin da wohl ne Ausnahme.

Ursula von der Leyen:
Bestimmt kompetent. Irgendwo, irgendwie, irgendwann.

„Für den Künstler gibt es nur eine geeignete Regierungsform, und zwar gar keine.“:

Erneut Oscar W. Na ja, jedenfalls war der Feudalismus für Künstler deutlich besser. Ich glaube nicht, dass die Erzdiözese Würzburg bei ihren jetzigen Etats sich Tiepolo für ein Deckengemälde leisten könnte.

Der Photograph Karl Lagerfeld:
Würde gern Cecil Beaton sein. Ist er aber nicht.

Udo Lindenberg als Aquarelllist
: Ein Künstler beherrscht immer alle Metiers.

„Wir waren die Ärmsten unter den Reichen.“: The story of my life.

Benjamin v. Stuckrad-Barre
: Kein Schriftsteller. Das steht fest. Und schreckliche Anzüge.

Henryk M. Broder:
Das ist doch endlich mal 'n Intellektueller. Hat ehemals einen hoffentlich bleibenden Aufsatz mit „Ich liebe Karstadt“ überschrieben.

„Gesunder Menschenverstand ist eine seltene Krankheit.“:
Common sense, nennen es die Engländer. Eher selten in Deutschland. Deswegen ja die Engländer. Und ich hoffe, Herr Arlt, zum letzten Mal Oscar Wilde, bitte!

Romy Schneider
: Eine Göttin.

Sebastian Haffner:
Als Rhetoriker, impromptu, kaum erreicht. Noch ein unsterblicher Klassiker.

„Alles jüdische Theorien.“:
Das war ein Witz! Herrgott! So auch erklärt in meinem Buch. Hat weder was mit Broder, nichts mit Haffner oder gar unserer tausendjährigen Unterst-Historie gemeinsam.

Sex auf der Waschmaschine: Heterosexuelle Phantasie, um noch ein wenig Schwung in die Sache zu bringen. Bei meiner Gemeinschaftswaschküche eher schwierig.

Neo-Sexualität:
Einzige Antwort auf die Übersexualisierung der Gesellschaft. Stammt von meinem Sohn.

„Es ist unheimlich lästig, wild und zügellos begehrt zu werden.“: Die Muse würde ein Komma hinter „unheimlich“ setzen. Bitte nun Oscar Wilde ausblenden, mein Bester, sonst wird's gaga.

Hamburg grundsätzlich: Tolerant, elegant, interessant.

Ingolstadt grundsätzlich: Audi. Sonst nichts.

„Dat Hätz vun d'r Welt, jo dat es Kölle“, so die „Höhner“; und wurden mit dem Lied übers Rheinland hinaus populär: Herr Arlt, das versteht außer Ihnen ja kein Mensch über Köln hinaus!

„Made in Germany – verehren, fallenlassen, draufhaun.“:  Seitdem ich denken kann sieht's jedenfalls ziemlich danach aus.

   Diese Einblicke sollten als Metaphern oder Interpretationen für Ihre Deutschland-Hinwendung reichen, lieber Herr Stazol …


Danke, Herr Arlt. Aber ...

   Ach, ich bitte Sie! Müßig weiter und weiter zu morphen, warum Sie Ihre Federboa niemals tragen werden, weshalb Sie zur erwischten Schwarzfahrer-Innung der Hamburger S-Bahn gehören, ob Ihr Laptop eine Dior-Tasche braucht, warum sie die Mutter Ihres Sohnes nie preisgeben wollen, weshalb HNS zuuu viel raucht oder konsequenter Anti-Alkoholiker ist und so fort, ja?


Ja, konsequent. Trotzdem …

   Jaja, gerne, die Erwähnung von Ihrem Status als Lokstedter Blogger-Oberhaupt soll zum Finale unseres Gedankenaustauschs führen. Mit Ihnen zu dialogisieren, Herr Stazol, darf ich bei Goethe zusammenfassen, war ehrenvoll und brachte Gewinn.   

The pleasure was all mine.
   
   Not all your pleasure, I hope, for I had some of the pleasure, too, Verehrtester.
 
Ich würde unsern ereignisreichen Dialog gerne in mein nächstes Buch packen. Ihre Erlaubnis vorausgesetzt. Ich schreibe an „Neues aus Deutschland“, dem Folge-Essay-Band.

   Tun Sie's. Ich mache fast alles mit. Freilich unerlässlich ein Abschlussstatement, von Snob zu Althippie quasi, Ihren Buch-Aufmacher betreffend!

Yes of course: Ich rang um meine Liebe zu Deutschland, einer kapriziösen Geliebten, einer, der man lange Strecken einerlei ist, die sich nicht immer meldet, aber von der man weiß, dass sie da ist. Und mit einem Mal wird mir klar: Hier wird etwas real, das schwer zu fassen, das flüchtig wie ein Morgennebel ist, kurz wärmend wie die Sonnenstrahlen auf den Waldwegen meines Zufluchtsortes, bevor die Sonne weiterwandert. Da, wo Deutschland endet. Meine Liebe zu Deutschland, die endet nie. Wahre Liebe, daran habe ich immer geglaubt, ist ewig. Vor meiner Liebe verwandelt sich der Alltag zu einem Hintergrundrauschen, vor ihr ist nichts anderes mehr relevant, sie durchdringt und verzaubert alles, sie berührt tief und lässt Saiten erklingen, von denen man nichts weiß, und deren Klang man nur leise ahnt.


Jochen Arlt:
geb. 1948 in Dinklage, lebt in Houverath/Eifel. Redakteur für Kölner Tageszeitungen bis 1991. Seitdem freier Journalist und Autor. Bislang rund 30 Bücher mit durchweg lokalen Themen sowie Lyrik. Gründer KölnLiteraturPreis und Rheinischer Literaturpreis Siegburg.


Harald Nicolas Stazol:
geb. 1970, freier Autor und Journalist in Hamburg. 1996, nach Psychologie-Studium, Ausbildung an Henri-Nannen-Schule. stern, Financial Times Deutschland, merian folgten Veröffentlichungen in etlichen Lifestyle-Publikationen. Zwei Bücher im Plöttner Verlag: Porcella, Roman, Leipzig 2010; Ich bin gerne Deutscher – Eine Liebeserklärung, Essays, Leipzig 2011.