eingekreist - die Monatskolumne September 2011

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Im Kreis der Lieben, Teil 2

Diejenigen, die den ersten Teil nicht gelesen haben, sollten jetzt den ersten Teil lesen, denn ich gebe hier keine Zusammenfassung darüber ab, was im ersten Teil geschehen ist, sondern setze gleich direkt ein mit der Feststellung: Unsere Wohnung war inzwischen nicht mehr wiederzuerkennen. Ich sagte zu meiner katholischen Freundin:
„Hör endlich auf mit Putzen, es ist so sauber, ich fang schon an mit unserer Wohnung zu fremdeln.“
„Sauber? In deiner Wahrnehmung vielleicht. Aber nicht in der meiner Mutter und  Schwestern.“
„Die haben doch eine gestörte Wahrnehmung. Ich meine, was ist das für eine Wahrnehmung, die darauf spezialisiert ist, Schmutz wahrzunehmen. Sie sollten das Schöne wahrnehmen. Den Sonnenschein, ein Lächeln,  den…
„Machst Du jetzt auf Paulo Coelho?“, fragte meine Freundin, und ich antwortete ihr, daß ich sogar das in Betracht ziehen würde, denn schlimmer kann es mit meinem geistigen Zustand auch nicht mehr werden. Seit Tagen lief ich wie ein Mensch mit gesundem Sauberkeitsempfinden herum, saugte Staub, warf Papier weg, und zwischendurch warf ich Papier weg und saugte Staub.
Irgendwann graute der Morgen und mir vor dem, was jetzt unweigerlich auf mich zukommen würde. Ich zog die Decke über den Kopf und schloß die Augen davor, bis mich meine Freundin aufscheuchte. Die tiefverwurzelten Mechanismen ihres Familienzugehörigkeitsgefühls ließ sie unnatürlich aufgekratzt und freudig gestimmt wirken. Sie bleibt eben ein Kind ihrer katholischen Großfamilie, die sich immer weiter vermehrt wie ein gutartiger, jedoch wachstumsfreudiger Tumor. Jedes Jahr wird getauft, kommunioniert und gefirmt oder ein runder Geburtstag begangen, was Anlaß bietet zum frohen Beieinanderglucken. Diesmal bei uns. Ich brühte mir einen Kaffee auf und malte mir aus, was meine Mutter sagen würde, wenn sie nachher mein Zimmer betritt, zusammen mit der Mutter meiner Freundin: Christian, wenn Besuch kommt, hättest Du wenigstens mal Dein Zimmer aufräumen und staubsaugen können. Ich würde antworten, daß ich drei Tage lang aufgeräumt und gestaubsaugt hätte, und sie würde sagen, das ist ja noch schlimmer. Sie würde zu der Mutter meiner katholischen Freundin gewandt sagen, so ist er, unser Sohn. Ein verwöhntes Einzelkind, dem ich immer alles hinterhergeräumt habe. Aber das sei falsch gewesen. Man sehe ja, was aus ihm geworden ist. Ein armer Poet. Erst wollte er noch einen Doktor machen. Daraus wurde nichts und von Gedichten kann man nun gleich gar nicht leben. Ein Nicken von der katholischen Quasischwiegermutter. Wozu hätte ich überhaupt Soziologie studiert, wenn ich dann nicht als Soziologe arbeite, fährt meine Mutter fort. Das sei ein völlig überflüssiges Studium gewesen. Schreiben könne man auch ohne Studium. Die ganze Welt schreibt. Sogar Dieter Bohlen schreibt und wird gelesen. Ich müsse mal etwas schreiben, was die Leute auch lesen wollen. Schreib doch mal einen Krimi oder einen historischen Roman, so was wie die „Wanderhure“. Und jedesmal, wenn meine Mutter diesen Titel erwähnt, muß ich zwanghaft an das Wort Wanderniere denken, wobei ich mich so fühle, als ob ich eine hätte, wenngleich das natürlich Blödsinn ist, aber ich kann es nicht verhindern. Meine Mutter legt dann beherzt nach: Man muß ja auch mal an die Zukunft denken. Zur Quasischwiegermutter gewandt: Mit seinem Sprachgefühl könnte er übrigens auch ein guter Beerdigungsredner sein, da gibt es immer Arbeit. Und zu mir gewandt: Nebenher hättest Du auch noch ein bißchen Zeit fürs Gedichteschreiben. Vielleicht könne man das sogar miteinander verbinden!
So oder so ähnlich würde es werden. Ich habe das schon erlebt. Als ich meine erste Auszeichnung als Lyriker erhielt, neben dem Hauptpreisträger Wulf Kirsten - ich erwähne das natürlich nicht, um den Leser ganz beiläufig auf meine preisgewürdigte Begabung hinzuweisen – hatte meine Mutter am kalten Buffet eben diesen Wulf Kirsten nichts Besseres zu fragen gewußt, als: Sie sind doch Lyriker, wie können Sie denn eigentlich davon leben? Und irgendwie kann ich mich an das, was danach kam, nicht mehr erinnern. Aber es wurde mir überliefert, Wulf Kirsten habe nur weise gelächelt.
Dergleichen würde ich also wieder zu erdulden haben und als ich meinen Kaffee wie einen Schierlingsbecher ausgetrunken hatte, klingelte es an der Tür. Es wurde ernst. Erst kamen die Eltern meiner Freundin, dann ihre Schwestern, samt ein paar ihrer Neffen und Nichten. Ein fröhliches Stimmengewirr umgab mich, als stünde ich auf einer Piazza in Süditalien. Meine Eltern kamen kurze Zeit später. Ich lauschte und hörte schon im Treppenhaus, daß zwischen den beiden keine Mißstimmung war. Ein unvertraut abwesendes Geräusch. Meine Mutter betrat gut gelaunt mein Zimmer, lobte die Ordnung und Sauberkeit, meinte zur Mutter meiner katholischen Freundin: Hier schreibt mein Sohn immer seine lustigen Kolumnen. Alle staunten über die vielen Bücher in meinem Zimmer, das sie einvernehmlich als Bibliothek bezeichneten. Ich ging in die Küche und öffnete etwas verwirrt den Sekt. Die Stimmung wurde noch gelöster und munterer. Meine Mutter und die Mutter meiner katholischen Freundin hatten als Brustkrebsveteraninnen sogar ein gemeinsames Thema, über das sie sich bestens unterhielten. Alle sahen aus, als ob sie sich tatsächlich wohl fühlten. Sogar ich hatte den Eindruck, als ich an unserem Garderobenspiegel vorbeikam, daß mich ein halbwegs entspannter Kolumnist ansah. Selbst die Katholizismusklippe wurde gut umschifft. Als meine katholische Quasischwiegermutter einen ihrer echten Schwiegersöhne fragte, ob sie denn im Herbst auch zu Papst Benedikt pilgern würden, meinte er: Ach nöö, keine Lust. Und weil dieser Schwiegersohn seit einiger Zeit starke Rückenschmerzen hatte, aufgrund eines Wirbelsäulenschadens, meinte ich, in einem leichten Anfall polemischer Lust, er solle Benedikt doch die Chance geben, an ihm das Wunder einer Rückenheilung zu vollbringen, worauf er zur Antwort gab, daß Benedikt von diesem Wunder gar nichts hätte, weil er erst tot sein müsse, bevor ihm ein Wunder für seine Seligsprechung nützlich sei. Worauf ich einerseits wirklich verwundert war. Ich dachte immer, die Päpste erledigen Wunder in ihrer aktiven Zeit. Andererseits bohrte ich übertrieben naiv weiter in das Geheimnis des Glaubens hinein, obwohl mir als Freund einer katholischen Freundin inzwischen geläufig ist, daß es ja generell zum Christentum gehört, daß Tote seltsame Dinge tun, zum Beispiel Auferstehen. Ich fragte trotzdem, wie denn Tote Wunder tun können, wenngleich es ja schon ein Wunder sei, daß sie überhaupt noch etwas tun können, und wie man dieses Wunder, wenn denn eins geschehen ist, ausgerechnet diesem verblichenen Papst zurechne und nicht irgendeinem anderen Wunderprofi. Das war der einzige Moment an diesem Tag, an dem meine Quasischwiegermutter leicht gereizt zum Wechseln des Themas riet. Meine katholische Freundin beantwortete die Frage deshalb kurz und knapp: „Ganz einfach, man erwähle sich einen kürzlich verstorbenen Papst als Fürsprecher bei Gott, um für die Heilung einer unheilbaren Krankheit zu bitten. Wenn die Krankheit verschwindet, weiß man, der Papst ist weder in der Hölle noch im Fegefeuer, sondern bereits im Himmel, wo er einen ziemlich guten Draht zu Gott haben muß, sonst wäre die Krankheit nicht geheilt worden, womit seine Seligkeit bewiesen wäre.“ Und dann forderte sie mich auf, lieber noch Wein aus dem Keller zu holen. Jetzt wäre für mich die Gelegenheit gewesen, mir das Wunder der Weinvermehrung zuzuschreiben, aber das hätte nun doch wie ein das Thema etwas überstrapazierender Scherz geklungen, weshalb ich ihn mir verkniffen habe. Außerdem wollte ich es mir nicht mit meinem Fürsprecher verscherzen, der beim katholischen Gott ein gutes Wort für mich eingelegt hatte, damit die Feier so problemlos und für alle Beteiligten so glücklich wie möglich über die Bühne gehen möge. Allein für dieses Wunder hat er sich die Seligsprechung redlich verdient. Danke, Johannes Paul!