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Notiz
Kurz und knapp zu Peter Kurzeck – Notizen zu einer Lesung und ihre Folgen
Einer der weitschweifigsten Erzähler deutscher Sprache ist Peter Kurzeck, der zugleich einer der kurzweiligsten ist. Gegenstand seiner Ausführungen sind er selbst und seine jeweilige Gegend, zuförderst das hessische Staufenberg bis hin zum Lollaer Bahnhof oder anderen Provinz- Orten, denen er beschreibend zu Leibe rückt, weil er seinerzeit als dreijähriges Flüchtlingskind eben dort seine neue Heimat fand.
Der kleine, ältere Herr mit dem Clark-Gable-Bärtchen und den weißen, zurückgekämmten Haaren, den schelmischen Augen und seiner – dicht am Tick gebauten - erratischen Einhand-Gestik, sein souveräner Vortrag, der in ausgereiften Satzkonstruktionen daher kommt, die man genau so eins zu eins niederschreiben könnte – ja, konnte: Sein jüngstes Werk, das über 1000 Seiten starke Buch „Vorabend“, hat er tatsächlich 2010 an einem Stück in einer viermonatigen Lesung, die quasi ein Diktat aus seinen Aufzeichnungen darstellte, in freier Rede zur Niederschrift…im Literaturhaus ääh Frankfurt ? – und jetzt wüsste der Kurzeck ganz sicher, welches Verbum hier fehlt.
Bei seiner Lesung in der schönen Hamburger Buchhandlung Cohen + Dobernigg fesselte er durch seine akkurate Erlebnisfähigkeit und -tiefe, die aus Geräuschen, Gerüchen und/oder auch der Tagesluftfeuchtigkeit eine literarische Erzählung bauen kann, die einen Sinn in sich darstellt. Und eine ungeheuere Leistung: Erst durch ihn wurde mir klar, dass ich den Kartoffelgaul meiner Kindheit noch nie akkustisch erinnert hatte, also die schmalen Eisenreifen der hölzernen Spreichenräder auf dem Kopfsteinpflaster als Geräusch, wobei er noch an der Klangqualität Rückschlüsse auf die innere Verfasstheit des Pferdes oder des Kutschers oder das Wetter machen konnte. Ich schrieb eifrig mit.
Er nie. Er merkte es sich einfach. Seit man ihn alleine mit seiner Mutter bei Kriegsende in die Flucht aus Böhmen gezwungen hatte, das heißt aller Gewissheiten beraubte, glaubte er, sich alles merken zu müssen. Das tut er nun schon seit 64 Jahren. Er kann sich jedes Detail jederzeit in Erinnerung rufen. Auch das schrieb ich mit. Genauso wie die geniale Regal-Rotunde der Buchhandlung, in der der Vorleser quasi wie in einer Manege saß – zusammen mit der einen Hälfte der Zuhörer - während weitere zwei Dutzend außen im Kreis auf dem Tresen lehnend, in den Ring hinein schauten. Oder waren es zwei Dutzend Lampen? Ich hatte all das aufgeschrieben, aber ich wusste es nicht mehr, weil ich am nächsten Tag meine Notizen nicht finden konnte. Auch nicht nach stundenlangem Suchen. Auch nicht am Tag drauf.
Irgendwann fand ich mich drein, obwohl zwischen meinen Notiz-Postkarten auch eine Liste mit allen seinen vielen Büchern und noch eine Karte mit…ich kam schon gar nicht mehr drauf. Vielleicht war die schlichte Botschaft an mich: Fass Dich kurz. Nimm seinen Namen als Motto: Kurzeck und weg!
Also ganz kurz: Ich empfehle diesen großen Erzähler unbesehen, was Sie bitte You-tube-und-sonst-wie-mäßig überprüfen mögen. Meine Damen und Herren, Peter Kurzek live sowie sein 40-Euro-Opus „Vorabend“. Und: Ein ZEIT-Porträt, in dem auch die folgende topographischen Zeilen stehen: „Mehr noch als Gießen (und Frankfurt, wo der 68-Jährige seit 1977 im Wechsel mit dem südfranzösischen Uzès lebt) spielen in Vorabend zwei andere Orte eine tragende Rolle: das acht Kilometer von Gießen entfernte Städtchen Lollar sowie das Dorf seiner Kindheit, das kurz hinter Lollar auf einem Basaltfelsen thronende Staufenberg mit seiner Burg, wohin Kurzeck 1946 als Flüchtlingskind kam.“ finden Sie hier.
PS: Sagte jemand Heimatdichter? Allerdings - und obendrein!