eingekreist - die Monatskolumne November 2011

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Nach Möglichkeit zum Thema.

Ein thematischer Versuch dem Thema gerecht zu werden

Im Anschreiben des Oberbürgermeisters von Magdeburg, in dem die Autoren Sachsen-Anhalts zur Mitgestaltung der Landesliteraturtage aufgerufen wurden, stand folgender Satz: „Diese Jubiläums-Literaturtage stehen unter dem Motto ‚Kaiser-Zeit’ und verweisen auf den in Magdeburg geborenen und aufgewachsenen Dramatiker Georg Kaiser, einem der bedeutendsten Theaterautoren des 20. Jahrhunderts“. Das mußte gesagt werden, damit man ihn  nicht mit dem ungleich berühmteren Versicherungsvertreter verwechselt, der in der Werbung mit „Hallo Herr …“, na, Sie wissen schon, angeredet wird. Nun forderte das Anschreiben des Oberbürgermeisters des Weiteren dazu auf, sich mit einem konkreten Veranstaltungsangebot zu bewerben, nach Möglichkeit eben zum Thema „Kaiser-Zeit“. Wie zu allen Landesliteraturtagen, die jedes Jahr in einer anderen Region Sachsen-Anhalts stattfinden, muß man als Schriftsteller Fantasie beweisen, um dem jeweiligen Thema, das bevorzugt nichts mit dem zu tun hat, was einen als Schriftsteller eigentlich beschäftigt, gerecht zu werden. Leider versagt hier die Fantasie vollständig. Sogar bei den Fantasy-Autoren. Windige Begründungen werden aufs Papier gestottert. Ich selbst fand mich schon oft in dieser hochnotpeinlichen Schreibsituation wieder. Themen wie „Das Salz in der Suppe“, „Es war einmal, was könnte sein“  oder „Zwischen Zaubersprüchen und Moderne“ ließen mich verzweifeln. Hatte ich mich doch noch nie mit den Merseburger Zaubersprüchen befaßt und auch nichts Substantielles über die Methoden der Salzgewinnung zu sagen. Teilnehmen wollte ich allerdings immer, denn die Entlohnung ist lukrativ. Selbst Anfahrten in ungeahnte sachsen-anhaltinische Kleinst-Orte scheute ich nicht, oder Lesungstermine vor Schulklassen um neun Uhr dreißig in der Früh, einer Zeit, von der ich nicht geglaubt hätte, daß es sie gibt. Und Orte wie Haldensleben oder Langenbogen sollte man einfach mal gesehen haben. Nach solchen Expeditionen mußte ich mir immer wieder eingestehen, daß ich mich mit den regionalen Besonderheiten meiner Heimat bisher kaum befaßt hatte, und je mehr ich mir dies eingestand, desto deutlicher wurde mir bewußt, daß ich auch keinerlei Antrieb entwickeln würde, mich damit näher zu befassen. War es jetzt mit Georg Kaiser anders?

Nun muß ich eingestehen, daß ich sogar mehr als nur indirekt etwas mit Georg Kaiser zu tun habe? Ich bin nämlich einer der Preisträger des nach ihm benannten Literaturpreises. Als mich damals die freudige Nachricht erreichte, daß ich den Preis bekomme, mußte ich erstmal nachschlagen, wer Georg Kaiser überhaupt war. Bald darauf stand im Regionalteil der Bild-Zeitung geschrieben, daß ich den Georg-Cantor-Preis erhalten werde, was ich mir bei meinen mathematischen Fähigkeiten auch nicht habe träumen lassen. Genieße es, dachte ich mir, im gleichen Atemzug mit Georg Cantor wirst du sicher im Leben nicht mehr genannt werden.

All das ließ mich gegenüber dem Thema „Kaiser-Zeit“ eine gewisse Verpflichtung empfinden, der ich gerecht werden wollte. So beschloß ich, ein Gedicht über Georg Kaiser zu verfassen, um es zu den Landesliteraturtagen vorzutragen. Dies kündigte ich in meiner Bewerbung an, die ich schließlich an das Magdeburger Kulturbüro schickte. Und wie leicht war sie mir von der Hand in den Postkasten gegangen, denn zum ersten Mal würde ich nicht nur nach Möglichkeit, sondern tatsächlich etwas zum Thema beizutragen haben. Noch Tage danach hatte ich eine Art Nützlichkeitsempfindung, was für mich ein seltenes, aber sehr angenehmes Gefühl ist. Ich würde also in der Gattung des Porträtgedichts debütieren. Vorher mehrere Biographien lesen. Georg Kaiser als Dichter, als Mensch. Die Rezeptionsgeschichte. Auch die Primärliteratur würde ich mir in Teilen vornehmen, zum Beispiel eines seiner weltberühmten Theaterstücke, die nahezu unbekannt sind. Dann den eigenen Zugang suchen. Georg Kaiser und ich. Er wurde geboren in Magdeburg. Ich wurde in Bernburg geboren, wir beide also auf dem Territorium des heutigen Sachsen-Anhalts, wofür wir beide nicht verantwortlich zu machen sind. Bis zu den Landesliteraturtagen war zum Glück noch viel Zeit, um dieses gemeinsame Herkunftsschicksal angemessen zu thematisieren.

Ich widmete mich unterdessen anderen dichterischen Aufgaben. Recherchierte in Cafés. Analysierte das Nichts. Wollte schon den Mülleimer runterbringen, sogar die Küche wischen, und dachte, zur rechten Zeit würde mich die Muse schon nicht hängen lassen.

Natürlich geht das Leben wieder schneller dahin, als man es für möglich hält. Der Mensch ist ein exponentieller Zerfallsprozeß, sagte kürzlich ein Glücksforscher im Radio. Zu guter Letzt stellte sich heraus, daß ich in einer Woche mein Georg-Kaiser-Portraitgedicht vortragen sollte. Obwohl ich ein Beherrscher des Formenkanons, ein Profi der Poesie bin, hatte ich die ganze noch verbliebene Woche mit Dichten zu tun, so daß ich sehr zum Ärger meiner katholischen Freundin, in dieser Zeit weder den Müll runterbringen, noch die Küche wischen konnte.   

Und dann war es soweit. Vor einem sichtlich gespannten Publikum trug ich die Verse vor. Das Gedicht greift übrigens die Form des Limericks auf und geht so:

 

Aus Machteburch kam Georg Kaiser.

Das machte dort niemanden weiser.

Er ging nach Berlin.

Man vergaß ihn.

Sein Name hält noch für ’nen Preis her.

 

Als ich fertig war mit Vorlesen, klatschte das Publikum begeistert. Ich kam sogar ohne größere Verletzungen wieder zurück nach Halle, was man von den Fans des HFC nicht immer behaupten kann.