drei lebensweisheiten in vier strophen / oder: wir sind unsere eigenen philosophen

Poetry

Autor:
Theresa Hahl
 

Poetry

drei lebensweisheiten in vier strophen / oder: wir sind unsere eigenen philosophen

I

ich kam einmal vorbei an einem alten schrebergarten

da stand ein graugebückter mann gelehnt auf seinen zederspaten

stand wohl schon lang unübergehbar wartend

und schien kein freund von normkonformen redensarten

als habe er ein bisschen weisheit aufgespart denn

wie ich um die ginsterhecke bog

erkannte man was er bezweckte als er auf halber strecke vor mir filigran den finger hob

und nen gedankenstrang aus seiner schläfenecke zog

und sprach:

„an den schnittstellen der wahrheit faltet man oregami

schließ deine augen und hör deine stimme so klar wie

ein kristallton im gläserrandgesang

denn jeder kopf sein eigener trabant

und der kohlenstoff im eigenen triebwerk verstand

denn sonnenstrahlen sind auch nur kondensierter goldglanz

luft nur sehr dünn gemalter himmel ohne wolkenfirlefanz

streusalz körniges meer mit ein bisschen weißer farbe

und alltag eine schlecht gestellte frage

die ich wie du und jeder hier nur selten gut vertrage“

 

II

gleicher tag an andrer stelle

auf dem weg zu nem bekannten

zog es mich in eine welle

hektischer passanten

ging fast verloren in der menge die hetzte im takt

doch ein einzelner mann der setzte sich ab

 aus dieser verstörenden verdichtung

strebte er ganz unbeirrt genau in meine richtung

mitten durch die menge schob sich diese kleinere gestalt

vom anschein eher abgewetzt, gebeutelt grau und alt

steuerte gekonnt den kurs durch diese körperteilgewalt

und kam letztendich angelangt vor mir zu seinem halt

dort inmitten dieses hektischen geschehens

hob er kurz die hand zum gruß und ließ mich dann verstehen:

„gleichsam steht man oft im leben und wartet bis die fronten sich ergeben

und sitzt auf diese weise lang

beginnt man nie mit dem laufen kommt man aber auch nirgendwo an

wenn es zwischenzeitlich an leichtigkeit, licht und weitsicht fehlt

und der grauwind einen wortlos umweht

ist wenn mans genau nimmt mit ausgestreckten armen laufen fast so wie fliegen

und hebt man dabei noch ein bisschen das kinn lässt man die welt unten liegen

vielleicht geht man ja verloren in jeder banalen begegnung

doch immerhin ist verloren gehn doch eine art der bewegung“

 

 

 

III

die stadt lag im schweigen zu glatt in den scheiben

als wollte ein rhytmisches streichen die nacht zu mir treiben

sah ich den dritten philosoph

der mit dem besenstiel gewappnet die zeit vor sich herschob

noch im rhythmus seines besens die stimme wohl erhob

und während er noch fortfuhr die straße zu kehren

man könnte schon behaupten in ekstase zu erklären

„in diesen tagen versucht man sein glück einzuklagen

durch jammern und beschwerden

und kann dadurch doch nur unglücklich werden

dabei sind die anforderungen daran doch so klein

man braucht nur etwas mut um im einklang zu sein

ein bisschen davon aufzuheben was an zufriedenheit

unbesehen in den straßen stundenlang so liegen bleibt

ja besonders lange schatten wirft man dann wenn man sich ständig im weg steht

und ein flaues gefühl im bauch gibt es auch wenn man sich nur um sich selbst dreht“

 

IV

die welt drückt sich durch meine augen

oft bleibt man stehn um nicht verloren zu gehn

sie setzt sich durch und lässt den willen glauben

dass wir was um uns abläuft auch verstehn

es ist nicht möglich das grundrezept fürs leben in wortgewalt zu fassen

weil dich im angesicht der wirklichkeit die worte bald verlassen

und scheint jede glückskeksweisheit nur larifari und blabla

dann schau in deinen kopf und seh zumindest da die dinge klar

 

an den schnittstellen der wahrheit faltet man oregami

und ich glaub wohl es ist wahrscheinlich ich erfahr nie

wie man weise stramm und mit sich einig gut sein leben führt

und den ganzen sinn darin zuletzt wahrhaftig spürt

doch läuft man mit ausgestreckten armen ist das fast so wie fliegen

und hebt man dazu noch ein bisschen das kinn lässt man die welt unten liegen

wir sind unser eigener treibstoff hat man mal das triebwerk erkannt

und das rezept für zufriedenheit steht einem von letzter nacht noch mit kuli auf der hand

 schließt man die augen hört man musik, beat und gesang

einer gabel voll klarheit an der gläserrandwand

denn wahrheit ist dein eigenes lied auf repeat im verstand

 

(Erstveröffentlichung)