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Poetry
drei lebensweisheiten in vier strophen / oder: wir sind unsere eigenen philosophen
I
ich kam einmal vorbei an einem alten schrebergarten
da stand ein graugebückter mann gelehnt auf seinen zederspaten
stand wohl schon lang unübergehbar wartend
und schien kein freund von normkonformen redensarten
als habe er ein bisschen weisheit aufgespart denn
wie ich um die ginsterhecke bog
erkannte man was er bezweckte als er auf halber strecke vor mir filigran den finger hob
und nen gedankenstrang aus seiner schläfenecke zog
und sprach:
„an den schnittstellen der wahrheit faltet man oregami
schließ deine augen und hör deine stimme so klar wie
ein kristallton im gläserrandgesang
denn jeder kopf sein eigener trabant
und der kohlenstoff im eigenen triebwerk verstand
denn sonnenstrahlen sind auch nur kondensierter goldglanz
luft nur sehr dünn gemalter himmel ohne wolkenfirlefanz
streusalz körniges meer mit ein bisschen weißer farbe
und alltag eine schlecht gestellte frage
die ich wie du und jeder hier nur selten gut vertrage“
II
gleicher tag an andrer stelle
auf dem weg zu nem bekannten
zog es mich in eine welle
hektischer passanten
ging fast verloren in der menge die hetzte im takt
doch ein einzelner mann der setzte sich ab
aus dieser verstörenden verdichtung
strebte er ganz unbeirrt genau in meine richtung
mitten durch die menge schob sich diese kleinere gestalt
vom anschein eher abgewetzt, gebeutelt grau und alt
steuerte gekonnt den kurs durch diese körperteilgewalt
und kam letztendich angelangt vor mir zu seinem halt
dort inmitten dieses hektischen geschehens
hob er kurz die hand zum gruß und ließ mich dann verstehen:
„gleichsam steht man oft im leben und wartet bis die fronten sich ergeben
und sitzt auf diese weise lang
beginnt man nie mit dem laufen kommt man aber auch nirgendwo an
wenn es zwischenzeitlich an leichtigkeit, licht und weitsicht fehlt
und der grauwind einen wortlos umweht
ist wenn mans genau nimmt mit ausgestreckten armen laufen fast so wie fliegen
und hebt man dabei noch ein bisschen das kinn lässt man die welt unten liegen
vielleicht geht man ja verloren in jeder banalen begegnung
doch immerhin ist verloren gehn doch eine art der bewegung“
III
die stadt lag im schweigen zu glatt in den scheiben
als wollte ein rhytmisches streichen die nacht zu mir treiben
sah ich den dritten philosoph
der mit dem besenstiel gewappnet die zeit vor sich herschob
noch im rhythmus seines besens die stimme wohl erhob
und während er noch fortfuhr die straße zu kehren
man könnte schon behaupten in ekstase zu erklären
„in diesen tagen versucht man sein glück einzuklagen
durch jammern und beschwerden
und kann dadurch doch nur unglücklich werden
dabei sind die anforderungen daran doch so klein
man braucht nur etwas mut um im einklang zu sein
ein bisschen davon aufzuheben was an zufriedenheit
unbesehen in den straßen stundenlang so liegen bleibt
ja besonders lange schatten wirft man dann wenn man sich ständig im weg steht
und ein flaues gefühl im bauch gibt es auch wenn man sich nur um sich selbst dreht“
IV
die welt drückt sich durch meine augen
oft bleibt man stehn um nicht verloren zu gehn
sie setzt sich durch und lässt den willen glauben
dass wir was um uns abläuft auch verstehn
es ist nicht möglich das grundrezept fürs leben in wortgewalt zu fassen
weil dich im angesicht der wirklichkeit die worte bald verlassen
und scheint jede glückskeksweisheit nur larifari und blabla
dann schau in deinen kopf und seh zumindest da die dinge klar
an den schnittstellen der wahrheit faltet man oregami
und ich glaub wohl es ist wahrscheinlich ich erfahr nie
wie man weise stramm und mit sich einig gut sein leben führt
und den ganzen sinn darin zuletzt wahrhaftig spürt
doch läuft man mit ausgestreckten armen ist das fast so wie fliegen
und hebt man dazu noch ein bisschen das kinn lässt man die welt unten liegen
wir sind unser eigener treibstoff hat man mal das triebwerk erkannt
und das rezept für zufriedenheit steht einem von letzter nacht noch mit kuli auf der hand
schließt man die augen hört man musik, beat und gesang
einer gabel voll klarheit an der gläserrandwand
denn wahrheit ist dein eigenes lied auf repeat im verstand
(Erstveröffentlichung)