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Laudatio
Und wenn ja, wie viele? * Laudatio und einführende Bemerkungen zu dem Roman "Also bin ich" von Jörg Kremers und Gerd Sonntag
Der Volksmund, meine Damen und Herren, tut zwar so, als hätte das jeder von uns selbst in der Hand, jedenfalls im richtigen Leben, wenn schon nicht im Roman, wo schließlich doch die Autoren nach eigenem Gutdünken die Fäden ziehen, an denen hilf- und wehrlos ihre Kreaturen hängen. Aber der Volksmund lügt, bewusst oder unbewusst, das ist egal, wenn er sich darauf versteift, dass jeder von uns seines eigenen Glückes Schmied wäre. Ist es nicht vielmehr so, dass wir auf einem Altar des Lebens wie auf einem Amboss liegen und viele Hämmer schwingend mitschmieden an unserem Glück, an unserem Unglück, selbstverständlich auch das eigene, gelegentlich unerbittliche Ich?
Was aber weiß der Volksmund über den Autismus des Bösen, wonach trachtet der Teufel und was ist die Hölle? Um Gott kümmern sich viele, ganze Heerscharen, irdische und - meinetwegen - himmlische. Wer aber fragt schon, wie es dem Teufel geht, wie es in seiner vereinsamten Seele aussieht oder was für ein Film in ihm abläuft, wenn er zwanghaft an irgendeine Haustür klopfen muss? Beim Flanieren mit Pater Lorenzo durch Rom werden wir ganz gut ins Bild gesetzt. Zitat:
"Ich glaube der Teufel ist sehr mit sich allein ...er ist der Fürst der Einsamkeit und der Leere, ein Lügner, der uns Hülle und Fülle vorgaukelt, wo tatsächlich nichts ist. Die Geschichte des Bösen ist ja nichts anderes als ein Panoptikum seiner Verrücktheiten. Das Böse ist immer grotesk. Und warum? Weil der Antichrist selbst unfähig ist selbst etwas zu schaffen. Im eigentlichen Sinne gibt es das Böse also gar nicht, es ist nur das ins Gegenteil umgestülpte Gute". (S. 29)
So weit die heiligen Worte des Pater Lorenzo. Im Rückgriff auf unsere heutigen Erfahrungen wäre als Beispiel einer Verdeutlichung die Analogie zulässig, der Teufel ist eine Art Banker, der mit Leerverkäufen schwungvollen Handel treibt und aus dem Nichts Kapital schlägt. Dieser Prozess schmiedet Alltagselend, Ängste, prägt und vernichtet Existenzen, zerrüttet Seelen oder teert sie mit Gier und Geld und Verdammnis.
Eine Software namens "Fremdbestimmung" ist es, die da viel zu häufig unbemerkt auf unsere Festplatte zugreift und dort nach eigener Windows-Programmierbestimmung Fenster um Fenster öffnet, oder gewaltsam schließt, unseren Blick oder unser Denken infiziert: Cogito ergo... mit Viren, wie das im Fachjargon heißt, oder - ich würde im Zugriff auf die dritte Person Plural sagen, mit WIRen! Sie übernehmen - das muss man sich wie eine Art Staatstrojaner vorstellen - die Steuerung sämtlicher Abläufe, Prozesse und letztlich auch der Handlungen, Verhandlungen und Verurteilungen. Und will man perfide sein, ließe sich durchaus behaupten, diese WIRen produzieren den Straffall selbst, für den sie uns nachher zur Verurteilung dem Richter vorführen. Philosophisch ließe sich hier ein weites Netz auswerfen: Wir sind von Geburt an straffällig. Der Gewaltvorstoß unter Blut ins Leben ist schon das Verbrechen und der Tod die von vornherein unverrückbare und angemessene Strafe dafür. Diesem Urteil entgeht keiner. Das hört sich zwar fatal an, aber der Psychologe Anselm Halverstett bleibt mit beiden Füßen und vor allem mit dem Kopf in solch einem anderen Netz hängen. Und so geschieht auf sanfte Weise das Unvermeidbare: Die Personen gleiten durch die Geschichte dahin und sie verändern sich. Die Messerattacke auf das Gemälde "La Deposizione dalla Croce" von Caravaggio (circa 1602) - der Riss verläuft genau durch die Kehle des von zwei Männern getragenen Leichnams Jesu - ist ein frühes Signal.
Vielleicht ist alles Zufall im Leben, vielleicht, doch auch am Zufall sind höchste Zweifel angebracht, führt der Zufall doch oft - so auch in diesem Roman - ein Eigenleben und plant sich selbst. Ist es also Zufall oder Wunder oder Gottesplan, dass sich nach sieben Jahren Halverstett und Ignatius plötzlich in Rom gegenüberstehen, genau zum Zeitpunkt des Attentats auf das Gemälde des öfters wegen schweren körperlichen Attacken inhaftierten jähzornigen, aber auch genialen Malers Caravaggio, dem sogar Freundesmord zugeschrieben wird?
Die Geschichte einer unglücklichen Verbindung von Wahrheit und Wahnsinn entfaltet sich, nimmt unaufhaltsam ihren Fortgang, getragen von Selbst- und Fremdbestimmung, von Erfahrung und Verfahrung. Gewitzt wird da mit Satz und Gegensatz gearbeitet, geschickt mit der Vatersuche gespielt, steht doch der sensible, wissbegierige Psychologe Halverstett mächtig im Schatten seines übermächtigen Vaters. In solchem Zusammenhang gelingt den Autoren eine satirisch hervorragende Persiflage, wenn in Rom, während des Herumtappens in dieser, wie es im Buche so schön heißt, "restaurierten Geschichtsdeponie ROMA AETERNA" und im kirchlichen Gedränge Pater Lorenzo unerwartet zum vermeintlichen Papst mutiert und verkannt von den Gläubigen bedrängt wird, an ihnen Segen und Wunder zu vollbringen.