Inspiration

Kurze essayistische Arbeit

Autor:
Ulrike Draesner
 

Kurze essayistische Arbeit

Inspiration - ein in der Vorweihnachtszeit häufig benutztes, phathosverdächtiges Wort. Ein Geschenk aus Geschwindigkeit und Zeitlupe von Ulrike Draesner.

Jedes aufgeladene Wort hat sein Gegenwort, das eben jene Grimassen zieht, die das Pathos des Counterparts nicht erlaubt. Mein Balancewort zu ‚Inspiration‘ ist Verquickung. Ich mag es, weil es so eigensinnig deutsch ist. Auf Englisch verliert es allen Charme, man kann es nicht „richtig“ übersetzen, sich nur annähern mit dem flachen „combination“. Da ahnt man, was fehlt. Das „quick“ zum „ver“, das ansonsten noch in „quicklebendig“ steckt und in „erquicken“ sein Wesen treibt, kommt aus dem Niederdeutschen und meint „keck“. Inspiration ist drehende Munterkeit und quecksilberische Selbstbewegung durch Mischung, neugierig, beherzt und rasch unternommen.

    Gedicht: die sich anschließende Arbeit des Lesens und Prüfens, Hörens und Vortragens. Gedicht: vielleicht zehn in einem Jahr. Und zuvor jener unfassbare Beginn. Was keineswegs auf Magie verweist: wer darüber nachdenkt, wo oder wie etwas anfängt, gerät regelmäßig in einen endlosen Regress der Anfänge. Womit eine weitere Bedeutung des Wortes ‚Inspiration‘ – und vielleicht seine wichtigste -, zum Tragen kommt: dieses Wort ist ein als Wort getarnter Punkt. An den Anfang gesetzt, um alle Fragen nach diesem Anfang durch seine Uneinholbarkeit zum Schweigen zu bringen –

    und zugleich noch einmal zu stellen.  Weil es dieses Erlebnis ja doch gibt: eine nicht steuerbare, befallend überfallende und benutzende, verlangsamende und beschleunigende Vermischung setzt ein. Keck, lebendig und mutig rührt sie Bilder des Körpers in verschiedenen Sinnen zusammen. So dass ich das An-stehen und Dasein dessen, was in Worten erscheint, spüre, weil ich zugleich spüre, wie die Worte das, worauf sie zielen (sie bezeichnen es nicht, sie kleben nicht darauf), erscheinen lassen (in welchen Rändern, Mustern, nach welchen Ordnungen)– wie es darin in Rhythmus, Sinnlichkeit der Sprache selbst, in Unwucht und instress – Betonung nach innen - der Wörtlichkeit/Verfasstheit in Sprache - sich bewegt  - und darüber hinausreicht, ein Stück verkörperter oder geronnener, zu einem seltenen roten Faden gebündelter Exterritorialität, die in der Bewegung der Worte auf der Seite und in einem selbst, im Lesen, als Spur ihrer selbst, Abbild des Abbildes, anwesend und fühlbar und denkbar wird.

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