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Kurzprosa
Spinnenweb-Spätsommer von Mechthild Curtius
Sarah Siebenlicht heißt sie und erklärt, dass dieser Name von ihren Großeltern aus Lothringen sei. Auf einem Pferdemarkt haben sie sich kennengelernt. Und die Familie ihres Mannes hat auch einen sprechenden Namen. Boobsde heißen sie auf Oerewällerisch. Pabst ist hochdeutsch. Region Bergstraße -Odenwald. Die Pabst gehören zu den ältesten Familien des Dorfes, bei denen stets ein Sohn dem Vater als Hofbesitzer folgt. Der erste Pabst, Philipp Heinrich, stammte aus Reinheim, war Sohn des dortigen Teichmanns Johannes Pabst und heiratete die Tochter des Burgeinwohners, Gerichtsmanns und Kirchenältesten Johannes Jakob Schwebel und der Barbara, geborene Klim. Wie viele Odenwälder Bauernhöfe haben sich die Pabst-Siebenlichts neben der Landwirtschaft mit Säften, Most, Marmelade von den Apfelwiesen, mit Delikatessen von den Walnussbäumen, durch Pferdezucht erhalten. Ferien auf dem Bauernhof mit Kutschfahrten und Reiten. So steht es im Netz: "Verkauf selbsterzeugter Produkte: Die gesunden Bergwiesen sollen nicht nur den eigenen Pferden zu gute kommen. Bio-Heu von Bergwiesen." Oktobernebel versilbert das Gelb und Braun der Laubbäume, nur die Birnbäume glänzen grüngoldrot, Wassertropfen glitzern in diesen dünnen Spinnenweben zwischen den Büschen, die manche Altweibersommer nennen, Spinnenweb-Spätsommer heißt das von altersher. Bunt sind nicht die Wälder, gelb nicht die Stoppelfelder, und an den Wänden reifen keine Pfirsiche mit Streifen, die sind längst geerntet. Dafür männerfaustgroße quittegelbe Quitten, manche im Gras angefault und von Wespen umsummt. Gut beobachtet haben die Dichter nicht oder es war damals sehr anders. Felder fast alle umgepflügt braun. Von den noch dicht belaubten Baumkronen fallen langsam Blätter. Sarah stapft in knöchelhohem Laub, das feucht an den Stiefeln klebt, gelb an Schwarz. Bergauf talab, droben auf der Anhöhe anhalten, rundherum sehen. Hier und da eine Odenwald-Burg, ein Schloss, steingrau nistet Frankenstein, tünchweiß Lichtenberg, zwischen dem kostbaren Laubgemisch aus Eschen, Bergulmen, Eichen, Buchen dehnt sich über Hang-Wellen und Dellen ein rotbraunes Feld, sei es Dach oder Gebüsch aus blutrotem Hartriegel. Sie läuft den krummen Grasweg ins Tal, neben dem rauschenden Bach hin zur Mühle, deren Holzbretter, angefault, moosig, nicht klappern. Doch orangerot leuchten riesenhaft heuer die Beerendolden der Ebereschen über den Büschen. Sarah Siebenlicht läuft, immer unruhig, den Hang rechts hoch zu einem Bretterschuppen, vorsichtig zwischen Kuhfladen von Grasbüschel zu Bohlen, liest viele der gelben Falläpfel in eine Tüte, wieder herunter an den Weg zwischen den Weiden, wo Bernhard nach den dreizehn falbbraunen Haflingern schaut, die zwischen zwei Bächen in dem weiten Areal grasen, rechts Hügel, links Tal, dazwischen Erlenreihen und Pappeln am Wasser, dichte Rasenbüschel, Paradies freilaufender Tiere, alle Pferdegenerationen. Das jüngste Fohlen hat die längste Mähne, und die steht in die Höhe wie der Irokesenkamm mancher Jungens im Dorf. Sarah Siebenlicht hält ihm auf flacher Hand einen gelben Apfel hin, das Pferd bläht die Nüstern, umfasst tastend die Frucht mit mehlweißem Maul. Entré im Hofgut und gegenüber dem Tor vor Holzpaneel Kupferbecken Händewaschen. Sarah geht durch die Diele an den Eichentisch unter dem Fenster zum Hof. Mit spitzem Stift schildert sie Wellen im Bach, Bachstelzen auf spitzen Steinen, die violetten Blüten der Herbstzeitlose mit dem grellgelben oder safranorange baumelnden Stempel. Dichten. Urahne Anna ist im Bach zu Tode gekommen, in vierzig Zentimeter Wasserhöhe hat sie sich ersäuft, mit einem Mostfässchen, Boden raus geklopft, übergestülpt, Kopf und Beine raus geragt. So hat man sie zwischen Wasserschierling gefunden. Das Lied vom Wasser-Suizid.
© Curtius & Hauke. Wörter Curtius % Bilder Hauke. Bei Texte & Bilder