Kolumne
Schwarze Messe
Buchmessen sollte man, wenn man selber schreibt und keinen Erfolg damit hat, nicht besuchen, außer man ist Masochist. In dieser Zeit spare ich mir den Besuch bei der Domina und löse für ein paar Euro ein Buchmessenticket. Frankfurt am Main ist mir allerdings zu weit weg, um per Anhalter, geschweige denn als Sachsen-Anhalter (sic), hinzufahren. Da unterstütze ich lieber die lokale Schmerzkünstlerin und fahre immer frühjahrs zur Leipziger Buchmesse. Die ist gleich um die Ecke und bietet mir das komplette Programm.
Schon auf dem Weg zu den Messehallen war ich dem Ingeborg Bachmannpreisträger Tilmann Rammstedt begegnet. Der lief wie ein Tilmann Rammstedt an mir vorbei. Mensch, das ist der Tilmann Rammstedt, dachte ich so bei mir, und sah ihn an, und gleich wieder weg, um ihm nicht das wohltuende Gefühl zu geben, das sich einstellt, wenn er erkennt, daß ich ihn wiedererkenne, womöglich vom Fernsehen her (denkt der sich schließlich noch). Was kaum zu verhindern war. Zwanghaft sah ich wieder zu ihm hin und da begegneten sich unsere Augenpaare. Zu spät erkannte ich, daß er erkannte, daß ich ihn erkannte. Das brannte auf der Seele, als wäre sie (1) einem Wachstropfspielchen ausgesetzt. Zur Einstimmung nicht schlecht. Und nun ab durch die Drehtür. Die Glashalle ist nur die Vorhölle. Ich stabilisierte mich etwas. Immerhin habe ich eine Umhängetasche um und einen Gehrock an. Man könnte mich glatt mit einem Autor verwechseln. So guckte ich nun auch den Leuten ins Gesicht. Mich habt ihr schon mal gesehen, verrät mein Blick. Ihr habt nur vergessen, wo. War es nicht neulich bei Kulturzeit gewesen? Nun sah ich Ernst A. Grandits von Kulturzeit zwar nicht ähnlich, ihn jedoch gerade auf dem blauen Sofa bei dem Versuch, zu reden. Er ist wahrscheinlich der einzige Moderator, bei dem das Stottern berufsnotwendig ist. Und - hier stock ich schon - weil ihn das sehr sympathisch macht, höre ich jetzt lieber auf, mich darüber lustig zu machen. Adieu Ernst. Ich schlug lieber direkt den Weg ins Schmerzzentrum ein. Das ist Halle 5, der Ort der ambitionierten Literaturverlage. Hier sieht man Leute, die sich offensichtlich gegenseitig erkennen. Kleine Grüppchen, die an ihren Netzwerken knüpfen. Lektoren, die sich die Finger lecken, als hätten sie die Buch- mit einer Erotikmesse verwechselt.
An der Leseinsel der jungen Verlage nämlich sah und erkannte ich überall junge Lyrikerinnen. Einige von ihnen saßen vorn, auf der Bühne, um zu tun, was sie ja nicht unterlassen können. Was auffällt: Alle Lyrikerinnen die da sitzen, sind im wesentlichen hübsch. Kaum eine hat einen Zinken im Gesicht oder ist fett. Obwohl gerade die, die einen Zinken haben oder fett sind, Grund hätten, Gedichte zu schreiben. Die schreiben sie wahrscheinlich auch. Doch Preise bekommen sie kaum. Man sagt ihnen lieber nicht, warum. Ehrlicher wäre es, ihnen gleich am Anfang, z.B. an den Schreibschulen zu sagen: Du schreibst gute Gedichte, Du bist nur zu häßlich dafür. Dann sehe ich plötzlich die Elke Erb um die Ecke biegen und bin getröstet. Endlich mal wieder eine, die einen offensichtlichen Grund hatte, viele Gedichte zu schreiben. Hübsch sein und auch noch gute Gedichte schreiben, für mein Gerechtigkeitsempfinden schließt sich das aus.
Im biblischen Brunstton und Doppelsinn des Worts Erkennen, hätte ich wohl gern über mich sagen mögen: und er erkannte die jungen Lyrikerinnen, eine nach der anderen, gleich hinter der Bühne. Aber nichts da. Dafür sah ich Tilmann Rammstedt, wie er sich gerade mit Daniela Seel, Lyrikerin und Verlagschefin des allseits nur unter Lyrikern und Innen bekannten Kookbookverlags, weshalb ich dies erklärend erwähnen muß, unterhielt. Von ihnen wie immer sehr unbemerkt ging ich an ihnen vorbei, um mir die, das will ich durchaus nicht unerwähnt lassen, gutgestalteten Lyrikbände anzusehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blätterte ich in einem Gedichtband, zum Beispiel von dieser - aber die, die kennen Sie ja eh nicht. Die kennen nur wir, die wir dort auch im Regal stehen wollen. Mit dem Gefühl von Dreikilogewichten an den Hoden, versuchte ich mich seitwärts davonzustehlen, dorthin, wo man erst mal eine Wurst, oder auch mal zwei drei, in sich hineinstopfen und sich bei überteuertem Bier die Kante geben kann. Geben ist seliger denn Nehmen. Aber auf dem Lyrikmarkt muß man hart im Nehmen sein. Deshalb ging ich am Abend auf eine der überall in Leipzig stattfindenden Literaturparties. Und zwar auf die Party der jungen Verlage, wo mich das junge Lyrikerinnengemüse endgültig zum Chinesen des Schmerzes machte (ein Handketitel übrigens, der meinen Text intertextuell aufwertet). Wenn man mal richtig alt aussehen will, geht man auf die Party der jungen Verlage. Dort traf ich Tilmann Rammstedt wieder. Er kam mit seinem lautmeckernden Lachen durch die Tür hineingeschneit, rechts und links eine junge Literatin im Arm, die so taten, als wäre er so lustig, wie er sich selbst fand. Sprüche, Kalauer, Pointen, die er unablässig von sich gab. Im Grunde unerträglich. Vor allem, wenn man merkt, daß sie wirklich lustig sind. Als Masochist gibt man spätestens hier das vereinbarte Zeichen zum Aufhören. Ich stand aber nur da mit Bier und der Miene des wütenden, sekündlich alternden jungen Mannes, ganz in der Nähe, immer wieder zu ihm hinschauend, solange, bis der Tilllmann Rammstetd sich wohl dachte: „Will der mich abstechen oder mich mit seinem Manuskript belästigen. Und was wäre schlimmer?“. Und als ich schon soviel getrunken hatte, daß ich fast keine Hemmungen mehr besaß, um TillmaNN rAMMSTEDT endlich zu sagen, wie ich sein neues Buch fände, ging ich. Noch in der Nacht schrieb ich folgendes Gedicht:
Autorrennen
Ich sehe gerne rennen
Autoren, Autorinnen
auf großen Büchermessen
zum Hannibal Lektor
der mag ihr Zeug nicht fressen
da kauen sie ihm ab das Ohr
und lesen wie besessen
vor
1) dieses imaginäre Etwas aus der Begriffskonkursmasse des Abendlandes
Christian Kreis für Fixpoetry April 2010