Traurige Temperaturen (Januar 2011)

Kolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Kolumne

Traurige Temperaturen

Die heißesten Momente erlebt meine katholische Freundin in der Badewanne. Die Wassertemperatur ist so hoch, daß sie sicher sein kann, daß ich ihr nicht nachsteige, und selbst wenn, so gäbe es doch nur ein schlaffes Brühwürstchen hinterher. Gerötet wie ein Krebs im französischen Restaurant betritt sie nach einer Stunde Kochzeit mein Zimmer, schön warm eingewickelt im Bademantel, um den Kopf ein Handtuch geschlungen, was nicht allzu entfernt an die Kopftracht der Janitscharen erinnert, der Elitefußtruppe des türkischen Sultans. Ich habe mir unterdessen Sorgen gemacht. Die ganze Zeit ist mir das Herz meiner Geliebten nicht aus dem Kopf gegangen, das sich natürlich mit ihren anderen Organen in der Badewanne befunden hat, um den Kreislauf in Gang zu halten. Daß es dabei nicht schwach wurde, ist mir ein Rätsel. Sie könnte bei einem finnischen Saunawettbewerb antreten und viel Geld für uns beide gewinnen. Außer sie verliebt sich dabei in einen finnischen Saunaprofi und brennt mit ihm durch. Denn was stelle ich in ihren Augen schon dar. Eine halbe Stunde, nachdem sie aus dem Wasser gestiegen ist, halte ich vorsichtig meinen Fuß hinein. In Zeitlupentempo gleitet der Rest meines Körpers von Hitzewellen durchflutet immer tiefer hinab in die vulkanischen Tiefen der Wanne. Für meine Freundin ist die bereits kalt. Sie würde frieren. Vielleicht hat sie ja auch Sehnsucht nach einem Bad zu zweit. Und wenn sie in der Wanne liegt, winkt ihr aus den Fatamorganabadschwaden ein heißer Finne zu. So bin ich nur der deklassierte Zweitbader.
 
Es wäre mir allerdings schlicht unerträglich, die Energie, die in diesem Wasser steckt, mit der ein Mensch in der dritten Welt eine ganze Woche auskommen muß, für nur eine Säuberung verplempert zu sehen. Noch dazu, weil meine Freundin weniger der Sauberkeit als der Entspannung wegen in die Wanne steigt. Sie ist eben eine Frau in der Umgebung eines falschen Klimas, eine sogenannte Transklimatische. Eine Klimaumwandlung wird für sie unumgänglich sein. Das hat sie mir schon vor Jahren offenbart. Bevor sie den endgültigen Umzug nach Süditalien vornehmen darf, haben die Ärzte ihr eine Hitzekur auferlegt. Selbst im Sommer liegt sie nachts tief unter ihrem Federbett begraben. Dann und wann mache ich mich auf die Suche nach ihr, wie ein Katastrophenhelfer des technischen Hilfswerks, der unter Massen von Gestein noch Überlebende vermutet. Die Hoffnung stirbt wie immer zuletzt. Erst am Morgen taucht sie wieder unter den schweren Daunen auf. Und diesen kurzen Moment, wenn sich die Federn heben und sie in der Gier nach einem kochendheißen Morgenkaffee entschlüpfen will, gilt es zu nutzen. Wenn ihre Sucht nach einem heißen Getränk nicht doch stärker ist als meine nach ihr. Säfte werden auch gerne erhitzt, Holundersaft zum Beispiel. Ich habe noch nie in meinem Leben heißen Saft getrunken. Ich habe mich immer bemüht, den Saft so kühl wie möglich die Kehle hinunterlaufen zu lassen. Nicht so sie. Einmal kam ich in die Küche und sah etwas Weißes in einem Topf. Es erinnerte ein bißchen an ein Stück Käse, jedenfalls roch es danach. Als ich es berührte, war es eiskalt. Etwas Gefrorenes? Ich dachte schon, sie würde sich das mit der Klimaumwandlung noch mal überlegen, bis sie den Topf auf den Herd stellte. Als ich sie danach fragte, mit äußerst verständnislosem Gesichtsausdruck, lachte sie und meinte, daß sie mir das nicht verrate, weil ich nämlich überall meine vorwitzige Nase hineinstecken würde. Inzwischen hatte sich der Klumpen aufgelöst und ich erriet: Buttermilch. Aus der hintersten Ecke des Kühlschranks hervorgeholte, angefrorene, schon längst haltbarkeitsabgelaufene, die sich gerade dazu entschlossen hatte, eine Identität als Käse anzunehmen. Meine Freundin goß noch einen Schwapp Multivitaminsaft in den Topf und mengte überdies ein paar Tropfen Zwiebelsaft dazu. Mir kam die Mischung vor, als würde jemand Harzer Käse in seinem Morgenkaffee auflösen. Und doch stand meine Liebe zu ihr nie in Frage.
 
Ich hatte mich ja schließlich durchgerungen, sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Es war mir natürlich vorher nicht klar gewesen, welche Kosten bei ihrer Klimaumwandlung anfallen würden. Bereits im November, bei gemütlichen fünfzehn Grad Zimmertemperatur, schaltete sie die Heizung ein. Es werden nun vermehrt Kerzen angezündet, um das Wohnzimmer von zwanzig auf zwanzigeinhalb Grad zu erwärmen, wobei ich meine Freundin, die in mehrere Pullover und Strickjacken eingehüllt ist, nunmehr eher als meine Teddybärin bezeichnen muß. Sie verschlingt heiße Suppen und Säfte in Mengen, gießt mit heißem Grog nach. Auf dem Herd köchelt die ganze Zeit ein großer Topf Braunkohl, den ich ihr schüsselweise ins Zimmer schiebe. Ich befürchte, irgendwann kriecht sie gar nicht mehr unter ihrem Federbett hervor.   

Die Wissenschaft hat das Phänomen schon vor einigen Jahren erkannt: Frauen, heißt es, seien wärmebedürftiger als Männer. Allerdings benötigen sie nicht unbedingt die Wärme von Männern. Die Schlafsackindustrie hat darauf reagiert und bietet Schlafsäcke speziell für Frauen an, die schon bei Temperaturen frösteln, bei denen der Mann noch gern ins Schwitzen … und überhaupt gekommen wäre. Aber er hat Pech. Ein anderer Sack als der Schlafsack ist nicht gefragt. So nimmt sich Morpheus der Frauen an in einem Schlafsack, in dem Männer auf dem Monte Everest übernachten könnten. Der Mann erträgt die Kälte der erhabenen Natur wie auch die kalte Schulter der Frauen. Da gibt es nichts zu klagen, nur zu erdulden.  

Nachtrag:
Meine Freundin hat mich gezwungen, noch folgenden Satz zu schreiben: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.