Zur Verabschiedung Marko Dinićs als Stadtschreiber von Halle
Liebe Frau Dr. Marquardt,
liebe Gäste,
lieber Marko,
Du wirst Dir denken können, warum ausgerechnet ich heute hier stehe, um ein paar Worte zu Deinem feierlichen Abschied zu sagen, es ist - wegen des Geldes.
Man bot mir ein Honorar an, und ich habe, ohne zu zögern, zugesagt. Du kennst das als freier Autor, sonst wärst Du bestimmt nicht auf die Idee gekommen, Dich auf das Stadtschreiberstipendium in Halle zu bewerben.
Der Schriftsteller folgt dem Lockruf des fördernden Geldes, was bleibt ihm anderes übrig, außer einer „ordentlichen“ Arbeit, wie mein Vater mir immer empfiehlt, aber das kann ja nun wirklich keine Alternative darstellen. In Deinem Falle – Du bist serbischer Staatsbürger – ist es auch gar nicht möglich. Wie ich gehört habe, ist es Dir von den österreichischen Behörden untersagt, auf anderem Wege denn als Schriftsteller tätig zu sein. Eine seltsame Regelung, die sich wahrscheinlich auch so manch Schriftsteller hierzulande wünschen würde, wenn ihm mal wieder eine Jobvermittlung ins Callcenter droht.
Da Dir also weder Kellnern noch Callcentern gestattet ist, warst Du sofort bereit, jede Entbehrung auf Dich zu nehmen, und als Schriftsteller sechs Monate in Halle zu verbringen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin seit über zwanzig Jahren in Halle wohnhaft. Auch wenn das jetzt ein bißchen wie nach Haft klingt, geschieht dies meinerseits durchaus freiwillig. Halle ist eine Stadt für den zweiten Blick (oder sagen wir sicherheitshalber für den dritten), erst dann verliebt man sich in sie. Aber wenn man vorher in Wien gelebt hat, braucht es vielleicht doch noch einen vierten oder fünften.
Nun scheint es mir aber so, lieber Marko, daß Du so viele Blicke gar nicht nötig gehabt hattest. Und auch die Stadt hat sich offenbar nicht von ihrer abweisenden Seite gezeigt. Vielmehr nicht das eine oder andere Exemplar daraus.
Wir sind uns bereits 2015 kurz in München begegnet, als Du noch in Salzburg eine Lesereihe (ich glaub, die Kulturkeule wars) organisiert hast. Im Lyrikkabinett haben wir uns damals versammelt, um die Möglichkeiten der unabhängigen Lesereihen im deutschsprachigen Raum auszuloten. Wir loteten lange aus und schließlich hinein in die Tiefen der Gläser. Und ja, der Alkohol und des Schriftstellers Liebe zu ihm, meine Damen und Herren, darauf möchte ich später noch zurückkommen.
Seitdem waren wir lose verbunden, wie das inzwischen üblich ist, auf Facebook. Ich registrierte von Ferne, daß Du zum Bachmannpreiswettlesen eingeladen wurdest, und ich likte natürlich diesen Beitrag auf Deiner Facebookseite, ohne mir auch nur einen Hauch von Neid anmerken zu lassen.
Im April dieses Jahres kam dann eine persönliche Mail von Dir, Du seiest Stadtschreiber von Halle geworden und ob wir nicht mal ein Bier trinken gehen wollen. Ich hab Dir nicht gleich verraten, daß ich mich just ebenso auf das Stadtschreiberstipendium beworben hatte. Aber was nützte der Neid. Seit Goethe und Schiller kann man wissen, „daß es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe“.
Ich schrieb zurück, na klar, und schlug vor, daß wir uns am besten im Dichterkreis treffen, damit Du gleich mal auf einen Rutsch ein paar unvermeidlichen Dichterinnen und Dichtern Halles zuprosten kannst.
Wer von den Anwesenden es noch nicht wissen sollte, der hallesche Dichterkreis ist eine ewige Institution, macht aber nicht viel Aufhebens davon, ja er genügt sich im Grunde selbst. Es gibt ihn seit 1991. Begründet von Studenten der Germanistik, die heimlich Gedichte schrieben oder schon von weitem so aussahen, als würden sie heimlich Gedichte schreiben. Seither – anfangs im Kaffeeschuppen nun im Hühnermanhattan – treffen sich alle vierzehn Tage ganz unterschiedliche Autoren, jung und alt, mit vielen Buchveröffentlichungen auf dem Buckel oder gar keiner, und lesen sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit gegenseitig Texte vor, um sie im Anschluß zu kritisieren. Es wird geraucht, getrunken, und was auch immer noch, denn über der Pforte zum Reich der Dichtkunst prangen die Worte, hier trete keiner ein, der nichts vom Rausch versteht.
Daß Marko Dinić die Dichtkunst verstanden hat, war sofort offenkundig.
Mit einem Selbstbewußtsein, das nie Gefahr läuft, in Arroganz abzudriften, bist Du gleich in die Textdiskussion eingestiegen. Und es gilt ja im Dichterkreis, daß man einen Text nicht einfach nur gut oder schlecht findet, sondern begründet warum. Nach einer halben Stunde hatte ich das Gefühl, Du wärst schon seit Jahren dabei. Wir sprachen über literarische Vorlieben und Vorbilder und natürlich dem Bier zu. Es wurde spät, wahrscheinlich gegen zwei. So genau läßt sich das nicht mehr rekonstruieren.
Ab diesem Tag bist Du Teil des Dichterkreises geworden, und Du wirst es, selbst im unwahrscheinlichen Fall, daß wir Deine Rückkehr nach Wien mit Hilfe unserer heimtückischen Straßenbahn oder einem HFC-Hooligan nicht verhindern können, auch für immer bleiben.
Manchmal hab mich jedoch gefragt, ob Du in Halle überhaupt zum Schreiben kommst. Ständig hattest Du Besuch, wofür, neben Deiner Begabung zum Schreiben, auch eine große Begabung zur Freundschaft spricht. Außerdem die administrativen Aufgaben, so als Mitherausgeber der Zeitschrift „Mosaik“, die uns Ossis sofort an die Abenteuer der Digedags – wer noch eine Pockennarbe auf dem Oberarm hat – oder an die Abrafaxe denken lässt. Die berühmte Bilderzählung von Hannes Hegen teilt sich aber nur den Namen mit eurer österreichischen Literaturzeitschrift, und wir in Halle sind nun auch offizielle Verteilungsdependance. Wie Du uns angedroht hast, wirst Du dem Dichterkreis bei jeder neuen Ausgabe der Mosaik einen Stapel zuschicken, den wir dann unter die Hallenser bringen müssen.
Sind das nicht schon Ablenkungen genug, so warst Du auch immer wieder gezwungen, mit uns außer der Reihe der Dichterkreisabende einen trinken zu gehen. Deine literarischen Kenntnisse – voller Schreck mußte ich gewahren, das Du sogar etliche Strophen von Johannes R. Becher auswendig kannst – werden nur noch von Deinen Bierkenntnissen übertroffen, die Du, vor etlichen Jahren in einem belgischen Biergenußlokal jobbend – offenbar lag das noch vor der Zeit der österreichischen Arbeitsbeschränkung auf die Schriftstellerei – erworben haben willst. Und ich glaub Dir aufs Wort, denn als wir mal wieder im Rosis (ehemals Maulwurf, Ecke Wucherer) versackten, zusammen mit Olaf, dem knifflige Gedichte friemelnden Poeten-Pfarrer und dem anderen, dem zweiten Marco aus unserem Dichterkreis, dem hin und wieder schizomäßig entrückt verrückten Klopstockpreisträger, gabst Du den fachmännischen Ausdruck preis für das, was die Britten so als Bier zu trinken pflegen, nämlich „Totes Bier“. Tot, weil sich darin keine Kohlensäure mehr zu rühren traut. Wir schwadronierten unterdes weiter über Pasolinis ästhetischer Kritik am Kapitalismus, über Thomas Mann oder doch lieber Arno Schmidt, Ferdinand Celine, Emil Cioran, H.C. Artmann, naturgemäß Thomas Bernhard, und Mayröcker natürlich, die ewig junge, und Rühm, der durchaus zu rühmen ist, und bevor wir so tot waren, wie das Bier in unseren Gläsern, gab es noch diesen Witz, diesen einen, keine Ahnung, wer sich den von uns hat einfallen lassen, der ging jedenfalls so: ein Serbe, eine Verrückter, ein Pfarrer und ein Dichter sitzen in einer halleschen Kneipe …
Vielen Dank
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