Kolumne

Frankfurter Buchfunde 2018

 

Messe Frankfurt 2018 Frankfurt ist jedes Jahr anders, strahlendes Sommerwetter hatte ich hier noch nie. Ich muss zugeben, es kostete doch etwas Überwindung, sich vom warmen Sonnenschein im Hof zwischen den Hallen abzuwenden und wieder ins Getümmel, Lärmen und unwirkliche Licht der Messehallen zu stürzen. Aber es lohnte sich dann doch. Zu entdecken gab es nämlich wieder Unmengen großartiger und ganz besonderer Bücher. Hier nur ein kleiner Einblick in „meine“ Buchkunst-Buchfunde auf der Frankfurter Messe 2018.

Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle hatte bereits zum 25ten Mal einen Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Begeistert hat mich hier das Buch „Urtod“ von Hyewon Jang, Text: August Stramm. Indem man das Buch einmal aufschlägt, fächert sich sofort das gesamte Buch auf, da die Seiten miteinander verbunden sind und alle aneinander hängen, was ein unheimlich schöner Effekt ist und die einzelnen Worte sehr gut in Szene setzt. Dieses Buch ist an sich schon ein Gedicht und enthält dann auch noch ein Gedicht von August Stramm:

Von der Edition Klaus-Raasch möchte ich diesmal das wunderschöne großformatige Buch „Geträumte Dinge“ von Antje Wichtrey vorstellen. Es gibt darin zunächst einmal die Bildebene, die für sich nicht unbedingt eine Handlung aufweist, aber doch eine Richtung. Zunächst sieht man nur Linien und Flächen. Dann taucht eine Art Mond auf und man fragt sich, ob man gerade durchs All fliegt. Aber dann geht es weiter und immer weiter und bald wird klar: wir sehen ein Zebra vor uns und gehen mit jedem Bild einen Schritt weiter weg, wodurch wir von Seite zu Seite immer mehr vom Zebra erkennen. Die Schnauze, den Kopf, den Körper, die anderen Zebras und die nach und nach immer kleiner werdende Zebraherde. Das ist an sich schon einmal sehr großartig. Unter den Bildern läuft dann aber noch je eine Gedichtzeile von Pablo Neruda durch und diese Zeilen eröffnen nochmals ein eigenes Universum für sich. Während wir das Prinzip der Bilder schnell verstanden haben und wissen, was als nächstes kommt, sind die Sätze völlig unvorhersehbar. Sie beziehen sich nämlich nicht direkt auf die Bilder, werden von uns im Lesen aber doch in Beziehung zu ihnen gesetzt und sind damit absolut verblüffend.

Ungemein schöne Bücher macht auch The Kaldewey Press in New York und Paris. Genauer angesehen habe ich mir hier einmal den Band mit fünf Gedichten Fernando Pessoas auf Portugiesisch:


 
Den Gedichten werden hier sehr feine und zarte Blautöne gegenüber gestellt:

Das zweite Buch der Kaldewey Press, das ich hier kurz vorstellen möchte ist eine englische Übersetzung eines alten chinesischen Textes: „The Poetry Contest at the Orchid Pavilion by Wang Xizhi“. Es handelt sich dabei um eine Beschreibung eines Dichterwettstreits im Jahre 353. Die Kalligrafie von Wang Xizhi beschreibt das Treffen und reflektiert dabei über die Vergänglichkeit des Lebens ganz allgemein.

Die Fassung, die ich mir angesehen habe, besteht aus losen Blättern, die optisch verbunden sind durch die Tuschezeichnungen, welche sich über die Seiten erstrecken. Ursprünglich wurden die Zeichnungen mit verdünnter Tusche auf große Blätter gezeichnet, die dann erst nachträglich in einzelne Stücke geschnitten wurden. Die Reihenfolge der Blätter wurde beibehalten, wodurch man dem Strich des Pinsels über die einzelnen Seiten folgen kann. Der Text von Wang Xizhi in englischer Übersetzung wurde dann in gelber Schrift über die Seiten verteilt und kommuniziert optisch mit dem Weiß der Seiten und dem Grau der Tuschezeichnungen, folgt den Zeichnungen oder kontrastiert sie. Sehr schön ist auch, dass das Papier so unglaublich dünn ist, dass die Tuschezeichnungen der anderen Seiten dahinter durchscheinen oder auch nur zu erahnen sind. Die Tuschezeichnungen haben dabei ihren eigenen Handlungsverlauf. Die großen Blätter, auf denen die Tuschezeichnungen anfangs gezeichnet wurden, unterscheiden sich jeweils von der Stimmung, es gibt zum Beispiel eine  ruhige, sehr minimalistische Linienführung:


 
Oder auch eine expressive Spritztechnik:


 
Jede Ausgabe ist dabei „one of a kind“ also ein Unikat.

Zum 29ten Mal war heuer Uwe Warnke auf der Frankfurter Buchmesse. Es war sein letzter Auftritt auf der Messe, er wird nicht wiederkommen. Die Lücke, die er hinterlässt ist enorm und nicht auszufüllen. Denn Uwe Warnke ist und bleibt einfach Uwe Warnke. Als Statement zu seinem Abgang sagt er schlicht: „Es ist schon bemerkenswert, wie mein Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse, der mal der wichtigste Termin des Jahres war, so Jahr für Jahr seine Bedeutung verliert und nach 29 Jahren ohne Wehmut aufgegeben werden kann.“

Aber statt zu klagen und zu jammern hatte ich die große Freude, ihn dieses Jahr nochmals auf der Buchmesse besuchen zu dürfen und möchte aus seinem Verlag die „Bücher Hiob“ von Udo Rathke vorstellen. Es gibt natürlich nur ein Buch Hiob, Udo Rathke setzt aber immer je ein Kapitel als eigenes Künstler-Unikat-Buch um. Inzwischen gibt es also drei Bücher Hiob von ihm, jedes ist von der Stimmung her sehr verschieden. Das Buch zum 26. Kapitel enthält Aquarelle, man sieht verlaufende Farben, vorwiegend Pink, Rot, Lila oder Türkis und darüber sind einzelne Bibelzitate aus dem 26.Kapitel von Hiob in Handschrift geschrieben. Sätze wie „Das Grab ist aufgedeckt und der Abgrund hat keine Decke“ aus Hiob sind an sich und für sich genommen schon heftig genug, mit solch kräftiger umwerfender Farbgebung wirkt es alles aber nochmals stärker:

Hiob steht dabei für die Erfahrung der Ohnmacht, was auch wiederum eine sehr heutige Erfahrung ist. Das Buch zum 17. Kapitel aus Hiob enthält auch Aquarellbilder, ist aber von der Farbgebung her ganz anders. Die Farben sind ebenso kräftig, aber hier sind es leuchtende Orange-Rot-Gelbtöne, die durch den starken Kontrast zur Farbe Schwarz ungemein strahlen und eine ungeheure Tiefenwirkung entfalten:

 

Völlig anders ist dann das Buch zum 3. Kapitel aus Hiob, denn dieses besteht aus Graphitzeichnungen:

Und dann gibt es auch noch eine Hiobs-Ausstellung von Udo Rathke auf einer großen Videowand hoch oben auf dem Dach eines Hauses. Diese Bildschirminstallation wurde  von der wolkenbank Galerie in Rostock initiiert. Die Zitate aus Hiob in so einem Rahmen, wo man höchstens Werbesprüche erwarten würde, entfalten nochmals eine ganz eigene Wirkung:

Hier wird allerdings keine Handschrift für die Zitate aus dem Kapitel verwendet, da diese auf die Distanz nicht zu entziffern wäre, sondern eine sehr große, gut lesbare Druckschrift:

Aber kehren wir zurück zur Frankfurter Buchmesse 2018: Den Doppelstand mit Uwe Warnke teilt sich seit Jahren der Papierschöpfer und –künstler John Gerard. Von ihm möchte ich diesmal das Buch „Wer sagt da hanebüchen?“ von John Gerard und Uwe Warnke (Text) vorstellen. Das Thema des Buches sind alternative Fakten und das Buch spielt auf allen Ebenen mit Wahrheit und Täuschung. Wenn man das Leporellobuch erstmals aufschlägt, hat man ein leeres Buch mit weißen handgeschöpften Papierseiten vor sich, das viele Echtheitsmerkmale aufweist, wie eine leichte Holzmaserung, die bei genauer Betrachtung zu sehen, aber nicht spürbar ist. Aber der Schein trügt oft und das war natürlich nicht alles: das handgeschöpfte Papier hat einen doppelten Boden, lässt sich auffalten und dahinter verbergen sich jeweils zwei Seiten eines künstlichen Papiers, also fake-Papier. Das Buch ist daher ein Zwitterwesen, changiert zwischen Echtheit und Falschheit. Auf jeder Seite steht ein Satz von Uwe Warnke. Die Schrift geht nicht von links nach rechts, sondern vertikal, wodurch sich die beiden Sätze richtiggehend gegenüberstehen und man das Gefühl hat, der eine wäre die Spiegelung des anderen, oder umgekehrt. Da es sich bei dem künstlichen Papier um Transparentpapier handelt, kann man die Sätze jeweils auch von der Rückseite betrachten und genau um diese unterschiedlichen Sichtweisen auf scheinbare Fakten geht es dem Buch. Das Buch täuscht sich auch immer wieder selbst und wiederlegt sich selbst. Ein Beispiel hierfür: Zusätzlich zur schwarzen Schrift der Sätze gibt ein roter Stempel die aktuelle Anzahl der Worte an. Die letzten beiden Zeilen von Uwe Warnke lauten auf der linken Seite „Was für ein Gestrüpp an Worten“ und auf der gegenüberliegenden rechten Seite „Aber immerhin 49“. Soweit so glaubwürdig. Wäre da nicht der rote Stempel direkt darunter, der uns die tatsächliche Wortanzahl verrät: „43“.

John Gerard ist ein Künstler, der mit Papier arbeitet. Bei den meisten gewöhnlichen Büchern ist das Papier der Buchseite schlichter Träger von Informationen und daher zu vernachlässigen. Bei John Gerard hingegen ist der Träger nicht nur Träger, sondern Inszenierung. Alles an seinen Büchern ist überlegt und durchdacht, vom Faden mit dem die Seiten zusammen genäht sind bis zur Faltung.

Die Box  zu dem Buch sagt auch etwas aus, denn die Schrift darauf ist nicht schwarz auf weiß, sondern weiß auf…? – changierendem Grau bis Schwarz. Je nachdem wie man die Box hält wirkt die Farbe anders und lässt sich nicht festlegen, wie sich auch das Buch selbst auf nichts festlegen lässt. Erstaunlich ist auch die große Leichtigkeit des Buches, dem man von seinem Äußeren her mehr Gewicht zutrauen würde. Die Papiere verbergen in ihren Eigenschaften Botschaften. Es ist also auch kein Zufall, dass dieses Buch, das es so leicht nimmt mit der Frage was echt oder falsch ist, als Ganzes auch so leicht ist. Leichtigkeit ist etwas, das man an einem langen Messetag immer gut gebrauchen kann, ich mache mich also leichten Mutes wieder auf und schaue ein Stück weiter, was es hier noch alles zu entdecken gibt.

Sehr gerne schaue ich auch jedes Jahr bei der redfoxpress vorbei, denn hier gibt es immer etwas zu entdecken. Die redfoxpress ist ein Verlag, der durch und durch positive, frisch fröhliche Lebensfreude ausstrahlt. Jedes Mal, nachdem ich hier kurz verweilte, denke ich mir aufs Neue: Vielleicht ist doch nicht alles im Argen mit dieser Welt in der wir leben, wenn es darin Bücher wie diese gibt.

 Ganz besonders mag ich die Bücher der redfoxpress, die einem bestimmten Gegenstand gewidmet sind und beispielsweise nur Fotos von Kanaldeckeln in Seoul, Hiroshima, Kyoto Osaka und Tokyo enthalten:

Dieser fokussierte Blick auf die Welt der Dinge, über die man sonst achtlos drübersteigt oder die man für gewöhnlich schlichtweg übersieht, hat etwas sehr Erfrischendes. Wieder ein anderes Buch beispielsweise enthüllt die Schönheit von Schleifpapier, also nicht die der rauen Vorderseite, sondern die der zu Unrecht selten beachteten Rückseite, auf der sich oft sehr schöne Stempel oder Markenzeichen befinden:

Weniger rau und viel zarter geht es im Buch „Flowers“ von Antic-Ham zu.

Das Buch enthält zwölf Blumensiebdrucke, die sehr schlicht gehalten sind. Man sieht die Umrisse der Blumen und nur jeweils einige wenige Farben. Das Besondere an diesem Buch ist, dass die Seiten aus sehr dünnem durchscheinend bräunlichem Papier sind. Das heißt, man sieht zum einen die Blumen auf der Rückseite gedämpft und spiegelverkehrt hindurch. Und zum anderen scheinen hinter jeder Blume alle anderen dahinter folgenden durch. Dadurch ist das Buch trotz der spärlichen bis spartanisch zu bezeichnenden Farbgebung ungemein bunt und positiv.

Den Blumendrucken ist ein kurzes Gedicht vorweg gestellt, das die Stimmung beschreibt in der diese Blumen gezeichnet wurden.

When I lost a word by the sea without traces,
One morning when I didn’t notice the sadness would come to me,
When the train to Dublin stopped shortly,
One night while I was waiting his call in the street of the strange city,
Suddenly I hung down my head in embarrassment
Flowers I drew...

Es ist damit ein unheimlich sachtes und feinfühliges Buch, das aus dieser melancholischen Stimmung, der Einsamkeit in einer fremden Stadt, etwas unglaublich Positives, Schönes und Bezauberndes schafft.  

Und dann gab es da noch etwas zu entdecken auf der Buchmesse: Gedichte zur freien Entnahme des Wiener Zetteldichters Helmut Seethaler. Zuerst entdeckte ich seine Zettelgedichte in einigen ansonsten leer stehenden Vitrinen am Gang, gleich vor dem Pressezentrum. Erst als ich schon mehrmals daran vorbei gelaufen war, blieb ich dann doch einmal stehen und sah genauer hin. Die Zettelgedichte hatte er hier anscheinend beim Spalt hinein geschoben ohne die Türen zu öffnen:

Mitnehmen hätte man hier nur die noch in der Tür steckenden Gedichte können:

Und einmal aufmerksam geworden entdeckte ich dann noch an einer zweiten, wesentlich prominenteren Stelle seine Zettelgedichte – an der Ecke zur Leseinsel der unabhängigen Verlage in Halle 4.1. Hier war dann ganz eindeutig klar, dass er das auch wirklich war:

Für alle, die in Frankfurt an den Zettelgedichten Helmut Seethalers vorbei gelaufen sind und die nicht das Glück haben, wie ich in Wien zu wohnen, wo seine Zettelgedichte bereits legendär sind und seit Jahrzehnten das Bild der Stadt mitprägen, gibt es eine Homepage von Helmut Seethaler, auf der man online vieles nachlesen kann sowie einen Auswahlband seiner Zettelgedichte, der bei hochroth Wien erschienen ist.

Alle Fotos: Astrid Nischkauer
Literaturliste:
Hyewon Jang: Urtod. 53 x 11 x 2.5 cm; Heißprägung, Radierung; Auflagenhöhe: 18; 2018; 630 €, Text: August Stramm.
Antje Wichtrey: Geträumte Dinge. 30 Seiten im Format 48 x 30 cm. Kartonierter Einband mit zweifarbigem Siebdruck. 68 €
Fernando Pessoa: Cinco Poemas. Kaldewey Press, New York, 2016.
Wang Xizhi: „The Poetry Contest at the Orchid Pavilion“, Kaldewey Press, New York
Udo Rathke: “Das Buch Hiob. 26. Kapitel“ Pigmenttusche auf Bütten, 16 Seiten, Uwe Warnke Verlag
Udo Rathke: “Das Buch Hiob. 17. Kapitel“ Pigmenttusche auf Bütten, 16 Seiten, Uwe Warnke Verlag
Udo Rathke: “Das Buch Hiob. 3. Kapitel“ Graphit auf Bütten, 14 Seiten, Uwe Warnke Verlag
Uwe Warnke und John Gerard: „Wer sagt da hanebüchen?“, 10 Stück, 2017
Francis van Maele: “Manholes”. Photographs of Manhole covers in Seoul, Tokyo, Hiroshima, Kyoto and Osaka, 2005, Hardcover, 24 pages, 12 x 17 cm, 30 numbered & signed copies, 30€
"HOLIDAY SANDPAPERS". Sandpapers collected by Uwe Petruch, 44 pages, 14 x 16 cm, hard cover, hand bound, limited numbered edition of 220 copies, 2017, 35 €
Antic-Ham: "Flowers", 12 silkscreen prints with added colouring from drawings of flowers. Printed on vintage tracing paper and hand painted wall paper, 2009, 69 copies, 17 x 23 cm, 60€
Helmut Seethaler: Zettelgedichte. Zum Selbstpflücken im Öffentlichen Raum.
Helmut Seethaler: „Texte für Denkende + gegen das Denk-Ende“, hochroth, Wien 2017, ISBN 978-3-902871-84-8, ca. 30 Seiten, ca. 14×10 cm, € 8,-

 

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