Nadire Y. Biskin: #metwo im Literaturbetrieb (4)
Auf Twitter berichten nun seit Tagen People of Color unter dem Hashtag #metwo über ihre Rassismuserfahrungen. Wir fanden, es ist nun der Zeitpunkt gekommen für ein #metwo im Literaturbetrieb und haben Autor*innen angefragt, ob sie etwas zu Rassismus im Literaturbetrieb schreiben wollen. Der erste Teil der Texte erschien am 8. August in ZEIT ONLINE. Und der zweite hier auf Fixpoetry. Wir sind der Meinung, dass solch eine Reihe nie vollständig sein kann, dass immer eine Perspektive fehlt. Deswegen werden wir sie in den nächsten Tagen stetig erweitern.
(Özlem Özgül Dündar und Ronya Othmann)
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Das Fehlen der Selbstverständlichkeit der deutsch-türkischen Autor*innen in der Literaturlandschaft.
Irgendwer hat irgendwo behauptet, dass über negative Ereignisse zu sprechen nichts bringt. Es sei wie Scheiße in einem Topf umrühren. Am Ende sei es immer noch Scheiße. Diese Person irrt sich. Als ich unter dem Hashtag #metwo die vielen negativen Ereignisse auf Twitter lese, berichte ich fragmentarisch auch von meinen Erlebnissen. Es hat für einen kurzen Moment eine therapeutische Wirkung. Ich bin nicht allein mit diesen Erfahrungen, es liegt nicht an mir und endlich werden unsere Geschichten wahrgenommen. Dann kommen die Reaktionen, die es vor dem Hashtag auch schon gab, die ich im Leben jenseits der Sozialen Medien auch schon zu hören bekomme. Mein Selbstschutz setzt ein und ich ziehe mich zurück, ich lese und schreibe nicht mehr darüber. Jetzt bin ich in Italien, sitze in einem Café am Hafen von Brindisi und bin durch die räumliche Entfernung, auch emotional so weit weg, dass ich mich entscheide wieder darüber zu lesen. Die Stellungnahme zu #metwo in der Literatur auf ZEIT online lese ich als erstes und frage mich, warum der Literaturbetrieb so lange gebraucht hat, um über diesen Missstand zu schreiben. Shida Bayzar hat letztes Jahr den Text „Bastelstunde in Hildesheim oder warum ich in Hildesheim lernte, dass der Eine -Ismus mich davon abhält über den anderen zu reden.“ von metoo in der Literatur geschrieben und verdeutlicht, wie wichtig Intersektionalität ist, um Machtasymmetrien und die Wirkung von sozialen Kategorien auf das gute Leben zu verstehen.
Viel Erfahrungen im Literaturbetrieb habe ich nicht. Ich habe weder in Hildesheim noch in Leipzig studiert. Ein Zweitstudium kann ich mir unter anderem wegen zehntausend Euro BaföG Schulden nicht leisten. Auf das Schreiben bin ich sehr spät gekommen, wer liest schon, was ich schreibe und wie ich schreibe, dachte ich immer. Denke ich heute manchmal immer noch. Mein ganzes Leben lang wurde mir implizit und explizit erklärt, dass mein Deutsch nie so sein wird, wie das der Deutschen, die Deutsch als Erstsprache haben. Warum hätte ich also meine Unvollkommenheit auch noch schriftlich festhalten sollen? Meine Zweisprachigkeit, wurde im Gegensatz zu der Zweisprachigkeit von Französisch, Englisch und all den anderen prestigevollen Sprachen und Deutsch Sprechenden als doppelte Halbsprachigkeit abgetan. Meine hybride Identität und Sprache wurde als fehlerhaft betrachtet. Daniel Kehlmann, ein Max Mustermann und ich könnten den gleichen Satz schreiben. Beim ersten würde man bestimmte Abweichungen der sprachlichen oder inhaltlichen Form als seinen eigenen Stil interpretieren, beim zweiten als Tippfehler oder Unkonzentriertheit und bei mir als ein Indiz dafür, dass ich nicht gut Deutsch kann. Dichter und Denker, sind irgendwie immer Deutsche in Deutschland, während meines gleichen, die mit den schönen Haaren und dem guten Essen sind. All das ist kein großes Problem, ich habe viele Freunde, die Deutsch als Erstsprache haben und studiert haben. Sie lesen geduldig meine Texte Korrektur. Ein Privileg, was ich durch mein Studium bekommen habe. Eine Lektorin übernimmt das im Fall eines Buchvertrags. Doch wieder frage ich mich, wer soll lesen, was ich schreibe? Sozial-kitschig, autobiographisch, wütend und emotional. Ich verstehe Menschen, die bewusst oder unbewusst die Texte von Menschen, die ihnen ähneln lieber lesen und als lesenswert interpretieren. Als ich beispielsweise meinen Text über den Solinger Brandanschlag einem Magazin anbiete, antworten sie, das Thema sei zu oft schon thematisiert worden. Dort berichte ich davon, um zu verdeutlichen wie unterschiedlich die Wahrnehmung zwischen denen, die Texte veröffentlichen und mir als Autorin ist. Ich habe Verständnis dafür, schließlich bin ich nicht viel anders in der Hinsicht und lese fast ausschließlich Texte von Unprivilegierten: von Homosexuellen, von Schwarzen, von Frauen, von Transsexuellen, von Menschen mit Behinderungen. Da möchten Menschen, die Machtpositionen im Literaturbetrieb inne haben, vermutlich Texte ihres gleichen lesen, von Männern, von Weißen, von Heteronormativen. So lange also jene mit Entscheidungskraft im Literaturbetrieb nicht die Gesellschaftsmitglieder widerspiegeln, die ausgeschlossen oder abgewertet werden, so lange wird sich nicht viel ändern.
Ich gestehe, dass trotz meiner wenig prestigereichen ethnischen und religiösen Herkunft, momentan Vielfalt angesagt ist und dieser Umstand meine Chancen erhöht, dass meine Texte gelesen werden. Ich habe mittlerweile keine Probleme damit, wenn ich aufgrund meiner Herkunft bevorzugt werde, denn schließlich wurde ich ein ganzes Leben lang deswegen benachteiligt und werde es weiterhin werden. Über die Benachteiligung meiner Großeltern, meiner Eltern und meines Bruders ganz zu schweigen. „Ja, da würde ich vorsichtig sein. Eine Fatma Aydemir reicht den Leuten halt dann doch.“ antwortet mir eine Autorin. „Eine Marie reicht, würden sie aber nie sagen. Diese doppelten Standards“ ergänze ich und sehe in ihren Augen, dass sie noch nie so darüber nachgedacht hat. „Stimmt“ sagt sie nickend.
Ein Mentoringprogramm für Nachwuchsautor*innen, die von #metwo betroffen sind, wäre ein schöner Anfang bzw. eine sinnvolle Fortsetzung der Debatte über #metwo.
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