Eingekreist

Trauter Urlaub

Jedes Jahr fliegen wir nach Mallorca oder fahren an die Ostsee. Unsere Freunde nehmen das zur Kenntnis, als hätten wir uns geoutet als Stammwähler der „Grauen Panther“. Sie berichten wiederum von Urlauben in Laos, Indien oder Mexiko. Am liebsten von Gegenden, die einem die nicht unerhebliche Chance bieten, Opfer einer Entführung zu werden oder zumindest eines vierzehntägigen Dauerdurchfalls. Hauptsache Abwechslung. Bei den 68igern hieß das einst, „wer zweimal mit der Selben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Auf uns gemünzt reimt sich das: Wer immer nach Mallorca reist, der ist ganz sicher frühvergreist. Und wenn man auf dem Flughafen zufällig in eine „Polster und Pohl“-Rentner-Reisegruppe hineingerät, fragt man sich schon, ob man nicht irgendwann auch so enden wird. Betreutes Reisen. Schnabeltassenurlaub. Hospizholidays. Man kann den Herrschaften nicht mal einen wunderschönen Flugzeugabsturz wünschen, denn man sitzt ja gleich neben ihnen in der selben Maschine Richtung Mallorca.

Hätte der Soziologe Max Weber eine Typologisierung des urlauberischen Handelns entworfen, wären ihm sicherlich zwei Idealtypen in den Sinn gekommen.  Zum einen der flatterhaft nach Abwechslung Heischende. Nennen wir ihn: Den Reisecasanova. Er nimmt sich ein Land nach dem anderen vor. Rein, raus und weg. Das wäre mir viel zu stressig. Ich bin der Typ Reiseerwin. Ich komme doch auch nicht auf die Idee, ständig meine Freundin zu wechseln. Und ich hätte auch gar keine Lust dazu, mich schon wieder auf jemanden neues einzulassen, jetzt, da wir uns gerade so schön aneinander gewöhnt haben, nach 17 Jahren. Was soll das auch bringen? Bei einem Ferienhaus, für das man sich einmal entschieden hat, kommt man an und weiß, wo die Kochtöpfe stehen und daß man in den Betten gut schlafen wird. Dann sitzt man auf der Bank vor dem Haus, trinkt eine Flasche Wein gemeinsam oder drei, weil man im Laufe der Beziehung ein entspanntes Verhältnis zum Alkohol entwickelt hat. Das ist das Geheimnis einer guten Beziehung. Gegen Mitternacht ist man meist angenehm besoffen und muß im Bett auch nicht mehr auf Teufel komm raus Dinge miteinander tun, für die man in den kommenden Jahrzehnten immer noch hin und wieder etwas Zeit finden wird. Man teilt überdies Humor und Essgewohnheiten und wacht am nächsten Morgen nicht plötzlich neben einer Vegetarierin auf, die Woody Allen nicht lustig findet. Und wie jeder gute Partner bietet auch Mallorca immer noch genug interessante Seiten, während manche Affären, von denen mir Freunde berichten, einem Zelturlaub in Syrien oder Kanufahren im Kongo ähneln. 

Seit Kindesbeinen gehört meine große Liebe natürlich der Ostsee. Deshalb muß ich jedes Jahr für ein paar Tage dorthin wie der Lachs zu seinen Laichgründen. Meine Freundin kann froh sein, daß meine Eltern damals keinen Ferienplatz bekamen am Baggersee in Gerlebock, unweit der großen Mülldeponie. Aus der ganzen DDR strömten die Menschen jeden Sommer hoch. Instinktiv fand man sich immer wieder am selben Strandabschnitt ein, errichtete seine Sandburg und markierte sie mit einem Stück Holz. So werden bis heute Ansprüche manifestiert. Als ich mal unbedacht mit meiner Freundin am Darßer Weststrand eine Burg bezogen hatte, wurden wir prompt von einem heranschnaufenden Pärchen um die Siebzig, das die Autorität leicht aggressiver Seeelefanten besaß, darauf hingewiesen, ob wir nicht das Brett gesehen hätten, auf dem doch deutlich geschrieben steht „Bis zum 18. August belegt“. Wir räumten die Burg kampflos. Sich mit solchen Spießern herumzuschlagen, bringt doch nichts. Ich suchte mir lieber ein eigenes Brett.

Dein Vater ist genauso, klagt meine Mutter. Meine Mutter möchte die Welt bereisen. Mein Vater will seine feste Strandburg errichten. Meine Mutter möchte etwas erleben, mein Vater möchte sich einfach nur hinlegen. Dabei war es ja die Verheißung des Mauerfalls gewesen, endlich überall hinreisen zu dürfen. Die meisten entdeckten den Globetrotter in sich, während ich zum Globetrottel mutierte, der seinen Kopf aus Urlaubsüberforderung am liebsten in den Sand gesteckt hätte. Und zwar in den Sand genau zwischen Prerow und Zingst. 

Immerhin ist Mallorca für mich ein neues Prerow und Zingst geworden. Dank meiner Freundin. Doch es bleibt mir ein Rätsel, wie sie es geschafft hat, mich das allererste Mal ins Flugzeug nach Mallorca zu locken, ohne mich betäubt und im Frachtraum zwischen den verängstigten Hunden deponiert zu haben. Damals, als mir die Insel noch fremd und bedrohlich erschienen war wie ein wildes Eiland voll Schlangen und Menschenfressern. Was natürlich Unsinn ist. In Wahrheit sind es Radfahrer und deutsche Immobilienmakler. Im Flugzeug begegne ich nun auch wieder den gleichen Ossis wie einst an der Ostsee. Allerdings hat der Zahn der Zeit an ihnen nicht nur genagt, sondern tiefe Fleischwunden hinterlassen, sodaß ich froh bin, daß FFK auf Mallorca verboten ist. Dann leihen wir uns einen Mietwagen, einen Opel, immer dasselbe Model. Dann kaufen wir routiniert in dem riesigen Einkaufscenter direkt an der Autobahn ein, wo es vom Katzenfutter bis zum Mondlandegerät alles gibt. Zwischen den endlosen Regalschluchten suche ich nach Klopapier, Rotwein aus Binissalem und der leckeren Wurst aus den schwarzen Schweinen, und es hätte mich nicht gewundert, auf die Gerippe von Urlaubern zu stoßen, die beim Einkaufen die Orientierung verloren haben. Wir sind bereits nach einer Stunde durch. Von der Autobahn runter geht es über Nebenstraßen, die zu Feldwegen werden, neben Orangenplantagen entlang. Nirgends Touristen. Nur noch echte Esel. Auch Ziegen und Schafe und Stille. Am Ferienhäuschen angekommen, mache ich mir ein Estrella auf, Spaniens Sternburg, und zünde mir eine Dugados an, die F6 des Südens. Und dann begrüßen mich wie immer dieselben Katzen. Bei genauerer Betrachtung sind es zwar nur noch so ungefähr dieselben, weil jedes Jahr eine stirbt und eine neue geboren wird. Gegen ein bißchen Abwechslung habe ich jedoch nichts. Aus der Ferne weht das Gebimmel der Schafsglöckchen herüber. Ein Esel jammert nach einer Eselin. Ich muß das nicht, sondern öffne die dritte Flasche Wein, während meine Freundin die schmale Barke des Mondes bewundert, die durch die Nacht kreuzt zwischen den ununterbrochen startenden und landenden Ferienfliegern.

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