Kultursalon Madame Schoscha

Brief aus Barcelona [1]

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha: Barcelonas täglich Brot
Barcelona

Madame Schoscha lebt seit Kurzem in Barcelona. Ihr alter Bekannter, Herr Altobelli weiterhin in Berlin. Beide leben sie in einer ganz eigenen Zeit. Und dennoch in dieser Welt, über die sie sich gegenseitig berichten, sie schreiben sich Briefe. Im monatlichen Wechsel flattert ein Brief aus Berlin oder Barcelona herein und vereint die aktuelle, kulturelle Erlebniswelt der beiden. Ganz wie im gleichnamigen Kultursalon Madame Schoscha, der mehrfach im Jahr in einem Schöneberger Theater stattfindet, geben sich die beiden Auskunft über ihre Entdeckungen aus Kunst und Alltag. Es scheint sich daraus eine wahre Brieffreundschaft zu entwickeln.

 

Gastón Liberto

So dankbar bin ich Ihnen, mein lieber und geschätzter Herr Altobelli, für Ihre freundlichen Zeilen, die mich zu den einzig trüben Tagen des Jahres hier erreicht haben. Es ist regelrecht verstörend als Neuling in Barcelona den Jahreszeitenwechsel mitzuerleben. Wo, seitdem ich hier bin, immer nur die Sonne schien, fällt nun der Regen aus einem düsteren Himmel wie ein wildes Tier über die Stadt her. Frisst sich durch Schönwetterdächer, Wände und Zimmerdecken und gurgelt beunruhigend aus überlaufenden Gullydeckeln. Nicht gefasst auf diese klimatische Trostlosigkeit, stürzt man unerwartet aber automatisch in korrespondierende Stimmung: düster und kalt. Jage ich am Fenster lustlos den Vögeln mit meinen Blicken nach. Versuche dabei nicht den Faden zu verlieren. Paradoxerweise jubelt gleichzeitig die heimwehgeplagte Seele. Nach all den Monaten unter diesem ewig leuchtenden Azur, das sich sonst über die Stadt spannt, erinnert sie sich nun an die wettergefärbte Stimmung aus der vermissten Heimat. An das düstere, kalte Berlin im Herbst, Winter und, wenn wir ehrlich sind, meist auch im Frühling. Das einem alljährlich jede Lebensfreude aus der Brust reißt und dennoch, eben dennoch "zuhause" ist. Und alles aus der Heimat, und sei es noch so düster, ist tröstlich wie ein flauschiger Muff, in den man das in der Fremde auskühlende Herz legen mag.

Aber ich will Ihnen nicht schon wieder Ihre bestimmt schon blutenden Ohren beduseln. Viel lieber schreibe ich Ihnen, wie gern ich Ihren Brief gelesen habe. Ich hörte dabei im Geiste Ihre Stimme, sah Sie vor meinem inneren Auge, mit Ihrem verwilderten Haar, ob all der grüblerischen Gesten Ihrer Hände darin. Und dabei fiel mir eine Formulierung bei Thomas Mann ein, „jedes Wort springt ihm so rund und appetitlich vom Munde, - ich muß immer an frische Semmeln denken, wenn ich ihm zuhöre“, die so gut auf Sie, aber auch so überaus vorzüglich zu meinem heutigen Thema passen mag:

Spanien und Katalonien sind sich, wie Sie wissen, in nicht vielen Dingen einig. Gerade jetzt zur glühendsten Wirtschaftskrise, drängt Katalonien auf noch mehr Unabhängigkeit, auf einen selbstständigen, katalanischen Staat. "Wir sind nicht Spanien", steht hier an jede Wand geschmiert, in jedes Gesicht geschrieben. Aus den Fenstern hängt die im Küstenwind flatternde senyera, die katalanische Flagge, gelb-rot gestreift. Und dass ich als Ausländerin höflich bemüht bin, mich auf Spanisch zu verständigen, wird hier weniger mit Wohlwollen, als vielmehr mit der Frage quittiert, wann ich endlich das hiesige Katalanisch (català) lerne. Wann nur, ja, wann? Doch zumindest in einer Sache sind Spanier und Katalanen sich einig. Im Fundamentalsten einer Kultur, dem täglich Brot. In diesem Fall: Dem bocadillo.

Vielleicht erinnern Sie sich, auf einer Ihrer Spanienreisen vor Restaurants, Bars und Kneipen Plakate enormen Ausmaßes gesehen zu haben, auf denen belegte Baguettebrote in allen nur erdenklichen Variationen abgelichtet sind: Mit Schinken, Tortilla, Chorizo, Tintenfischringen ect. Wenn Sie sich hier so etwas bestellen, ist das Brot meist frisch, so dass die Kruste beim Hineinbeißen kracht und die Krümel um ihren Mund splittern, das Olivenöl vorzüglich und die Zutaten à la minute zubereitet, also noch warm. Wenn sie Pech haben, ist das Brot alt und gummigleicher Natur und das Fleisch ein Stück Lende aus einer einäugigen Straßenkatze.

Für uns in Deutschland ist ein solch belegtes Baguette nicht mehr als etwas das man achtlos beim Bäcker kauft und zwischendurch hektisch verschlingt. Aber hier ist das bocadillo mehr. Obwohl es denselben Zweck erfüllt und tatsächlich meist nur als Zwischenmahlzeit (oft zwischen Frühstück und Mittagessen, dem almuerzo, so gegen elf) gegessen wird, ist es hier dennoch ganz anders verwurzelt. Vielleicht ist es mit dem Brauch des Vespers vergleichbar, der in Süddeutschland gelebt wird. Oder mit der, von einigen sehr geschätzten Butterstulle, die seit ein paar Jahren in manchen gastronomischen Bereichen eine gewisse Renaissance erfährt. Dennoch fand ich in Deutschland keine wirkliche Entsprechung. Verstehen Sie mich richtig, das bocadillo ist und bleibt nur ein belegtes Brot. Und dennoch - es ist diese Kombination aus selbstverständlich gelebter, alltäglicher Tradition und einer tief verankerten, unbewussten, beinahe möchte ich sagen, zärtlichen Wertschätzung der Einheimischen im Umgang damit.

Wie zum Beispiel morgens in der U-Bahn jeder Katalane und Spanier, der etwas auf sich hält, sein in Alufolie gewickeltes und in der Kiezbar seines Vertrauens gekauftes bocadillo in der Hand oder unter den Arm geklemmt trägt. Oder wie es verlockend aus ledernen Handtaschen blitzt. Oder wie jeder der bocadillo-Pause macht, in diesen Minuten für niemanden zu sprechen ist, und stürze dabei gerade die Welt ein. Oder wie pünktlich zur Halbzeit im Fußballstadion wirklich jeder sein mitgebrachtes Baguette auswickelt. Wer längere Zeit irgendwohin unterwegs ist, hat in jedem Fall e i n e n Notnagel im Gepäck: Das bocadillo. Oder es wird zwischendurch in irgendeiner Eckkneipe frisch bestellt.

Was auf jeden Fall immer zu warmen Mahlzeiten als Vorspeise bestellt wird, ist das pa amb tomàquet. Eine Art rustikales Bauernbrot, das in Scheiben geröstet, mit einer aufgeschnittenen Knoblauchzehe oberseitig eingestrichen und einer halben Tomate abgerieben wird, so dass sich deren Saft im Brotinneren verteilt. Dazu etwas Salz und mit bestem Olivenöl beträufelt. Über die Reihenfolge der Zubereitung, wann geröstet wird, ob überhaupt, wann das Öl und wann die Tomate dazu kommt, scheiden sich die Geister. Jeder stolzbrüstige Katalane versichert, die ultimative und einzig richtige Technik zu besitzen, die sich dann aber doch immer von einer vorher gehörten unterscheidet. Sowie die Ansicht darüber, wo die Tradition des Tomatenbrotes ihren Ursprung fand. Innerhalb Spaniens streiten sich Regionen darüber, wer es nun eigentlich erfunden hat. Aber auch im übrigen Europa lassen sich verwandte Formen erkennen, wie bekanntermaßen in Italien das Bruschetta.

Dennoch ist und bleibt vor allem Katalonien für das pa amb tomàquet auch über die Grenzen hinaus bekannt. Und ich kann Ihnen versichern, mein Freund, auch wenn Borges das inoffizielle katalanische Nationalgericht einst wohl mit "Was für eine Armut!" kommentierte: Es schmeckt überraschend reich und köstlich. Bitte versuchen Sie es selbst nach oben genannter Anleitung. Und vor Ihnen wird das Wunder „einer kulturellen Koine [liegen], die Manifestation der Begegnung der europäischen Kultur des Weizens mit der amerikanischen der Tomate, der mediterranen des Olivenöls und dem Salz, jenem Salz der Erde, das der christlichen Kultur heilig ist“, beschreibt es eine Figur des barcelonesischen Autors Manuel Vázquez Montalbán. In seinem Roman El Premio heißt es weiter: „Tatsächlich kamen die Katalanen erst vor wenig mehr als zwei Jahrhunderten auf die Idee zu diesem nahrhaften Wunder, aber sie waren so von dem Bewusstsein durchdrungen, eine Erfindung gemacht zu haben, daß sie es zu einem Identitätszeichen von gleichem Rang wie Sprache oder Muttermilch erhoben.“

Überhaupt ist Montalbán eine gute Adresse, sollten Sie mehr über die katalanische Esskultur erfahren wollen. Der bei uns weniger für seine Lyrik oder seine politischen Bücher bekannte Autor war der Ansicht, dass „die Identität eines Volkes, […] in seiner Küche zu finden“ sei. Und als bekannter Gourmet war er Stammgast in entsprechenden Etablissements, wie dem Casa Leopoldo, wo man bis heute noch echt katalanisch zu speisen weiß. Oder der legendären Bar Boadas, wo schon Hemingway und Miller Cocktails geschlürft haben sollen. Darüber hinaus soll Montalbáns Buch L’art de menjar a Catalunya (Die Kunst des Essens in Katalonien) dazu beigetragen haben, die katalanische Küche zurück zu ihren Wurzeln zu führen. Ich fand es kürzlich auf Katalanisch als Sammlerstück etikettiert, eine zu große Herausforderung für meinen momentan etwas abgemagerten Geldbeutel.

Apropos Geldbeutel: Ich habe hier doch tatsächlich eine Bäckerei entdeckt, die Vollkornbrot herstellt (Barcelona Reykjavik). Der Besitzer hat, so wird gemunkelt, in Deutschland seine Bäckersausbildung gemacht. So ist das Brot kein (wie hier sonst) eingefärbtes Weißbrot, auf das ein paar Körner gestreut werden, sondern wahrhaft echtes Vollkornbrot. Dafür sind die Preise für einen Laib astronomisch. Eine Spezialität des Hauses, ein süßliches Ingwerbrot, ist so teuer, dass ich statt des ganzen Laibes heute erschrocken nur ein Scheibchen genommen habe. Und während ich dieses mit Genuss verspeise, wünsche ich mir, Sie kommen mich bald besuchen, um bei einer schönen Tasse Kaffee und meiner selbst gemachten Marmelade, ein Stück von dieser Köstlichkeit zu probieren.

In freudiger Erwartung auf einen solchen Besuch oder zumindest auf Ihren nächsten Brief, verbleibe ich in der Hoffnung, dass bald auch für mich gilt: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ und

Ihnen ergeben

Ihre Madame Schoscha

PS: Anbei habe ich Ihnen die Illustration tu amor me da hambre (Deine Liebe macht mich hungrig), des argentinischen Künstlers Gastón Liberto gelegt. Er führt seit vielen Jahren hier in Barcelona erfolgreich seine Werkstatt, in die ich kürzlich versehentlich gestolpert bin. Er hat mir erlaubt, Ihnen regelmäßig Arbeiten von ihm mitzuschicken, u.a. aus seinem aktuellen, großformatigen Bild Barcelona sueño de sueños (Barcelona Traum der Träume), werde ich Ihnen immer wieder Ausschnitte schicken dürfen, die sich nach und nach wie ein Puzzle zusammen setzen lassen und Ihnen seinen Blick auf die Stadt frei geben werden. Viel Freude damit.

Fixpoetry 2012
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