Kultursalon Madame Schoscha

Brief aus Barcelona [7]

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha: „Denn Denken schadet der Illusion“
Barcelona

Madame Schoscha lebt seit Kurzem in Barcelona. Ihr alter Bekannter, Herr Altobelli weiterhin in Berlin. Beide leben sie in einer ganz eigenen Zeit. Und dennoch in dieser Welt, über die sie sich gegenseitig berichten, sie schreiben sich Briefe. Im monatlichen Wechsel flattert ein Brief aus Berlin oder Barcelona herein und vereint die aktuelle, kulturelle Erlebniswelt der beiden. Ganz wie im gleichnamigen Kultursalon Madame Schoscha, der mehrfach im Jahr in einem Schöneberger Theater stattfindet, geben sich die beiden Auskunft über ihre Entdeckungen aus Kunst und Alltag. Es scheint sich daraus eine wahre Brieffreundschaft zu entwickeln.

Illustration: Gastón Liberto

 

Barcelona, April 2013

Geistige Gesundheit, geschätzter Altobelli, scheint mir maßgeblich abhängig von den zwischenmenschlichen Beziehungen in denen wir stehen. Meine Psychohygiene lässt sich gerne von meinen Sozialkontakten durcheinander bringen, beziehungsweise machen diese sie erst nötig. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Kontakt eine behaarte Brust zu bieten hat, oder eine mich anschauende Hundenase. Und bei all dem ist klar, man braucht sie, die Beziehungen, um gesund zu bleiben und wieder verrückt zu werden. „I figure it's the love that keeps you warm“, kopfwarm, Überhitzung stets eine Möglichkeit.

Das Beziehungsgefüge zu meinen Mitmenschen, ein Netz das ich von Beginn an gesponnen habe, ein Fädchen hier, ein anderes dort, mal dort eine Verstrickung gekappt, mal hier etwas ausgebessert, sitz ich „am Rand und webe mich in jede Strömung ein“. Dickleibig wart ich dort, putz mir die behaarten Beinchen, bis das Glöckchen wieder klingelt. Denn das wird es gewiss. Ständig regnet es Emogranaten, die hausgroße Löcher in das Netz reißen, das Glöckchen hektisch durcheinander schütteln, das glotzäugige Tierchen alarmiert aufs Trapez rufen und wieder einmal architektonische Höchstleistung von ihm abverlangen. „Safe from the guards of intellect and reason”, habe ich die Spielregeln bis heute nicht verstanden.

Dabei spielt die Art der Beziehung gar keine Rolle. Konflikte hagelt es an allen Fronten. Wobei man der klassischen Liebesbeziehung ja gerne die größte Aufmerksamkeit schenkt, „Love a higher law“, vor allem in Liedern. Ich habe Ihnen passend zum Thema meine persönliche Liebeslieder Hitliste in Gänsefüßchen gesetzt. Da Sie musikalisch so bewandert sind und meine Hitliste auch nicht besonders originell, habe ich mir den Spaß erlaubt, die Zitate nicht zuzuordnen, sondern Ihnen diese Aufgabe zu überlassen. Sollten Sie alle erraten, werde ich Sie mit zwei Karten für den nächsten Salon am 25. Juni in Berlin belohnen.

Und von den Liebesliedern zum Kitsch (nicht mal ein Katzensprung): Dem katalanischen Schriftsteller Pere Calders ist es in einer seiner Kurzgeschichten gelungen, Kitschthema Nummer eins – Schicksal (hafte Begegnungen) - ganz unkitschig und humorvoll zu behandeln. In Seltsame Vorsehung erzählt Calders von einem jungen Mann, der nach einem Spaziergang eine fremde Familie in seiner Wohnung vorfindet. Seine Haushälterin Irene verschwunden, ist seine Wohnung zwar immer noch seine, aber plötzlich wie selbstverständlich von diesen Fremden bevölkert. Wie sich herausstellt, ist die Tochter der Familie seine zukünftige Ehefrau, die er auf diesem Wege kennenzulernen hat und auch nicht mehr los wird, da die Sippschaft die Wohnung nicht wieder verlässt.

Die Angelegenheit nahm unerbittlich ihren Lauf. Seit Jahren bin ich mit Clara verheiratet, und es ist mir weder besser noch schlechter ergangen, als es in solchen Dingen zu gehen pflegt. Geblieben aber ist mir ein Schuldgefühl […]. Denn es mag ja gut sein, dass die Vorsehung so spektakuläre Stücke inszeniert, damit wir dorthin gelangen, wo wir hin sollen, aber dass sie sogar andere Leute aus dem Weg räumen muß, damit wir freie Bahn haben …! Manchmal wache ich in der Nacht auf und denke: „Was wohl aus der armen Irene [Haushälterin] geworden ist?“

Pere Calders ist auf meiner katalanischen Hitliste, die sich, ich gestehe, noch recht spärlich ausnimmt, ganz weit oben. Zu lesen ist er in dem Band Und laß als Pfand, mein Liebling, Dir das Meer, einer Anthologie katalanischer Kurzgeschichten, die ich Ihnen empfehle. Die Geschichten haben mich an Kafka, manchmal an Murakami, dann wieder an den lateinamerikanischen Magischen Realismus erinnert, an Geschichten, die einer eigenen, manchmal leichtfüßigen Logik folgen. Es scheint mir lohnenswert, wenn man sich einen ersten Überblick über katalanische Literaten verschaffen möchte.

Dass Liebesbeziehungen wie in Calders Geschichte ein Happy End feiern, diese Zuckerwattenvorstellung möchte auch der Parc del Laberint d'Horta durch sein romantisiertes Äußeres bedienen. Die älteste Parkanlage Barcelonas vereint Lustschlösschen, Pavillon, unzählige Elemente der griechischen Mythologie, Bäche, Goldfische und Nymphen. Alles vieldeutig der Liebe gewidmet: Auf der untersten Terrasse befindet sich ein Irrgarten, wie der Name vermuten lässt, in dessen Mitte Eros auf einem Sockel thront. Übrigens auch Schauplatz für den Film Das Parfum von Tom Tykwer gewesen. Das Programm des Gartens findet sich in den Inschriften des Pavillongiebels wieder: Es ist die Eintracht zwischen Natur und Kunst, die das Schöne schafft. Zumindest ein Happy End in Stein gemeißelt. Ob es guten wie schlechten Tagen standgehalten hat, weiß heute kein Mensch mehr. Der Zustand der Inschrift lässt Schlimmstes befürchten: „Sie haben uns, ein Denkmal gebaut […]“.

Barcelona maze The parc del Laberint d'Horta Source: Garden mazes

Dass die klassische Liebesbeziehung auch Formen annimmt, die man nicht mehr nur beswingt „Etwas verrückt“ nennen kann, zeigt die katalanische Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Susanna Barranco in ihren Arbeiten. Mit denen hat sie in Katalonien mehrere hochgradige Preise gewonnen und entzückt darin meist selbst als Hauptdarstellerin, durch ihre liebreizende und gleichzeitig so gewaltig einsetzbare Erscheinung. Ich empfehle Ihnen einen Blick in den Trailer des Films Vacíos (Leere) zu werfen, der sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt. Er ist zwar auf Spanisch, dürfte aber dennoch einen ersten Eindruck vermitteln. Englischen Untertitel hat dafür der Trailer zu ihrem neuen Film El silencio de Jonc (Joncs Stille), den sie ihrem Sohn gewidmet hat und der von Menschen mit Behinderungen erzählt und gerade im Schnitt ist. Alle Filme sind über ihren Kontakt erhältlich.

Ich muss bei dem Thema ungesunde Beziehungen stets an den ceratia-Fisch denken und dabei dann an den Blues „it doesn´t feel good, it doesn´t hurt”:

Ceratias uranoscopus Source: Wikipedia

das junge ceratia-Männchen sucht sich eine Stelle […] des Weibchens aus […]. Dort beißt er sich fest, und dieser Biß bestimmt seine Zukunft. Von nun an ist er wie in einer Falle gefangen, er kann sich nie wieder von seiner Gefährtin trennen. Seine Lippen verwachsen mit dem fremden Fleisch. Er kann sich nicht mehr von ihr lösen, es sei denn, er würde das miteinander verwachsene Gewebe zerreißen. Maul, Kiefer, Zähne, Verdauungstrakt, Kiemen, Flossen und sogar das Herz unterliegen einer fortschreitenden Degeneration. Reduziert auf eine parasitäre Existenz, ist er bald nicht mehr als eine Art Testikel in Gestalt eines Miniaturfisches, dessen Funktion durch den Hormonhaushalt über die Blutbahn des Weibchens gesteuert wird. Ein ceratia-Weibchen kann drei bis vier solcher Miniaturmännchen am Körper tragen. (Jean Rostand, Bestiarium der Liebe, gesehen bei Vázquez-Montalbán)

Der Fachbegriff dafür lautet im Übrigen Sexualparasitismus, wobei sich mir hierbei die Frage aufdrängt, wer von beiden den Parasiten darstellt. Der Rekord liegt dabei bei acht Zwergenmännchen pro Weibchen. Da kommt Neid auf.

Auch jetzt, wo der Frühling in Barcelona sämtliche Lebenssäfte belebt, beobachte ich Männer am Strand, die, wie die Tiefseefische ihr Maul, ihre Blicke ins Fleisch der knapp bekleideten Touristinnen graben und ihre Köpfe an der Angel bis zum Äußersten verdrehen. „Can´t take my eyes off you (‘til I find somebody new)“, blinkt auf ihrer Stirn in Dauerschleife imaginärer Leuchtreklamen. Und unter den Haut-tragenden Damen ebenso Exemplare, die etliche Beißerblicke am Körper mit sich ziehen und die in diesem Moment alles von ihren Betrachtern verlangen könnten – auch deren Verdauungstrakt.

Dass eine Beziehung sich ganz anders gestalten kann, zeigen auch die neuen Bande, die ich zu einem mir völlig Fremden leis geknüpft habe. Auf meinen täglichen Spaziergängen auf den Montjuïc, dem Hausberg von Barcelona, dort auf einer Parkbank unter den Platanen, sitzt ein Mann mit einem Saxophon und spielt täglich mehrere Stunden. Keine Stücke, die man wieder erkennen würde, improvisierten Jazz und auch nicht für ein Publikum, denn dort, wo er sitzt kommt außer mir und den katalanischen Siestanern in Filzpantoffeln und Fiffi an der Leine niemand vorbei. Er sitzt da und spielt für sich. Egal zu welcher Uhrzeit (nachts war ich noch nicht da). Mittlerweile kennen wir uns. Ohne den Arm zu heben oder ein Nicken anzudeuten, grüßen wir uns. Es ist kein Hallo, kein Blinzeln. Es ist die stille Übereinkunft, dass man sich mittlerweile kennt, erkennt. Ich habe überlegt, ihn anzusprechen. Ihn zu fragen, was er da eigentlich macht. Auch, um Ihnen davon berichten zu können. Aber es würde das zärtliche Gleichgewicht stören, dass wir uns geschaffen haben, das Glöckchen an unserem Faden irritiert zum Klingen bringen. „No matter how it ends, no matter how it starts“, ist dies eine Verbindung, die nicht mehr braucht und dennoch viel tut. Und was sollte er auch auf die Frage, was er da mache, antworten? Saxophonspielen, was sonst.

Auf die Frage, ob unsere immer verschrobeneren menschlichen Beziehungen überhaupt noch zur Arterhaltung führen, antwortet mir wiederum prompt der Frühling. Da werden die Neuankömmlinge aus den winterstauben Wohnungen gezerrt und mit ihren Wagen die Trottoirs blockiert. Womit wir bei der innigsten Beziehung überhaupt angelangt sind: Säugling und Brust. Und dabei ist es die Frau, die in der Beziehung drauf zahlt. Erst kürzlich stieg eine befreundete Tänzerin aus meiner Dusche (sie stillt seit einigen Wochen ihren Sohn) und seufzte beim Blick in den Spiegel ergeben: Da gehen sie hin. Man sollte meinen, dass spätestens nach einem Nachkommen, Frauen von diesen Leiden genug haben: „I am my mothers only one, it´s enough”.

Dass diese Beziehung aber auch beim Säugling Irritationen hervorrufen kann, glaubt die abenteuerliche Theorie der Brust Schimpf Phase. Das häufig bei Kindern um den dritten Lebensmonat beobachtete exzessive Weinen während des Trinkvorgangs, soll hier auf dem Bewusstwerdungsprozesses des Kindes beruhen, dass es fortan von der Mutter getrennt ist und die Brust etwas ist, was nicht zu ihm, sondern zur Mutter gehört, die den Quell geben aber auch wieder entziehen kann. Ich sag nur: “Mind is a razor blade”! Diese traurige Entdeckung kommentiert das Kind mit heftigem Anschimpfen der Brust, einer verfrühten Pubertät gleich und gelangt so zur ersten Selbstständigkeit.

„Geruch nach … Duft nach … […]. Auch den seidigen Pudergeruch. Und dazu ein anhaltendes, all die andern Gerüche begleitendes, intensives Düftchen nach saurer Milch. Ach, doch wenn er, ein riesiger, lachender Mund, sich dann herunterbeugt, rieselt wie ein Freudenregen noch ein anderer Duft hernieder. Tief, tief, tief atmet, saugt sie die Gerüche ein. Und die Träume sind gelbe Geruchsblasen.“ (Aus Das Geländer, der Zitronenbaum und das Meer, der Katalanin Maria Aurèlia Capmany)

Und wenn Ihre Schützlinge aus der Akademie zurück an den Busen der Natur und in engen Kontakt mit anderen Künstlern kommen wollen, könnte das Canserrat eine sehr reizvolle Station für sie sein. Ein Künstlerhaus mitten im Montserrat, einem irritierend schönen Sandsteingebirge kurz vor Barcelona. Schriftsteller wie visuelle Künstler haben hier die Möglichkeit ein bis zu dreimonatiges Aufenthaltsstipendium zu erwerben, sich auszutauschen und ungestört zu arbeiten.

Abschließend, mein lieber Herr Altobelli, sagen Sie mir doch noch, für wen Sie momentan am liebsten tanzen? Wer auch immer es ist, denken Sie dabei an Rilkes Worte, eine gesunde Beziehung funktioniere auf dem einfachen Prinzip des sich Bindens und Lösens und wieder Binden und Lösen, Binden und Lösen …

Und so verbleibe ich mit den Worten

“Your servant am I / and will humbly remain”

Ihre Madame Schoscha

PS: Anbei wieder eine Illustration von Gastón Liberto, der überraschenderweise kürzlich Barcelona verlassen hat und mit seiner Familie nach Argentinien zurück gekehrt ist. Welche Begegnung ihn zu dieser Flucht veranlasst hat, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber glücklicherweise wird er mir weiter seine Bilder überlassen.

 

 

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