Neue Schulen

Caca Savic

Neue Schulen #11

Die Kolumne Neue Schulen soll Lyrikerinnen über 35, die aus dem Raster der klassischen Literaturförderung herausfallen, einen Raum bieten, in dem sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Erfahrungen und Gedanken zum zeitgenössischen Literaturbetrieb beschreiben. In unterschiedlichen Formaten wie Besprechung, Kommentar, Essay oder Interview werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Texte und Erfahrungen der Autorinnen präsentiert. Yevgeniy Breyger, Olga Galicka und Grit Krüger freuen sich laufend über neue Einsendungen unter .

Gedichte: 
Kommentar: 

Was sich nicht zähmen lässt

Ich bin hier. Ich habe erfahren. Das ist eine gute Ausgangslage. Mit mir hier: Schichten um Schichten - Geschichte, dazu Erinnerung und Entwürfe meines Ichs. Wenn ich aufblicke, auch um mich herum: Geschichte, Erinnerung, Entwürfe meines Ichs. Dicht gedrängt wie Baumringe.

Begegnung scheint geklammert Zusammenhang zu Spielen im Unklaren
wird alles zur Zünftigkeit, kannst kahle Bäume nicht spritzen
am Rebstock bis zum Umsturz tief gestanzte Epoche im Strich
preist Vergangenheit nebeln auf Sicht, illuster gepaarte Drolligkeit
tragisch im Ausdruck unsittlich archiviert

Werfe ich einen Blick auf Caca Savics Gedichte, wird deutlich, wie wertvoll ein Blick in die Natur sein kann, konkret in die Pflanzenwelt, um diese Baumringgebilde zu durchdringen. Die Texte lenken meine Aufmerksamkeit auf dieser Suche. Sie machen mich zu einer genauen Beobachterin dieser Natur. Wie ist sie beschaffen? Dicht mit der Kultur verwachsen. -heiten statt Heiden, die Idylle ist längst revolutioniert: „am Rebstock bis zum Umsturz tief gestanzte Epoche im Strich“. Darin gedeiht nur Widerspenstiges: Bäume sind kahl, keine Üppigkeit an Früchten, die man ernten oder schützen könnte. Sie machen deutlich, dass es hier um eine Natur geht, die sich nicht kultivieren lässt. Savics Texte sind keine zugeschnittenen, auf Semantik begradigten Gewächse. Sie zeigt mir einen von Erfahrung durchwurzelten Raum, in dem Kontrast verwächst: Abstraktes wie „Epoche“ und Konkretes wie „Bäume“, Drolligkeit und Tragik. Meine Baumringe sind Klammern, durch die ich mich von Innen nach Außen, von Außen nach Innen durch das Gedicht bewege – nur so erreiche ich etwas, das einer Begegnung mit ihm nahe kommt.

ich träumte, ich träumte von zwei Stellen zeigtest mir im blauen
Schatten mit glattesten Bäumen, beeilten uns unterm Gewitter
mit zu haltender Spannung trieb mich weiter hinter deine Rufe
dem Tempo von Kurgästen hinaus, prächtige Gärten auf
Knopfhöhe Trophäen stahlst einem Mister Flintenhalter
trächtiger
Schauer kam und riss ihm den Rücken auf, krumme Gesellen
stehen parat zum Zugriff und schauten aus
Maulsperrenmündern, stumme Begleiter
wollten in Vasen hüpfen Rittersporn stand zum Vermehren
nah kletterst mir
um den Hals

Savics Sprache erfasst nicht, sie lässt geschehen. Durch Rhythmus und Assonanz entstehen organischen Gebilde mit Eigenleben, die sich von mir nicht zähmen lassen. Ich folge ihnen in die Weite hinaus und sehe um mich herum alle Erwartungen im Gewitter zerbersten. Ich locke sie in meine Nähe und verstehe bald, dass das, was mir um den Hals klettert, Schmuckstück und Schlingdorn zugleich ist. Sie lehren mich, meinen bisherigen Ordnungssystemen zu misstrauen – in der Sprache ist es zum Beispiel die Grammatik. In meinem Denken die Unterscheidung zwischen Erinnerung und Fiktion: „ich träumte, ich träumte“ – der Traum und das Ich werden verdoppelt und wiederholt. In diesem Misstrauen wird mein Blick darauf geschärft, was die Geschichte um mich herum zusammenhält. Ich erkenne Begriffe und Korrespondenzen, mit denen die Schichten durchlässig gemacht werden.

deshalb Misstrauen als blindlings immer
dort hinein blutiger Rest
damit einst Gesponnenes in Vertraulichkeiten
Augen verkleben

vom dort umzugehen: neue Orientierungen ins dort
verbindet die Ordnung
du teilst Verletzlichkeit ein in sinnvoll und ungerecht

von oben aus treten und wieder singen: aus Beständen
des Vorherbst verflogen die Boten
weiter Schirm aus Luft und Farbe hier nicht mehr da

es gibt ein Ungeschehen für zwei Punkte in der Deckung:
verschmolzen
Ungemeinsamkeit dort wird Begriff bereitet

Der Autorin gelingt es dabei mit einer Leichtigkeit, schmerzhafte Erkenntnisse zu vermitteln. So die Beobachtung, dass dem Entstehen eines Begriffs immer ein Vereinsamen innewohnt. Erst durch Differenz, durch Ungemeinsamkeit, kann er bestehen. Ich bin nicht du – eine Erkenntnis, die einsam macht. Doch allein aus dieser Differenz heraus kann das Ich jemandem oder etwas begegnen, kann es auch eine Erfahrungen machen. Caca Savics Gedichte schaffen es, mir da zu begegnen, wo ich verletzlich bin, ohne es erfassen oder beschreiben zu wollen. Ich bin hier. Ich erfahre. Sie begegnen mir da, wo ich es durch Sprache geschehen lasse.

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