Storys vom glamifizierten Notstand
Seit 2008 wirbt Berlin mit dem Motto »be Berlin« für sich und nach gut einem Jahrzehnt versteht immer noch niemand so recht, was das eigentlich bedeuten soll. Da hilft auch der Zusatz »the place to be« reichlich wenig. Das Corporate Design aber zumindest erschließt sich da noch einfacher: Das Logo ist dem Brandenburger Tor nachempfunden und rangiert in Sachen Hässlichkeit auf einem stolzen zweiten Platz hinter dem perspektivischen Unfall, mit dem die BVG bis vor Kurzem noch ihre Bahnfenster beklebte. Werbekampagnen werden rot eingerahmt, wobei das markante Rechteck an der Unterkante im Verlauf zickzackförmig eingedellt ist. Der Rahmen, er sieht aus wie eine Sprechblase. Klar, in Berlin und besser noch von Berlin wird gerne geredet – und das gerade ist eigentlich das beste Stadtmarketing überhaupt.
Rot war auch die Farbe, die vom Cover des Fotobands Berlin Wonderland. Wild Years Revisited 1990-1996, herausgegeben von Anke Fesel und Chris Keller als erste Buchveröffentlichung der von ihnen betriebenen Fotoagentur bobsairport. Der Nachfolger strahlt nun grellgrün wie die Hoffnung nach einer Nase MDMA und versucht der schweren Nostalgie des Erstlings mehr Text entgegenzusetzen. In Heartbeats. Stories From The Wild Years, 1990-Present wird viel geredet. Dieses Buch erscheint diesmal bei Suhrkamp, denn schließlich weiß nicht nur Berlin selbst von der überdehnten Selbstmythologisierung der Stadt zu profitieren. Was Heartbeats versammelt, sind tatsächlich Storys, genauer gesagt sind es Erfolgsgeschichten. Die von kreativen Menschen, die es nach dem Mauerfall entweder als Zugezogene oder Einheimische geschafft haben: Judith Hermann vom Verlag S. Fischer, Klaus Biesenbach von ehemals den Kunst-Werken und nun dem New Yorker MoMA, Robert Lippok von der Band Ornament & Verbrechen, Sven Marquardt von der Berghain-Tür, Flake von Rammstein, Dimitri Hegemann vom Tresor, OL aus der Berliner Zeitung, Frank Castorf von vormals der Volksbühne, Christiane Rösinger von den Lassie Singers und Sasha Waltz von der Sasha Waltz Company.
Hinter jeder Person steckt nicht nur immer auch eine Erfolgsgeschichte, sondern stets auch eine Marke, die zum Marktwert von Berlin als – grusel – Kreativmetropole beigetragen hat. Nicht zu Wort kommen die Zehntausende, die Ähnliches versucht haben und daran kläglich gescheitert sind. Vermutlich, weil das niemand lesen wollen würde, oder weil die Leute so ungern von ihrem Scheitern erzählen. Vor allem aber, weil es nicht in die Gesamterzählung dieser Stadt seit 1990 passt. Das Schlagwort, das im Verlaufe der protokollarisch als (Selbst-)Erzählungen aufbereiteten Interviews immer wieder fällt, lautet Offenheit. »Deswegen kamen alle: wegen der plötzlichen Leere und Offenheit«, schreibt FAZ-Redakteur Niklas Maak im Vorwort von Heartbeats und Frank Castorf kann sich gar ein Hölderlin-Zitat nicht verkneifen: »Komm ins Offene, Freund«. Offenheit ist eines der drei Leitmotive, die diese autobiografischen Berlin-Testimonials durchziehen. Die anderen beiden sind ihm verwandt: Freiheit und Widerstand.
Obwohl etwa Judith Hermann anmerkt, dass das »Offene, Provisorische, Illegale, Freie« sich auch irgendwann auflöste und die Zeit für »Verträge, Kautionen und Versicherungen«, ja, eben das verdammte »Erwachsensein« gekommen sei und selbst wenn Christiane Rösinger anmerkt, dass sie »in einer Art selbstgewählter Boheme« ein prekäres Leben führe, so diktiert der allgemeine Erzählfluss des Berlin-Mythos doch die andere Lesart der Geschehnisse seit der Wende, wie sie auch Maak unterstreicht: »Es heißt immer, diese Tage der Leere, die Offenheit, die Nächte, das Improvisierte, Nomadische, alles sei weg; und natürlich ist das ein Unsinn«, donnert er im Vorwort. Klar, Mitte sei over, aber in Neukölln und Wedding geht nun stattdessen der heiße Scheiß ab. Kein Wort darüber, dass die Investoren mittlerweile immer tiefer über Kreuzberg kreisen und Online-Versandhändler mittlerweile die Brachflächen aufkaufen.
Die versprochenen Stories From The Wild Years, sie sind nicht so penetrant nostalgisch wie die Wild Years Revisited. Doch sind sie zusammengenommen ziemlich gegenwartsblind, egal, was der Titel verspricht. In ihrer Gesamtheit sagen diese Texte nämlich vor allem eins: Sei wie wir – be Berlin. Heruntergebrochen steckt hinter dieser kumulierten Coolness kaum mehr als dieses merkwürdige Motto, das zugleich ein ziemlich leerer Imperativ ist; dieser Claim, der im selben Jahr geprägt wurde, als die Weltwirtschaft die Krise bekam. Schon fünf Jahre vorher hatte der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit gegenüber dem Focus eine andere, ähnlich gelagerte Parole vorformuliert: »Berlin ist arm, aber sexy«, sagte er. So ist das also: Der Notstand wird einfach wegglamifiziert. Seinen historischen Vorläufer findet diese zur Ideologie hochgejazzte Idee in der aufblühenden Techno-Szene. »Das Fischbüro war eine Art dadaistisch angehauchter Versammlungsort, in dem auf humorvolle Art Konsumenten zu Produzenten geformt werden sollten«, sagt Dimitri Hegemann über den von ihm betriebenen Knotenpunkt der frühen Szene, aus dem schnellstens eine ganze Industrie wurde. Da also fand sie statt, die Geburt des Berliner Neoliberalismus aus dem Geiste des Undergrounds. Und mittlerweile schwebt um die ganze Stadt eine rote Sprechblase, deren Inhalt niemand aussprechen mag: Dass alles nicht so gelaufen ist, wie sich es die Leute damals vorgestellt haben.
Allein aus Techno wurde eine der Haupteinnahmequellen Berlins, das sich gerne mit der hiesigen Clubszene brüstet und komfortabel auf dem »Hauptstadtportal« Clubs auflistet, die etwa vom umstrittenen Ausbau der Autobahn 100 bedroht sind. Dit is Berlin, dit is aber ooch kognitive Dissonanz, wa? Von den massiven Einnahmen aus dem EasyJetSet, wie es Tobias Rapp in seinem Buch Lost And Sound – natürlich: geschrieben 2008 – nennt, fließt so gut wie nichts zurück in die Subkulturen. Clubs machen auf, gehen unter, andere ersetzen sie, ad infinitum, ad nauseam. Selten, fast nie eigentlich greift die Stadt ein – es sei denn eben, die Nachbarschaft beschwert sich. Anders gesagt mögen zwar aus Konsumenten Produzenten geworden sein, nur produzieren die wenigsten für sich selbst. Berliner Partys bleiben prekär.
Auf bildlicher Ebene indes erzählt Heartbeats noch eine andere Geschichte: die der Berliner Polizei. Denn wo »produktiver Ungehorsam« ist, wie Klaus Biesenbach das nennt, da findet sich eben auch Gegengewalt. Das vielleicht treffendste Bild dazu hat Harald Hauswald bei der polizeilichen Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße im November 1990 geschossen: Mitglieder einer Hundertschaft drücken sich an die Wand eines Möbelgeschäfts. Dessen Name: Wohnkultur. Auf den Schriftzügen im Schaufenster sind die Worte »Konsum Berlin« zu lesen. So sehr die fortschreitende Gentrifizierung in Berlin staatstragend geworden ist, so staatsgewalttätig wird sie unterstützt.
Die Offenheit des Wohnraums war nach kurzer Zeit in diesem Teil Berlins passé, die Widerstand wurde niedergeschlagen und das war’s mit der Freiheit. Nach der ersten Hälfte des denkwürdigen Georg Büchner-Aufrufs aus dem Hessischen Landboten ist das Fotoessay über die katastrophale Aktion benannt: Krieg den Hütten. Nur ereilten die Paläste danach nicht unbedingt der Friede; im Nachspiel erklärte Renate Künast die rot-grüne Koalition für beendet. Die Geschichte wiederholte sich dennoch und sie tat es häufig, 2014 am Oranienplatz zum Beispiel – ebenfalls unter den Grünen. Es rollten nur viel weniger Köpfe als 1990. Was vielleicht auch an denjenigen lag, die dort den öffentlichen Raum besetzten. Denn wenn sich Berlins Offenheit wirklich nur auf Neukölln und den Wedding verlagert hat, so gilt das eben noch lange nicht für alle. Komm ins Offene, Freund – aber bleib bitte nicht länger als notwendig. Wenn schon Ungehorsam sein muss, dann muss er schon produktiv sein.
Heartbeats reiht sich mit seinen Erfolgsgeschichten in das gefährliche Narrativ einer Stadt ein, die das Prekäre zum Dauerzustand erhebt und Armut als Sex-Appeal verkauft. Weil es eben nicht allein wie noch Berlin Wonderland lediglich die Vergangenheit verklärt, sondern die Mythosmaschine der prekären Partyhauptstadt, diesem dunklen Herz der neoliberalen Ideologie, auf Hochtouren rotieren lässt. Da helfen auch die randständigen Widersprüche von Judith Hermann und Christiane Rösinger wenig. Wie Berlin dieser Jahre ist, drückt sich am besten in der tristen Belanglosigkeit von Flakes Verhältnis zur Stadt aus: »Ich fühle mich in Berlin völlig frei und locker, hier komme ich zum Luftholen«, sagt der. Fragt sich nur, wer sich so viel Urlaubsfeeling eigentlich leisten kann.
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