Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Ein Buch wie von der Tarantel gestochen

Hamburg

Beim erneuten Lesen der  Tarantula ist mir eine gewisse Parallele zur Cut-up-Trilogie von William S. Burroughs aufgefallen: Beide sind stark experimentell und bei beiden sind beide Autoren mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden.

Burroughs hat in einem Interview gesagt (siehe Der Job): "Ich habe Sachen geschrieben, die mir interessant schienen, auf einer experimentellen Basis, aber im Übrigen nicht lesbar." Seine experimentellen Texte sind unter Anwendung der Cut-up- bzw. Fold-in-Technik entstanden, und am intensivsten hat er sie bei der sogenannten Cut-up-Trilogie The Soft Machine, The Ticket That Exploded und Nova Express eingesetzt.

Dylan hat in einem Interview von sich gegeben: "Stehst du auf so was wie Cut-Up-Literatur? ... Ich hab das Buch geschrieben, weil da lauter Sachen drin sind, die ich unmöglich singen kann ... Sachen ohne Reim, alles Cut-Up, kein gar nichts, außer daß da etwas abläuft, was man Wörter nennt." Santa Monica, 1965, aus: Christian Williams (Hrsg.), Bob Dylan - In eigenen Worten. Dylan hat sich mit diesem Buch schwer getan und wusste nicht, ob er es wirklich veröffentlichen wollte.  Tarantula wurde 1965 geschrieben, aber die Originalausgabe erschien erst 1971 bei Macmillian & Scribner, New York. Einmal hat er Tarantula als Unsinn bezeichnet bzw. es als "misslungen, ja bedeutungslos" abgetan.

Dem muss man allerdings entgegenhalten, dass es sich bei einem Cut-up-Abenteuer um eine experimentelle Methode handelt, dessen Ergebnisse unberechenbar sind. Detering hat in seinem Nachwort darüber hinaus klargemacht, dass Tarantula heterogen ist, also auch kein reiner Cut-up: Die unterschiedlichen Schreibverfahren der Beat Poets bestimmen den Rhythmus von Tarantula, insbesondere die Langgedichte von Allen Ginsberg, die Cut-up-Technik von William S. Burroughs, und vor allem die spontane Prosa von Jack Kerouac. Heinrich Detering sieht Kerouacs Essay Essentials of Spontaneous Prose gar als "eine Schreibanleitung für Tarantula".

Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch in unterschiedlichen Charakterisierungen, die Detering diesem Buch durchaus treffend gibt. So handelt es sich um einen "radikalen Anti-Roman", "Tarantula ist ein road movie", aber auch ein "Traumland einer Sprache, die ganz und gar amerikanisch ist". Wobei der "eigentliche, einzige Held, der sich in diesem Sprachbildungsroman wirklich entwickelt und verändert, ist der Text selbst". Dazu verwendet Dylan "Sprachmaterial, das zertrümmert" wird, inklusive seine eigenen Songtexte. Im Buch scheint auch die Stimme eines anderen Autors auf, nämlich William Shakespeare. Als weitere Person zieht sich eine gewisse "Aretha als Personifikation der amerikanischen Musik" geheimnisvoll durch den ganzen Text.

Das Buch ist nicht durchgängig in einem Stil geschrieben. Neben den Cut-up-Passagen, die oftmals surreal wirken, gibt es auch Gedichte, fiktive Briefe etc. Dass Dylan aber wirklich diese Schnitttechnik eingesetzt hat, kann man an bestimmten Wortschöpfungen erkennen, auf die man nicht so ohne weiteres stoßen würde. Gelungene Beispiele für solche Cut-ups: "die oberteile von fragezeichen", "meine augen sind zwei abstellplätze für gebrauchtwagen", "der dada-wettermann", "eine parkuhr mit gebrochenem kiefer", "truman peyote", "nukleare nippel", "motorradheilige", "vivaldi des waschsalons", "rollstuhlmarxisten".

Es sind aber durchaus auch ernste Themen, mit denen sich eher links stehende Leute auseinandersetzen, die in diesem Buch immer wieder aufgegriffen werden, um dann aber sogleich auch parodiert und verspottet zu werden. Beispiele hierfür: "jeder weiß inzwischen dass kriege verursacht werden von geld und gier und wohltätigkeitsvereinen", "während der dollar zu einem bloßen fetzen papier wird [...] aber leute morden für einen fetzen papier und überhaupt kannst du dir für einen dollar nichts leisten solange preisschilder das mittel zum zweck sind", "beschütze dich vor den verlogenen wörtern und loyalität gegenüber kraftwerken", "wir müssen bereit sein, für die freiheit zu sterben [...] könnte hitler das gesagt haben?", "diese hollywood-typen die dir sagen was du tun sollst - die werden alle von den indianern abgeknallt". Aber auch sich selbst nimmt er da nicht aus, und holt sich dabei vom hohen Sockel: "ich würde gern etwas nützliches tun zum beispiel auf dem ozean einen baum pflanzen aber ich bin nur ein gitarrist".

"Parodiert wird in Tarantula schlechterdings alles" sagt dazu Detering. Dylan spart dabei auch seine Vorbilder nicht aus, überzieht sie mit Parodie und Gespött, z.B. Woody Guthrie, die "domestizierten Gegenkulturen" sowie die Beat Poetry an sich.

In dem Kapitel "Merkwürdiges Cocktailgespräch mit dem ellenlangen Fremden" wird der Song Black Betty parodiert. Aus Black Betty wird im Text auch "back betty" oder "black bready" oder "black bloody". Jeder Satz, jede Äußerung endet mit einem "blam de lam!" Ganz analog zu dem Original-Song:

"whoa, black betty (bam-A-lam)
whoa, black betty (bam-A-lam)
Black betty had a child (bam-A-lam)
The damn thing gone wild (bam-A-lam)
[...]"

Den meisten wird dieser Song bekannt sein, und zwar in der Rock-Version von  der Band Ram Jam von 1977. Allerdings ist Tarantula ja bereits 1965 geschrieben worden. Dylan kann sich also nur auf die ursprüngliche Fassung des Bluesmusikers Leadbelly von 1939 bezogen haben.

In dem Kapitel "Advice to Hobo's Model" wird ein Song parodiert: "Delilah" ist ein Lied von Tom Jones von 1968, geschrieben von Barry Mason und Les Reed, ich würde es als Schnulze bezeichnen. In ihm geht es darum, dass Delilah von ihrem eifersüchtigen Liebhaber mit dem Messer erstochen worden ist, sie ist also bereits tot. Dieses Kapitel von Dylan ist in diesem Zusammenhang schon ziemlich ironisch, da er dort wirklich Ratschläge erteilt, nämlich: "mal dir die schuhe an, delilah - du wandelst auf weißem schnee, ein nasenbluten würde das universum durcheinanderbringen".

Die Texte der verschiedenen Kapitel in ganz unterschiedlichen Sprachstilen zu schreiben, erinnert auch stark an die Ulysses von James Joyce. Ebenfalls ein experimenteller Text, der zwar als ernsthafte Literatur anerkannt ist, an dem aber nach wie vor die meisten - auch erfahrenen - Leser scheitern.

Detering geht in seinem Nachwort auch auf das Problem der Übersetzbarkeit solcher Texte ein, sieht das aber eher unkritisch, denn: "Manche [Anspielungen in Tarantula] bleiben heute [...] oft wohl auch für amerikanische [Leser] im Dunkeln."

Aufgefallen ist mir, dass "Hier liegt Tarantel", das Vorwort der Verleger zur amerikanischen Erstausgabe, das in der Ausgabe: Bob Dylan, Tarantel, Deutsch von Carl Weissner, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1976 noch enthalten ist, in der vorliegenden Ausgabe fehlt.

Dieses Buch kann ich nicht uneingeschränkt jedem empfehlen. Leser, die mit einer bestimmten Erwartungshaltung an Tarantula herantreten, gar einer passiven Konsumentenhaltung, werden mit diesem Buch ihre Verdauungsstörungen haben. Tarantula erfordert nicht unbedingt jemanden mit viel Lesekompetenz, auch der zeitgenössische Hintergrund ist nicht so relevant. Aber um von diesem Buch wirklich etwas haben zu können, muss ein Leser schon unvoreingenommen, recht offen und tolerant sein.

Bob Dylan
TARANTEL
Übersetzung: Carl Weissner. Vorwort: Heinrich Detering
Hoffmann & Campe
2016 · 384 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-455-00116-7

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge