Die Zukunft hinausschieben
Das Wälzen oder Rollen eines Steines, das Abgeben eines eigenen Antriebes, durchzieht Künstliche Tölpel, eine Prosaveröffentlichung Dominik Dombrowskis, die aber, vorweg, durchaus lyrische Gefilde bewohnt. Der zweitteilige Text, kürzlich in der Parasitenpresse erschienen, lebt auch stilistisch von einem Kauen bzw. Wälzen. Lange Sätze beschreiben gewollt umständlich das zielbefreiende Denken Laszlos, der auf einem urlaubslosen Urlaub, beschließt Stein am Rheinufer zu werden.
So werden andere ihn wohl bald ernähren müssen.
Mit seiner Freundin Uli verbindet Laszlo ein letztes bisschen Halt, der im Laufe des ersten Teils auch noch dran glauben muss. Laszlo legt seine eigene Welt offen:
Sie hatten viele Pläne gemacht, Haus, Reisen, Ziegen auf dem Land... Immer blieb das alles ein Satz mit drei Pünktchen. Sie belauerten sich gegenseitig, ob sich irgendetwas beim anderen ereignen würde, dann waren sie plötzlich vierzig.
[...]
Denn die letzten Pläne, die er – wenn überhaupt – noch gehabt haben könnte, oder meinte gehabt haben zu können, stammten ausnahmslos eher aus den späten achtziger Jahren und beinhalteten die, mittlerweile erfolgreiche Verwirklichung seines Vorhabens, eben dieses sein Bonner 27-Quadratmeter-Dachappartement final zu beziehen, um dort bei Zeiten in die Ruhe zu finden; das heißt, beim Fernsehen und dem damit einhergehenden Abtauchen ins Meer der Bilder, mit der Lebensführung anderer, nämlich der Prinzen, der Fußballer, der Politiker und ähnlicher fernsehtauglicher Prominenz, zu verschmelzen und letztlich zu verblöden.
Diese Episode nimmt ein Spiegelbild vorweg, das im zweiten Teil, der surreal und "befreiter" agiert, kompositorisch gesprochen, in Form eines rührend-traurigen (Radio-) Beitrags über die künstlichen Tölpel wiederauftaucht: der Versuch, mittels Tölpel-Attrappen auf einer neuseeländischen Insel eine Brutkolonie eben jener Vögel aufzubauen. Der insofern scheitert, als dass genau ein Tölpel, Nigel, sich unsterblich in eine Attrappe verliebt und irgendwann entkräftet in sein Nest ihr zu Füßen sinkt und verstirbt.
Laszlo derweil wird als Stein von Familien weitergereicht, oszilliert zwischen Radio, Autobahn und Kleidersammlung, raucht und trinkt Kaffee. Er schaut aus dem Dachlukenfenster, ein Flaneur ohne das Haus zu verlassen. Die Erzählung versandet wie der Rhein im letzten Sommer und zurück bleibt ein Melancholie getränktes Stück, das unauflösbar eine weitere condition humaine versucht zu errichten. Ein echter Runterzieher, schön und wo nicht leicht geschwätzig Urlauberbashing (im ersten Teil) betreibend, federleicht und galgenhumorig, trotz des schweren Bluts.
Er wollte geachtet werden wie ein Tier im Terrarium geachtet wird, das sich zweieinhalb Tage nicht von der Astgabel rührt.
Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben