„Alien Farm”, oder: Orwell, links – Rabinovicis Außerirdische
Beim Lesen der Außerirdischen wird rasch klar, worum es geht, vielleicht zu rasch, deuteten manche Rezensenten an, aber da bin ich, um es vorwegzunehmen, anderer Meinung. „Der Autor legt, soweit er es vermag, die Karten auf den Tisch; das ist keineswegs dasselbe wie das Spiel”, wie es in Adornos Negativer Dialektik heißt...
Was sind die Karten? Es geht um eine Invasion: Diese – inszeniert oder nicht? – entsolidarisiert alles, wobei vieles dafür spricht, daß das geplant ist, aber das virtuose Spiel mit zwei ineinander gestellten Abgeklärtheiten, jener, daß man so eine Verschwörung gar nicht hinbekomme, und die, daß das doch trotzdem nur ein „Scherz” sein könne, gehört schon nicht mehr zu den Karten ... und vielleicht auch nicht ganz zu dem, worum es geht. Jedenfalls ist die anthropomorphe Herrenrasse dann da, aber sie wolle nur das Beste für alle ... und dann wird pittoresk geschildert, welche Möglichkeiten das sein sollen, während man einander fröhlich umbringt, aus Angst, aus Gier, ...
Animal Farm, wo manches Tier gleicher als das andere ist, als die Revolution ausbricht, die keine gewesen sein wird, ist dem nicht unähnlich. Waren die Schweine Schweine..? Bedarf es dessen, einer Klasse, die sich bis ins letzte Detail verabredet und verschwört, oder reicht eine hinreichende Erosion, Unklarheit in Bezug auf legitime Konsensbildungen, das vage Licet, wie nun Charlottesville wieder zeigte..? – Der US-amerikanische Präsident, der wenigstens implizit dem KKK und Neonazis Rechte einräumt, ist hierin der Neofeudalist, der weiß, daß es einer Ermutigung schwerlich bedarf: Could America Be Headed for Another Civil War? – Dies fragt im New Yorker Robin Wright, immerhin schätzen Experten, es bestehe eine erhebliche Chance auf eine „domestic conflagration in the next ten to fifteen years.” Aber man kann von diesen Unruhen – und wegen der Performanz solcher Sätze muß man das vielleicht auch – ebenso sagen, daß es auch Kräfte gebe, die bereit und fähig sind, zu „counteract what we’re seeing today.”
Und das ist bei Doron Rabinovici auch fast sowas wie die Botschaft, wenn man sein Buch auf etwas von dieser Art reduzieren wollte: Er zeigt, wie schnell es schlimm wird; er zeigt, wodurch es schlimm wird. Aber wir sind ja noch da.
Und wogegen und wie, das erzählt er: Wogegen? Dagegen, daß vage Heilslehren die wichtigste Utopie vergessen lassen, die Solidarität, das gemeinsame Gestalten einer modernen Gesellschaft. Diese Heilslehren sind hier nach Fragen, wie es um den Gott der Außerirdischen stehe und dergleichen mehr, rasch – und Rabinovicis wegen noch rascher, kurzweilig, wie beispielsweise er einen „Astrophysiker in seinem Rollstuhl” sagen läßt, er hoffe bloß, da seien keine Wissenschaftler gekommen, das wäre „das Schlimmste” – sehr einfache Interessen:
Risiko(neu)verteilung in der Risikogesellschaft, schön geredet („Dürfen mündige Bürger sich in Gefahr begeben?”), ein wenig wie in den Hunger Games, wie überhaupt alles hier irgendwie auf irgendwas anzuspielen scheint, eine postmoderne Melange mit aber unpostmoderner Moral, künstliche Verknappung virtueller Werte („Exobilien”...), das reicht, um einen pittoresken Feudalismus/Kapitalismus/Faschismus in Gang zu setzen, worin die Profiteure und jene, die sich dafür halten, sich die Frage kaum stellen: „Was, wenn wir die Nazis sind?” – Hysterie wäre das doch, nicht? Aber..:
„Wie normal ist es, in solch einer Situation normal zu bleiben? Wie viele Tote kann unser Privatleben verkraften?”
Und zwar auch, wenn zugleich gilt: „Ja, uns ging es besser denn je.” – Die Frage stellte sich auch, wenn das materielle Gutgehen sich bei Rabinovici nicht als fragil erwiese. Und sie stellt sich heute; man lese die Statistiken, nach denen schätzungsweise bis zu 18 Millionen Menschen pro Jahr einer profitablen Verteilungsungerechtigkeit geopfert werden, wie Thomas Pogge errechnete.
Aber wie könnte man einhalten? Indem man wach bleibe, nicht den Terror mittreibe, auch nicht durch Gegenterror, etwa auf jene, die die Gladiatorenspielen beobachten, behutsam mit Narrativen zu sein, Zuordnungen und Natürlichem wie Übernatürlichem zu mißtrauen, in Champs die zu erkennen, deren Ehrung vor allem andere, die wen auch immer auszeichnen zu dürfen selbst auszeichnet, ehrt (übrigens eine Beobachtung schon u.a. Günther Anders’), ... und doch zu wissen, daß all das Wachbleiben nicht heißen soll: „Niemandem war zu trauen.” Im Gegenteil erfüllte man so vollends, was das Divide et impera meint.
Und am Ende geht’s weiter, die Außeriridischen? – Weg. Und alles wird verarbeitet, „eine Sendung darüber machen” müsse und wolle man, so geht’s weiter, immerhin, aber auch das ist zugleich schrecklich. Daß die „»soziale(n) Medien« kein Euphemismus” bei Rabinovici seien, wie Jandl in der NZZ schrieb – man darüber streiten...
Alles in allem jedenfalls eine einfallsreiche, beißende Allegorie, für deren Gewicht heute womöglich jeder Tag spricht.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben