Angst ist ein schlechter Ratgeber
Im letzten Jahr veröffentlichte Friedrich Ani ein Gedicht, in dem er auf seine, stets ein wenig zurückgenommene, ruhige Weise auf die sogenannte Flüchtlingskrise reagierte, die wohl mehr eine Krise der offenen Gesellschaft ist. „Taggedanken“ hieß der Text, in dem Ani die Geschichte seiner Eltern – beide Zuwanderer, sie aus Schlesien, er aus Syrien – reflektierte. Das ist eine besondere Konstellation, die allein schon auf dieser Ebene alles völkische Geschwätz ad absurdum führt. Die aber auch zugleich darauf verweist, dass die deutsche Gesellschaft sich nicht immer tolerant und freundlich gezeigt hat.
Es hat nicht lange gedauert, bis Ani dieses Thema auch in einem Roman verarbeitet, und die Neugierde, wie er mit seinem besonderen Blick auf diese Welt damit umgehen würde.
„All die unbewohnten Zimmer“ ist dabei immer noch ein typischer Ani-Roman geblieben. Gelassen bis melancholisch in der Schreibweise, zurückgenommen im stilistischen Engagement, dabei mit einem Blick auf seine Figuren, den es so in der deutschsprachigen Literatur nur selten gibt. Gerade das macht die Qualität dieses Autors und seiner Texte aus, dass er nämlich bei allem, was hier geschieht, immer zurückgenommen und von unglaublicher Ruhe bleibt.
Eine solche Einschätzung mag von den ZDF-Verfilmungen der Süden-Reihe motiviert sein, die leider nur stiefmütterlich behandelt und an beinahe versteckter Stelle gezeigt wurden, aber es gibt guten Grund, diese Romane so zu lesen.
Freilich mindert das die Distanz, die zu dieser Ani-Welt bleibt, nicht. Der Autor und seine Figuren machen sich nicht gemein. Sie sind – egal ob Tabor Süden, Jakob Franck, Polonius Fischer oder Fariza Nasri – Persönlichkeiten, die sich ihre Eigenständigkeit bewahren. Vor allem Franck und Süden – die sich in diesem Roman endlich kennenlernen – sind zudem moderne Flaneure, die durch diese Stadt, dieses München treiben, auf eine derart unmoderne Weise, dass es wenig Grund gibt, sich ihnen anschließen zu wollen. Wo ein Franz Hessel den Blick auf die fremde urbane Welt öffnet, verschließen sie ihn.
Süden, Fischer, Franck und Nasri ermitteln aus verschiedener Perspektive in dem im Grund genommen selben Fall. Sicher, Süden sucht wieder einen vermissten Mann, der seit einiger Zeit völlig aus dem Ruder zu laufen scheint. Die übrigen aber sind mit dem Todesfall eines Polizisten beschäftigt, der – weitab einer Demonstration „besorgter Bürger“ – erschlagen aufgefunden wird. Außerdem hat ein unbekannter Schütze eine Frau und einen Polizisten angeschossen. Die Frau ist tot, der Polizist schwer verwundet.
Es gibt also Fälle, die wenigstens zum Teil miteinander verbunden sind, was Gelegenheit gibt, die Protagonisten aus Anis Kosmen schließlich doch zusammenzuführen. Das führt interessanterweise zu einem Text, der anderes von seinen Leser/innen verlangt als andere Ani-Texte. Ani schreibt immer fragmentarisch und lässt bewusst Lücken. In diesem Roman aber müssen Leser/innen auch noch zwischen verschiedenen Handlungssträngen hin- und herspringen, ohne zu wissen, ob sich das lohnt, ob sie mithin mit Zusammenhängen belohnt werden, für die sie die Mühe gern aufbringen.
Aber Literatur muss nicht nur freundlich sein, sie muss faszinieren. Und das tut dieser Text.
Das hat sicherlich auch mit seinem Thema zu tun, denn in den Mord an dem Polizisten sind zwei Jungen verstrickt, die aus Syrien stammen und mit ihrem Vater aus dem Bürgerkriegsland geflohen sind. Die Mutter und der Rest der Familie ist umgekommen, der Vater trägt die Schuld des Überlebenden. Er und die Söhne leben, seine Frau aber ist tot, weil sie geblieben ist. Während der Vater nun ein neues Leben beginnen muss und will, verweigern die beiden Jungs dies, sie wollen zurück, und wenn nicht zurück, dann wenigstens wieder auf die Reise, während der eben noch nichts entschieden war, die Mutter noch lebte.
Hinter diesen beiden Jungen nun ist ein Polizist hergerannt, weil sie Äpfel geklaut haben, und hat sie gestellt, wenig später ist er tot. Die Jungen verschwunden. Ein Mann macht sich wenig später an dem Toten zu schaffen. Eine Frau beobachtet alles.
Die Konstellation ist kompliziert, niemand weiß sie so recht zu lösen, erst recht nicht, als der Mann sich später stellt und sich zu dem Mord bekennt – was offensichtlich nicht stimmen kann. Ein Staatsanwalt, der demonstrativ das Recht vertritt und zugleich Ergebnisse fordert, ist gleichfalls wenig hilfreich, und so kommt es schließlich auf einen Ehemaligen der Vermisstenstelle, einen pensionierten Kommissar, einen ehemaligen Mönch und eine Ermittlerin, die aus der Verbannung zurückgekehrt ist, an. Und auf uns.
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