Der Fluch einer wikingerhaften Starrköpfigkeit
Jede Seite des seltsam zeitlosen Romans „Sein eigener Herr“ scheint getränkt von Sagen, Mythen und jahrhundertealten Geschichten. Es sind keine guten Geschichten. Und offenbar ist es auch keine gute Zeit, in der sich Bjarturs Geschichte abspielt. Island ist zum Ende des 19. Jahrhunderts kein besonders wirtliches Land. Bjarturs Hof, den er sich in 18 Jahren als Knecht eisern zusammengespart hat, ist zumindest abweisend, wenn nicht verflucht. Aber egal was geschieht und welche Legenden das Land umranken, Bjartur wird alles seinem absoluten Ideal „sein eigener Herr“ zu sein, unterordnen.
So bricht er trotz der bevorstehenden Niederkunft seiner ersten Frau, mitten im Winter auf, um ein verloren geglaubtes Schaf zu suchen. Als er nach langen Irrungen endlich zurückkehrt, ist seine Frau gestorben und der Säugling nur dank der Fürsorge seiner Hündin, die das Bündel mit dem eigenen Körper wärmt, noch am Leben. Entgegen seinem Stolz, und obwohl Bjartur weiß, dass dieses Kind nicht sein eigenes ist, holt er Hilfe, um das Neugeborene zu retten.
Noch auf der Beerdigung seiner ersten Frau, wird Bjartur eine neue Ehefrau vermittelt. Die Menschen sind derart abgehärtet, dass niemand um die Frau zu trauern scheint. Mit seiner zweiten Frau bekommt Bjartur Kinder, von denen mehr sterben als überleben. Ausgelaugt von Hunger und den harten Lebensbedingungen verbessert sich die Lage der Familie ein wenig, als Bjartur vom „Frauenverein“ im Dorf eine Kuh aufgezwungen wird. Aber auch die Kuh muss Bjarturs Starrköpfigkeit weichen, koste es auch wiederum ein Menschenleben. Denn nachdem Bjartur die Kuh geschlachtet hat, sinkt Finna, seine zweite Frau, „wie armseliger Staub“ in den Schoß ihrer unverwüstlichen Mutter. Wenig später ist sie tot.
Das für sich selbst stehen, schließt für Bjartur ein Zusammenstehen und jegliche Form der Gemeinschaft aus. Dennoch gelingt einem seiner Kinder der Ausbruch. Nonni, dieser sehr weiche, sensible und besondere Junge, ist derjenige, der nach Amerika aufbrechen wird. Dieser Aufbruch leitet den Aufbruch der sehr rückständigen Gesellschaft Islands in eine neue Zeit ein. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs beginnt auch für die ständig am Existenzminimum herumhungernden Bauern eine Zeit des Wohlstands.
„Dann dauerte der Weltkrieg an, zum unaufhörlich wachsenden Segen für Land und Leute, er wurde von vielen nie anders als der gesegnete Krieg genannt, und besonders von unschuldigen und braven Leuten; er dauerte über vier Jahre, und die Freude wurde größer, je länger er dauerte; alle guten Menschen wünschten, daß er möglichst lange anhielte; die Preise für isländische Waren stiegen im Ausland, unter anderem schlug man sich südlich auf der Erde um isländische Waren.“
Auch der Stil des Romans ändert sich, wird freier, weniger gebunden. Es ist der Übergang vom mystischen, traditionell geprägten, zum modernen Zeitalter. Nicht zuletzt beschreibt Laxness in „Sein eigener Herr“ die Geschichte der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Islands vom Ende des 19. bis in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.
Aber der Krieg endet und damit findet auch der unverhoffte Wohlstand Islands für die meisten Bürger ein Ende. Bjartur hat am Ende alles verloren, Haus, Söhne und sogar seinen Stolz. Jetzt endlich kann er sich mit seiner „Lebensblume“, der unehelichen Tochter versöhnen, und sie mit ihren zwei unehelichen Kindern zum Sterben in den von seiner unverwüstlichen Schwiegermutter gepachteten Hof, nach Hause bringen.
Die Sprache, die Halldór Laxness, der einzige Nobelpreisträger Islands, benutzt, ist wie das Leben der von ihm beschriebenen Menschen, von einer klaren, zuweilen kargen Schlichtheit. Da gibt es keine romantischen Schnörkel, und sowohl Dichtung als auch philosophische Überlegungen sind fest im Alltag verankert. Wären da nicht die Mythen, Sagen und der Gespensterglaube. Immer wieder geht es in diesem Roman auch um die Bedeutung der Literatur, der Dichtung, der alten Sagen. Und es ist ausgerechnet die Bjartur aufgenötigte, streitsüchtige Magd, die der Wirkung eines Märchens erliegt. Sie ist auch diejenige, die den Widerstandsgeist der Kinder gegen das tyrannische, selbstausbeuterische Regime ihres Vaters weckt:
„[…] am Ende war doch etwas an diesem Gerede, das für sie gegen den kalten Regen Partei ergriff, gegen diesen ständigen peitschenden Regen, der ihre alten, groben Flicken an die junge Haut klebte und jeden Frohsinn der Seele ertränkte, gegen die hoffnungslose, aufreibende Ruhelosigkeit des sechzehnstündigen Arbeitstages. Es war etwas Neues für sie, ihr schlechtes Befinden und ihre Sklaverei auf eine erklärliche Ursache zurückgeführt zu sehen. Im Gewäsch dieses verantwortungslosen alten Weibs gab es Argumente gegen das niederdrückende Joch des Lebens, es war die Stimme des Befreiungskampfes selbst, die in dieser unkenntlichen Gestalt zu ihrem eigenen Unterbewusstsein stieß […]
Der Gegenpol zu der gespenstischen eingangs geschilderten Hexe, die alles und jeden vernichtet, der sich versucht das Stück Land urbar zu machen, auf dem Bjartur jahrzehntelang unter schweren Verlusten darum kämpfte, sein eigener Herr zu bleiben. Wobei Bjartur selbst eher ein Gleichnis für Stolz, Scheitern und Uneinsichtigkeit erscheint, als ein sich als komplexer Charakter zu entwickeln.
Insofern spielt Halldór Laxness in diesem zuerst 1934 und 1935 in zwei Teilen erschienenen Roman mit dem Genre des Bauernromans. In seiner Heimat Island hat man ihm das zur Zeit des Erscheinens sehr übel genommen.
Laxness selbst berichtet über „Sein eigener Herr“, er habe sich die gleiche Frage gestellt wie Knut Hamsun in seinem Roman „Segen der Erde“, „wenn auch die Antwort Hamsuns direkt entgegen gesetzt ist“, wie es im Nachwort, des von Bruno Kress † übersetzten und 1992 Hubert Seelow sorgfältig überarbeiteten und 2017 im Steidl Verlag in zweiter Auflage erschienen Romans heißt.
Der Literaturkritiker Halldór Guomundsson betont, dass „sowohl Hamsun als auch Laxness eine Geschichte über einen starken Mann geschrieben haben, der die Zivilisation verlässt, wobei der Hauptunterschied darin liege, dass Hamsun als Kulturpessimist eine Komödie geschrieben habe, während Laxness als Kulturoptimist eine Tragödie verfasst habe.“
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