Möbelwald
In Troubles führt uns Farrell mit grausiger Präzision die brutale und doch eigentümlich komische Realität dieses Krieges vor Augen, der nie wirklich Krieg war.
So John Banville im Nachwort zur unlängst im Paperback neu aufgelegten Irland-Saga Troubles von James Gordon Farrell, die zunächst 1970 erschien, dann nachträglich 2010 mit einem nachgeholten "Lost Man Booker" Preis abgefeiert wurde. Unverständlich.
Dieses Buch ist ein gewiss im Jahr 1970, und 2019 nicht weniger, bereits historischer Historischer Roman. Die dünne Handlung des dicken Buchs ist schnell erzählt, die Hauptrolle spielt ein englisches Hotel im aufständischen Irland, das Majestic, im Jahr 1919 besucht von Major Archer, einem, wie Autor Farrell selbst, Engländer zu irischen Landen. Während sein Besuch (auf eine Heirat aus zu sein, der Major sich unglücklich bequemt, da seine post-traumatischen Erste-Weltkriegerfahrungen abdämmern) sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken scheint, fällt – welch innovatives Bild – das imperial-herrschaftliche Hotel in sich zusammen. Das ist alles.
Und abseits einiger karikaturhaft überzeichneten Szenen, die alle lange bei Beckett und anderen OriginalarbeiterInnen der Sprache vorkamen, besteht dieses Epos, übrigens Teil 1 der Empire-Trilogie Farrells, die sich wie kaum anders zu erwarten mit dem Zerfall einer ehemaligen "Weltnation" auseinandersetzt von Irland über Indien bis Singapur, aber bloß nicht mit dem Jetzt, aus einem eigenschaftslos runtererzählten Ensemblestreit unsympathischer Personen, die nichts mit einem Zauberberg oder einer "brutal-komischen Realität" (Banville) zu tun haben, sondern einer hilflos-bourgeoisen Perspektive auf Geschichte, die vorgibt, Analyse zu betreiben, tragischen Aspekten eine inhärenten Komik abzugewinnen, aber in Wirklichkeit mit offenem Mund und einer Tasse Tee am Golfplatz die Zeitung liest und den (damaligen) Fakten eines sich auflösenden Status Quos weder künstlerische Lesbarkeit noch empathischen Holismus abgewinnen kann.
Dieses Buch mit seinen Hotelklischees ist so weit weg von jeglicher Form narrativen Quellblicks, dass man höchstens die Sprache als Ressort loben könnte, wenn sie denn innovativ oder in irgendeiner Weise nach vorne zu blicken im Stande wäre. Doch auch das ist bei Troubles nicht gegeben. Gewiss ist es ein kompositorisch wichtiges Gestaltungselement, die Nachrichten der irischen Aufstände tatsächlich abzudrucken und wie in einem Montageroman dem Fortgang des Zerfallensembles gegenüberzustellen, doch leider ist das Zeitalter jener Montageromane 1970 auch schon 50 Jahre passé. So bleibt ein ziemlich naives Oberschichtenschmonzettchen, das Liebhaber sogenannten "britischen, schwarzen Humors" vielleicht nach Witzen* absuchen, aber es gibt eine solch pralle Ladung AutorInnen, von Irving über Boyle bis Allende etc. etc. in jenen Gefilden, das man getrost diesem offensichtlich hauptsächlich von Briten geschätzten Schmökeristen z.B. für J.G. Ballards Visionarismus desselben Empires das Nachsehen geben darf.
Farrells eigene Lebensgeschichte beziehungsweise die Umstände seines Todes sind auf eine eigentümliche Weise mit seinem schmalen Werk (in Zahlen) verbunden, denn der hoffnungsvolle Romancier, gerade auf dem Höhepunkt jener Trilogie, starb 1979, kaum 44, beim Angeln auf den irischen Klippen, da ihn eine Welle ihrerseits "angelte" und ins Meer zog.
*
Es geht um ein Mädchen aus Kilnalough namens Mary. Mary geht in Lumpen nach England und kommt ein Jahr später in feinen Kleidern zurück und wirft mit Geld nur so um sich. Als sie Pater O'Byrne trifft, fragt der: "Sag mal Mary. Woher hast du denn das viele Geld?"
Darauf Mary verschämt: "Ich bin Prostituierte geworden, Pater."
"Was sagst du da?", brüllt Pater O'Byrne entsetzt.
"Ich bin Prostituierte geworden", wiederholt Mary.
"Na Gott sei Dank", sagt Pater O'Byrne mit einem erleichterten Seufzer. "Ich dachte, du hättest Protestantin gesagt!"
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