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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Die Schürzenbänder der Kleinstadt

Hamburg

„Merkwürdig, wie wir gemacht sind, nicht wahr? Unserer Heimat ständig an den Schürzenbändern zu hängen, gleichgültig, wohin es uns verschlägt: von den ersten fünfzehn Jahren unseres Lebens für immer festgelegt zu werden!“

Das schreibt nicht Jan Böttcher. Hilde Spiel legt diese Worte in ihrem Exilroman „Lisas Zimmer“ ihrer Protagonistin in Lisa in den Mund.

Jan Böttchers Roman heißt “Das Kaff“. Irgendwann am Anfang unterläuft dem Ich-Erzähler der Begriff „Heimatstadt“, als er erklärt, dass es ihn, den mäßig erfolgreichen Architekten Michael Schürtz, für eine Saison als Bauleiter nach „Shitty Littleton“ verschlagen hat, wo er natürlich nicht zu bleiben gedenkt. Denn natürlich erscheint zunächst fast alles, was der Wahl-Berliner vorfindet, als deprimierend, hässlich, dumm, lästig: die Heimatzeitung, das „dämliche Stadtwappen“, die Art, wie die Leute hier leben und reden. Die Chefs und Arbeiter auf der Baustelle sind eine Zumutung, die im Ort ansässigen Geschwister bedrängen ihn, sind Last oder Konkurrenz. Eine Menge Klischees ist da aufgehäuft: Ein früherer Mitschüler, der ihn in seinem Reihenhaus wohnen lässt, muss ein Problem haben, weil er einen aufgeräumten Dachboden mit ordentlich aufgereihten Pappkartons hat. Frauen in Kittelschürzen am Gartenzaun dürfen nicht einfach ein harmonisches Bild sein, können nur als „Szene einer Feierabendsoap, die mit meinem Leben nichts zu tun hat“ wahrgenommen werden.

Es gibt natürlich eine Leiche im Keller: die tote Mutter, die Michael Schürtz als Jugendlichen mit ihren (übrigens großartig erzählten) Kaffeerunden genervt und durch ihr Verhalten auf dem Fußballplatz unmöglich gemacht hat.

Es handelt sich offensichtlich um eine „Quest“ in umgekehrter Richtung, also nicht um einen befreienden Auszug weg von zu Hause, durch Krisen und Erschütterungen ins Freie, in ein selbstbestimmtes Leben draußen, sondern um ein Zurückkriechen aus einer nicht ganz glücklichen Berliner Existenz in die norddeutsche Provinz. Von dieser Berliner Existenz erfahren wir wenig – nur, dass Schürtz sich in den Künstlerkreisen seiner Freundin nicht wohlgefühlt hat. Und nun muss in dem „selbstzufriedenen Kaff“ in Norddeutschland unentwegt gekämpft werden: mit Jugendlichen am Fluss, mit den Chefs, mit dem Bruder, mit Erinnerungen.

Aber es gibt Gegenbewegungen, positive Figuren, Menschen auf dem Fußballplatz, einen alten Handwerker, die sich verändernde Schwester und Clara, eine selbstbewusste Frau, mit der eine zeitgemäße Familiengründung möglich scheint. Es sind diese „Helferfiguren“, die so etwas wie Aussöhnung, Erwachsenwerden, Coming of Age ermöglichen. Ein Heimischwerden ist das noch nicht. „...wir sind zwei Vögel, die hier gar nicht hergehören und die sich doch nur hier treffen konnten“, erklärt er seiner toten Mutter. Aber am Ende kann man als Liebhaber, Stiefvater und Trainer eben doch einen Platz in der Welt finden.

Irritierend wirkt zunächst die Sprache, der Jargon, der nicht mitwächst, der Anfang bis Mitte zwanzig bleibt, solange es um Lebensstil, Menschen und die eigene Befindlichkeit geht. Aber wo von Natur, von Baustellen, von Materialien und von Arbeitsvorgängen die Rede ist, hat Jan Böttcher für seinen Erzähler ein zweites Register, eine genaue, differenzierte, farbenreiche und weniger elliptische Sprache. Entweder versteht der Autor tatsächlich etwas von Bauleitung, oder er hat sorgfältig recherchiert. Und das macht den Roman ziemlich „welthaltig“ – man folgt dem Erzähler gern, wenn er Wärmerückgewinnung und die Probleme des Trockenbaus erläutert, ein Reihenhaus, eine Berliner Altbauwohnung beschreibt und in den gesellschaftlichen Kontext einordnet oder vom das Wieder-Anlegen eines Fußballplatzes erzählt.

Der Roman hat etwas leicht Antiquiertes – man glaubt die Leiden des Heimkehrers an der Kleinstadt aus anderen Texten zu kennen – und etwas zugleich zaghaft Zeitgenössisches (die Kanzlerin, die Flüchtlinge, Gentrifizierung und Markennamen tauchen einigermaßen sparsam auf). Vielleicht ist es sogar die Spannung zwischen den zwei Sprachen, den zwei Haltungen zur Welt, die das Buch nicht ganz absaufen lässt. Außerdem ist es eine Hymne auf die Kraft des Fußballs, und zwar eine recht hellsichtige Hymne: „Wo Sport ist, da ist nun einmal Provinz“. Und so gelingt ansatzweise eine Art Integration: „Das Team, die Mannschaft. Teil eines Ganzen zu sein.“

Jan Böttcher
Das Kaff
aufbau
2018 · 269 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-351-03716-1

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