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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zu einem ebook über die "kleine Form", nebst Nachtrag zu 1 Drama

Hamburg

An einer Stelle von Jan Kuhlbrodts exklusiv als Ebook erschienenem Essay – wobei: stimmt diese Einzahl? und stimmt der Gattungsname? – steht, als Abschluss einer guided tour durch allerhand aktuelle Hoffnungen, die man als Intellektueller in eine allfällige neue und verbesserte Ubiquität des Internetzes setzen könnte, der folgende zutreffende Satz:

Das Netz ist aber auch ein Tummelplatz für Idioten, wie die Welt eben.

Nun illustriert uns dieser Satz erstens gut, wie die Pointen gestrickt sind, in die Kuhlbrodt über den ganzen Verlauf seines E-Büchleins sowohl die argumentativen alsauch die, sagen wir, erzählhaltigen Absätze münden lässt – knappe Pointen sind das, Rammböcke, gegen die der Gedankenzug je ohne viel Federlesens knallen muss. Das lässt wenig Raum zum Nachhaken übrig, sodass der jeweilige Folgeabsatz weder inhaltlich noch formal allzu eng mit dem vorherigen verknüpft ist. Dieses Bauprinzip ist freilich als Erfordernis gerade jener "kleinen Formen" im Speziellen zu denken, die Kuhlbrodt nutzt, um über die kleine Form im Allgemeineren zu reden. Womit immerhin soviel zur Formenlehre der Netztexte gesagt ist, dass sie sich näher an der klassisch-antike Rhetorik bewegt als an der Literaturästhetik der beispielsweise Hermetiker …

… und zweitens, klar, weist jener zitierte Halbsatz-Halbschluss da oben uns auch auf diese Schwierigkeit des Redens-über-Netzliteratur-im-Netz hin, die darin besteht, dass wir, da wir reden, trotz all der hübschen neuen Formen, Möglichkeiten, Hyperlinks, derer wir uns gegenübersehen, doch immer noch die gleichen altbekannten Deppen sind. Tendenziell überfordert uns auch so etwas Simples wie die Zusammenschau von einerseits der "Echtzeit" eines Austauschs und andererseits aber der Schriftlichkeit und Öffentlichkeit des Ausgetauschten in beispielsweise einem Facebook-Thread heillos. Aber statt dass aus dieser Überforderung, wie man doch hoffen möchte, eine ca. Darwin'sche Auslese of se fittest resultiert (also das alleinige Übrigbleiben der paar Denk-Und-Schreibschnellsten auf Facebook und Twittstagrumblr oder wie der Käse heisst), bekommen wir es im Gegenteil mit der Autokannibalisierung der "Threads" zu tun, dem Zusichkommen der bereits strukturell angelegten Ununterscheidbarkeit von hier Argument und da Sozialgeräusch (was dann Lesevorgänge nach sich zieht, die wiederum dem getreuen Nachvollzug irgendwelcher Texte völlig unverwandt sind) …

… passenderweise also verunglückte der erste Anlauf, sich in dem Netzmedium1 Fixpoetry mit Kuhlbrodts Texten-über-Texte-in-Netzmedien zu beschäftigen, in allerinstruktivster Weise. Den Anfang hierzu machte Martin Hainz' sehr kurzer Beitrag über Kuhlbrodts kleine Serie. Der Beitrag besagte sinngemäss, man habe es mit eitlem Quatsch zu tun, der die Mühe einer längeren Besprechung nicht lohne, und der auch gar zu verknappt sei; obendrein liege ein zugleich uninteressantes und verfehltes Thema vor.

Nun zu behaupten, an dieser Einschätzung sei rein gar nichts dran, wäre glatt gelogen: Wir lesen da ja im Wesentlichen Jan Kuhlbrodts kuratierte2 Facebookeinträge, Exemplare einer Textsorte also, die wir im sonstigen Lesealltag mit gutem Grund nicht allzu ernst nehmen; wir überantworten uns Texten, die eher über das Aufeinanderfolgen der evozierten Bilder als über die Stringenz ihrer Setzungen funktionieren. Andererseits dürfen wir, gegen Hainz, auch denken, dass Kuhlbrodts Form so schon ihre Richtigkeit haben kann: Wenn der Verfasser die Sprache des Gespensterkabinetts, das auf Facebook den Stellenwert eines public discourse hat, tatsächlich zum wiedererkennbaren Klingen bringt und die ihr eigene Struktur herausarbeitet, während er über sie redet. Hainz' ursprünglicher Impuls, die dabei ausgebreitete Bild- und Inhaltswelt ein wenig gar zu beliebig und vor allem unsystematisch zu finden, können wir dagegen wieder zustimmen, selbst wenn Kuhlbrodts Bob-Dylan-Topologie, die sich wie ein roter Faden durchs Geschehen zieht, für sich genommen durchaus reizvoll wäre. (Ein deutlich längerer, sorgfältigerer Text entlang derselben Grundlinien hätte mit der Idee des jungen Dylan als Hypertextfigur avant la lettre seinen Spaß treiben können)

Ach, das sorgfältige Einerseits-Andererseits argumentierender Textsorten, wie sie in den papierenen Medien der letzten paarhundert Jahre usw. usf. – ach dieses lasche Käsegelutsche! Wieviel aufregender dagegen, was diese Netztextsorten, von denen Kuhlbrodts Netztext handelt, just auch der Kuhlbrodt-Rezeption angedeihen lassen:

Erst snappy die Abfuhr, wie geschildert sachlich ggf. verdient, im Ton ggf. zu unfreundlich. Aber bäng! – Verteidigung des E-Buchs, im knappen Facebookthread. Vernetzwerkung, im Sinn der personalen Netzwerke unter Schreibenden, des Für und Wider Kuhlbrodt/Hainz… Dann auch, dass man zu sehen bekam, wieviel leichter das ist, bei einer Facebookdiskussion den Stöpsel rauszuziehen, als beim Gedruckten, langsamer Gewordenen, für das noch echte Zellstofftiere3 sterben mussten… Und alles dieses mit Fixpoetry just auf einer Plattform, die grade zehn Jahre Reden über Literatur ALS Netztextsortenveranstaltung feiert oder zumindest bekanntgibt. Ach. So staunt der Kritiker, und so füllt sich von ganz alleine die noch zu erhoffende Anthologie "Kesslers Kätzchen. Bedeutende Facebookthreads zur deutschsprachigen Literatursoziologie 2012-2022, nebst Materialien."

  • 1. Das Medium, wir wissen es eh, ist se message.
  • 2. wie das hinwiederum mit der ungeahnten zeitgenössischen Blüte des Verbs "kuratieren" ist, steht auf ganz anderen Blättern bzw. Websites
  • 3. Ich glaube mich doch zu erinnern, dass die so heissen.
Jan Kuhlbrodt
Über die kleine Form. Schreiben und Lesen im Netz
mikrotext
2017 · 60 Seiten auf dem Smartphone · 1,99 Euro

Fixpoetry 2017
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