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Kritik

Farben

Hamburg

Mit dem schönen Thema Farben geht die akzente Reise 2018 zu Ende. Die vierte Ausgabe des Jahres ist gleichzeitig die letzte im Herausgeberkonzept/ Design der letzten Zeit, diesmal allerdings ohne Ko-PilotIn, alleine von Jo Lendle besorgt. Ab kommendem Jahr wird es zu einem neuen Herausgeberschaftsmodell kommen. Man darf gespannt sein.

Im folgenden ein Streifzug durch das Spektrum. Die Sammlung von Texten zu Farben ist mal mehr, mal weniger konkret. Einige gelungene Gedichte und Prosabeiträge wechseln sich mit etwas bieder geratenen Illustrationen ab. Tomas Tranströmer schreibt/ schrieb:

Eine Skizze aus dem Jahr 1844

William Turners Gesicht ist wetterbraun.
Seine Staffelei hat er weit draußen zwischen den Brechern.
Wir folgen dem silbergrauen Kabel hinab in die Tiefen.

Er watet hinaus in das seichte Todesreich.
Ein Zug rollt ein. Komm näher.
Regen, Regen fährt über uns.

Clemens Setz bietet einen (Pseudo-) Cento-Text aus der Volltextsuche "schlüssel" an. Darin steht unter anderem dies:

Auf der Reise durch die Alcarria hatte ich natürlich das Reisebuch von Cela im Gepäck. Schon immer hatte ich eine Vorliebe für diesen großsspurigen Dichter des vergangenen Jahrhunderts gehabt, der angeblich einmal bei einem TV-Interview damit angegeben hatte, wie viele Liter Wasser er über seinen Anus aufzunehmen imstande wäre. In Guadalajara stachen uns Wespen und etwas später fiel mir der HotelSCHLÜSSEL ins tiefe Schwimmbecken. Eine gutmütige ältere Dame tauchte für mich danach. Ringsum die Blicke der Badegäste. Ein Mann, der nicht selbst nach seinem SCHLÜSSEL tauchen konnte? Am liebsten hätte ich auf die Stelle unter meinem Ohr gedeutet und gesagt: aquí. Hier ist der Grund. Aber es hatte neununddreißig Grad. Wie soll man in so einem Land leben?

..

Auf die Sonne, in die
wir ein Leck schlagen, damit sie
jeden Abend sinkt

schreibt in Ins Blaue Mirko Bonné, der mit mehreren neuen Gedichten vertreten ist. Marcel Beyer schreibt in Die Blutbude:

Dann wieder ist ihm, als lebte
ein fremder Hund in seiner
Nase, von dem er kaum
den Namen kennt.

Ágnes Nemes Nagys Lyrik scheint in der Tat farbenreich zu sein, jedenfalls in denen hier ausgewählten, von denen Über die Dinge einer nicht unsympathischen Fußnote bedarf.

Über die Dinge

Denn über allen Dingen steht ein Licht.
Die Bäume strahlen: Polarkreise-Nachgesicht.
Und sie kommen in endlos dämmernden Reihen
die 92 Elemente* in Lichtkappen,
und jedes trägt auf der Stirn sein Anderssein –
ich glaube an die Auferstehung des Fleisches.

(vor 1966)
* Entsprechend dem Kenntnisstand des Jahres 1966; heute sind 118 Elemente bekannt

Karen Köhler beschließt die insgesamt recht kurzweilige Ausgabe mit einem Ausschnitt ihres neuen Romans, der 2019 erscheinen wird.

Neunundachtzigste Strophe

Schwarz ist die heiligste Farbe. Im Schwarz sind alle Farben der Welt enthalten. Wenn du alles mit allem zusammenmengst: den Kosmos, die Sonne, den Mond, die Sterne, die Erde, den Himmel, die Götter, die Menschen, die Blumen, die Pflanzen, die Tiere, wenn du alles, alles, alles mit allem zusammenmengst, dann ergibt es Schwarz. Meine Seele ist auch schwarz, in ihr ist alles enthalten.

Jo Lendle (Hg.)
Akzente 4 / 2018 Farben
Hanser Verlage
2018 · 96 Seiten · 9,60 Euro
ISBN:
978-3-446-26086-3

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