Einmal brachte er ihr eine Turnübung mit
Antiphonia ist ein langes, fast klassisch anmutendes Versepos von Jörg Schieke. In der Reihe Neue Lyrik im Poetenladen erschienen, beschreibt es Jan Kuhlbrodt im Nachwort wie folgt: "ein unverwechselbarer melancholisch-humorvoller Ton, den Schieke in den folgenden Veröffentlichungen [seit 1995] verfeinert. Im vorliegenden Epos erreicht diese Bewegung einen zumindest vorläufigen Höhepunkt." In der Tat schreibt Schieke in einem durchgehenden Zweischritt von schräger Beschreibung (eines "Familienniedergangs") und lyrischem Festnageln mittels nach innen offenem Sprachspiel. Ziemlich treffsicher, ziemlich dynamisch. Geschichte und Geschichten umkreisen diese Familie und ihre (oft traurigen) Umstände, ihre "veröffentlichten" Kinder und ihr Durchhalten beziehungsweise Verschlagenwerden in einem von Zwängen wie Kuriosa gleichermaßen bestimmten Lauf.
... sie schließen von den Beinen
auf die Wangenknochen, vom Gesäß auf die Augen. Manche
Männer sind Checker. Manche Gedichte, laut einer Studie,
sind verkappte Romane [...]
Da haben wir es, den verkappten Roman. Oder was man darunter versteht. Anne Carsons Autobiography of Red: A Novel in Verse zum Beispiel, wie Kuhlbrodt anführt, mag Pate stehen oder ähnliche Werke, die ein im Prinzip romanhaftes Fortschreiten der unterschiedlichen Ebenen anstreben, dabei die regelhafte, beschränkte und zugleich freie Form innerhalb des Systems suchen. Vielleicht ein formales Abbild des Lebens an sich, in einem politisch vorgegebenen System. Schieke gelingt es, leichtfüßig und wendungsreich zu weben, zwischen allen selbstgesetzten Parametern hin und her zu springen.
Sein Epos ist voller Jugendbilder, Adoleszenzperspektiven, voller midlifes-eda. Man kann ihm folgen, als würde ein Bilderstrom sich durch einen Kanal zwängen, nur das Nötigste mit im Gepäck. Und das reicht, um sich in alle Richtungen entfalten zu können, eine lyrische Evaluierung gemeinsamer Nenner.
"...Löffelchen hat Muskelkater vom langen
Die-Luft-Anhalten. Vom: Die-eigene-Jugend-Spüren. Messer
derweil denkt sich einen Brief aus, einen Entwurf. Als Vater
in deinem Sohn was erreichen zu wollen, ist riskant. Als Vater
bist du immer mit-schuldig, schuldig, wenn dein Sohnes nicht schafft. Einer von tausend, 1 Sohn von tausend
Söhnen wird das Leben seines Vaters auf die Sekunde genau
wiederholen. Aber die anderen ... also
ich sage nur: Mit der stumpfen Seite tut esnoch mehr weh. Alles, was als Sohn für dich spricht,
wendet sich, wenn du selber ein Vater bist, plötzlich
gegen dich, zack. Der Herr Sohn will auf dem Fußboden
schlafen. Eine Plastetüte soll ihm fortan die Schulmappesein. Dabei hat er einen von diesen Stimmen, in denen
alle wichtigen Vitamine drin sind [...]
Das Antiphon ist eine kritische Gegenwart/- welt, die im Gedicht entworfen wird. Vielleicht das Werkzeug gegen den Roman, mit seiner oft omnipräsent gepushten Kompetenz, Performanz, Potenz. Jörg Schieke hat einen Neuen Klassiker konzipiert, souverän und wider die Vereindeutigung.
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