Von Rauschträumern und ekstatischem Schreiben
Im ersten Kapitel des Begleitbuches zur Ausstellung Im Rausch des Schreibens. Von Musil bis Bachmann im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt ein Foto Friederike Mayröcker wie sie gebückt und eingezwängt an ihrer Schreibmaschine sitzt, zwischen einem Berg von Papieren, der fragil und vom Einstürzen bedroht zu sein scheint. Das Foto ist Teil des Essays von Inge Arteel über Friederike Mayröckers ekstatisches Schreiben, in dem deren vorantreibende Syntax, ihre manchmal nicht enden wollenden ersten Sätze, ihr Flow als konkrete Arbeit am Wort dargestellt wird. Mayröcker selbst beschreibt die Voraussetzungen ihrer Arbeit so:
In meinem Kämmerchen, SW-Seite, schiefer Maschinentisch, >hermes baby<, zu Klaviermusik von Franz Liszt, heilige Morgenstunde. (…) Ich sitze gebückt, fast knieend (wie Glenn Gould beim rasenden Spiel)
Friederike Mayröckers maßloses Schreiben und gleichzeitig (gerade mit zunehmendem Alter) ihre Disziplin der täglichen Schreibarbeit teilt sie mit vielen anderen Dichterinnen und Dichtern, über die in dem vorliegenden Band zu lesen ist. Denn er beschreibt die vielen Herangehensweisen der Autoren und Autorinnen, die Welt schreibend zu bestehen, wobei zwischen exzessivem Drogenkonsum bis hin zu strenger Askese die unterschiedlichsten Versuche unternommen werden.
In fünf Kapiteln haben die Herausgeberinnen Katharina Manojlovic und Kerstin Putz diese unterschiedlichen Spielarten eingeteilt. Das erste Kapitel Schreibrausch & Wortmaschine beschäftigt sich mit dem poetischen Rausch, dem (Idealzustand) künstlerischer Produktivität, in dem neben Friederike Mayröcker u. a. auch über Ingeborg Bachmann, Georg Trakl und Peter Handke berichtet wird. Diese drei beziehen ihre Rauschzustände allerdings aus völlig unterschiedlichen Quellen. Meine Trunkenheit kann ich nicht abschütteln hat Hans Höller seinen Essay über Ingeborg Bachmann überschrieben, und obwohl sich auf den Blättern aus ihrem Nachlass Kaffee- und Brandflecken befinden, zeigt er, dass trotz der „Haschisch-Episode“ aus dem Romanfragment Das Buch Franza und der Agonie durch die Einnahme von Rauschmitteln Ingeborg Bachmanns Trunkenheit primär aus ihrem exzessiven Umgang mit Sprache und Schreiben herrührt.
Anders bei Georg Trakl, dem Dichter und Apotheker, der durch seinen Beruf leicht an Betäubungsmittel kam, seine Drogensucht mit in den Ersten Weltkrieg nahm, wo er bei einer militärischen Einheit wieder als Apotheker Zugang zu den militärischen Schmerzmitteln Morphium, Opium und Kokain hatte. Wie Hans Georg Kemper beschreibt, spiegelt sich Trakls Kampf gegen die Sucht auch in seinen hagiographischen Figuren wider, die vergeblich versuchen ihr triebhaftes Begehren zu verändern.
Peter Handke hingegen ist völlig unverdächtig, irgendwelche Rauschmittel eingenommen zu haben. Seine Sucht ist laut Katharina Pektor eine ekstatische Lust zu schreiben, sein rauschhaftes tägliches Notieren aller Wahrnehmungen, Empfindungen und Gedanken. Davon zeugen die vielen Notizbücher, bis 1990 waren es schon siebzig, und 2016 erschien der Band Vor der Baumschattenwand nachts mit Aufzeichnungen aus den Jahren 2007 – 2015.
Schon die bisher angeführten Beispiele zeigen die unterschiedlichsten Möglichkeiten Rauschzustände zu erlangen, und in dieser Spannweite bewegen sich auch die zahlreichen Porträts der übrigen vier Kapitel.
Zug um Zug heißt das zweite Kapitel, in dem beispielsweise Uwe Schütte das rauchende Dichtertrio Ernst Jandl, Ernst Herbeck und Edmund Mach porträtiert.
Mit Substanzen & Stimulanzen beschäftigt sich Kapitel drei. Hier geht es auch darum, wie die unterschiedlichen Rauschmittel von Alkohol über Morphium bis hin zu LSD das literarische Schreiben beeinflussen und welche der Drogen zu welcher Zeit gesellschaftlich verpönt oder legitimiert waren. Ein gutes Beispiel für diesen Diskurs bietet der Essay von László F. Földényi über den ungarischen Dichter Géza Csáth, der eigentlich Arzt war und József Brenner hieß. Das medizinische Wissen des Arztes über die Folgen des Drogenmissbrauchs kann den Schriftsteller allerdings nicht davon abhalten Opium als Lebenselixier einzunehmen. Es ist die Zeit der Jahrhundertwende, in der auch andere Autoren das Opium als Heilmittel verteidigen und Psychiater das Rauschgift in kleinen Dosen gegen Melancholie einsetzen. Insofern spiegelt die wissenschaftliche Diskussion die Stimmung der Zeit wider. Literarisch befinden wir uns in der Blütezeit des Kubismus und Futurismus und es ist von Hellsicht, die den Menschen befreit, die Rede. Csáth allerdings erschießt mit dem Revolver seine Frau und bringt sich einige Tage später selbst um. Er hat also im Opium nicht den erhofften Ariadnefaden aus seinem eigenen existentiellen Labyrinth gefunden. Als Fazit schreibt László F. Földényi über Csáths Scheitern: Unschwer erkennt man hinter der persönlichen Lebensgeschichte aber auch die Krankheitsgeschichte einer ganzen Epoche.
Es ist ein Verdienst des Buches, dass, wie in diesem Essay, auch bei anderen Autoren stets die Frage nach den persönlichen sowie gesellschaftlichen Zusammenhängen gestellt wird. Sei es die Einnahme von LSD (Wolfgang Bauer) oder die Versuche den Rausch zu beschreiben (Oswald Wiener).
Ein ausgiebiger Essay von Walter Fanta beschäftigt sich mit dem Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Rauschtexte: Ekstase, Trance, Entrückung heißt dieses vierte Kapitel. Darin geht es über Rauschzustände in der Literatur, die bei Musil oft sexueller Natur sind. An Beispielen wie in der Darstellung der inzestösen Liebe der Geschwister Ulrich und Agathe oder anhand der gewaltsamen Überschreitung der Konventionen in der Erzählung Der Vorstadtbahnhof macht Fanta deutlich, dass Rauschzustände nicht immer die Autoren selbst, sondern ihre literarischen Figuren betreffen können.
Als letztes Beispiel aus den zahlreichen Möglichkeiten des informativen und mit vielen Abbildungen sehr schön aufgemachten Buches seien Adalbert Stifters verzweifelte Versuche des Maßhaltens erwähnt, die Petra-Maria Dallinger in dem fünften und letzten Kapitel Exzess &Askese: Schreib- und Selbstdisziplin beschreibt. Dabei geht es um Stifters letzte Lebensjahre, in denen er wegen einer nicht genau fassbaren chronischen Krankheit aus dem Gleichgewicht gerät. Die Folgen sind zahlreiche Therapien, Kuraufenthalte und die obsessive Beschäftigung mit seiner Ernährung. Einerseits ist er maßlos, andererseits bemüht er sich immer wieder um Enthaltsamkeit und Askese. Wie Petra-Maria Dallinger zeigt, kann man auch bei Stifter sehen, die persönliche sowie gesellschaftliche Situation des Dichters in seinem Werk finden. Denn der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich in Stifters Wahrnehmung rasant ändert, setzt er ein Tugend-Ideal des Maßhaltens entgegen. Das Maßvolle als Möglichkeit das Rechte zu tun.
Die Ausstellung ist noch bis zum 11.2.2018 zu sehen. Für alle, die keine Gelegenheit haben, nach Wien zu fahren, ist Im Rausch des Schreibens Von Musil bis Bachmann ein schöner Ersatz. Eingerahmt von vielen Abbildungen werden darin immerhin achtundzwanzig Dichter und Dichterinnen auf ihre Begehrlichkeiten und ihren Umgang mit Rauschmitteln befragt.
Fixpoetry 2017
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