Das sozialistische Licht in finsteren Zeiten
Während der Großteil der winzigen amerikanischen Linken im Jargon und Klischees gefangen blieb und sich darauf beschränkte, ein ums andere Mal vergangene Schlachten neu zu inszenieren, die für den Durchschnittsamerikaner keinerlei Relevanz mehr haben, machte sich Jacobin daran, das sozialistische Projekt durch eine unverbrauchte Sprache und Ästhetik zu bereichern, und schreckte nicht davor zurück, sich gelegentlich auch einmal über sich selbst lustig zu machen. (Aus dem Vorwort)
Obwohl (oder gerade weil) Donald Trump derzeit im Weißen Haus regiert und seine Gegenkandidatin bei der letzten Wahl eher die konservative Seite der Demokratischen Partei repräsentierte, ist in den USA in den letzten Jahren wieder eine stärkere linke Bewegung entstanden, die sich nicht scheut Worte wie „Umverteilung“, „Sozialismus“ oder den Namen Karl Marx in den Mund zu nehmen.
Als Flaggschiff dieser Bewegung wird (neben Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und gewerkschaftlichen Gruppen) immer wieder das Magazin Jacobin genannt, dass 2010 von dem damals 21jährigen Bhaskar Sunkara gegründet wurde. Mittlerweile hat die Print-Ausgabe eine Auflage von 30.000 Stück und die Website monatlich mehr als eine Millionen Klicks. Noam Chomsky nannte die Zeitschrift „a bright light in dark times“ und mit dem Ada Magazin ist sogar schon eine Schwesterzeitschrift in Deutschland entstanden.
Im Suhrkamp Verlag ist nun eine von Loren Balhorn (Redakteur bei Ada und Jacobin) und Bhaskar Sunkara herausgegebene Anthologie mit Beiträgen aus acht Jahren Jacobin erschienen – Interviews, Essays, Streitschriften, aus dem Englischen übersetzt von Stephan Gebauer.
In diesem Modell der sozialen Gerechtigkeit lautet das Ziel also nicht, dass die Reichen nicht so viel und die Armen mehr verdienen sollten, sondern dass die Reichen verdienen können, so viel sie wollen, solange ein angemessener Prozentsatz von ihnen Frauen sind oder Minderheiten angehören.“ (Walter Benn Michaels)
Den Anfang macht ein Interview mit Walter Benn Michaels aus dem Januar 2011. In einem sehr ausgewogenen Gespräch, bei dem der Interviewer (Sunkara) oft kritisch nachfragt, vertritt der Literaturtheoretiker und Autor Michaels die Ansicht, dass die Gleichberechtigungsdebatten und -gesetzte in den USA neoliberale Positionen stützen, zumindest aber von ihnen instrumentalisiert werden. Seine These ist, dass die soziale – oder anders gesagt die Klassen- – Frage die vorrangige ist und der Umsturz der neoliberalen und kapitalistischen Hierarchien das wichtigste Ziel, das letztlich allen Emanzipationsbewegungen zugutekommt.
Mike Beggs zeigt in seinem Text „Ein Zombie namens Marx“ wie sich die Philosophien und Ideen des Vordenkers auf den Gebieten "Kapital" und "Arbeit" in die heutigen Zeiten integrieren lassen, wo sie anpassbar sind und wo sie ganz neu gedacht werden müssen.
Sehr gelungen ist auch der nächste Essay, in welchem der Autor Peter Frase vier mögliche Zukunftsversionen für unsere heutigen Gesellschaften entwirft, vor allem anhand von zwei grundsätzlichen Parametern: 1. sind es Gesellschaften die noch egalitärer oder noch hierarchischer geworden sind? Und 2. sind es Gesellschaften, deren technologische Errungenschaften die Ressourcenfrage gelöst haben oder sind es Gesellschaften, die sich in dieser Frage mit einer Knappheit konfrontiert sehen? Die vier möglichen Kombinationen sind nicht nur interessante Gedankenspiele, Dystopien und Utopien, sondern zeigen vor allem, welche Anlagen in unseren Gesellschaften bereits vorhanden sind – und sich ohne ein Umschwenken und Überdenken verselbständigen könnten.
Der Kabarettist Volker Pispers sagte in einem seiner letzten Programme (in etwa): Wer wissen will, auf was für Zustände wir uns in Europa zubewegen, wenn wir Dynamiken wie die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich und die immer größere Abwertung der Arbeit nicht in den Griff kriegen, muss nur über den Ozean blicken: die USA sind uns ein Stück voraus was den radikalisierten Kapitalismus angeht; aber kein riesiges Stück. Frase Text zeigt, was man sich, auf der Grundlage der US-amerikanischen Realität, für Szenarien vorstellen kann, ja: vorstellen muss.
Die Zukunft ist bereits da, sie ist nur ungleich verteilt. (William Gibson)
In „Rot und Schwarz“ setzt sich Seth Ackermann mit den zeitgenössischen Möglichkeiten und Perspektiven, sowie den historischen Versäumnissen der Planwirtschaft auseinander.
Nach einem kurzen Rundumschlag vom Herausgeber Bhaskar Sunkara, der die Selbstverliebtheiten der zersplitterten, linken Bewegung anprangert und einen knappen Abriss der gemeinsamen Themen, auf die man sich konzentrieren sollte, gibt, folgt ein Text von Alyssa Battistoni mit dem Titel „Zurück in keine Zukunft“.
Dieser Text hat es in sich, denn im Prinzip ist seine Kernaussage: Es ist eigentlich schon zu spät. Die Mühlen mahlen so schnell … selbst wenn man sofort mit aller Kraft versuchen würde sie zu stoppen, könnte das Getriebe immer noch genug Schwung haben, um unsere Zukunft zermalmen. Und wir sind weit davon entfernt, das Getriebe anzuhalten – wir streiten meist darüber, wo das Wasser herkommen soll, das die Mühlen antreibt.
Battistoni weist im Zuge ihrer schonungslosen Klarstellung auf ein Grundproblem des Lebens in kapitalistischen Systemen hin: den Leuten wird gesagt, sie können es schaffen (besser wäre vielleicht, man würde ihnen sagen, dass der Planet, dass die Menschheit es noch schaffen kann, wenn...), wenn sie sich anstrengen, gut genug sind.
Dieser auf die persönliche Zukunft gerichtete (und auf sie verengte, fixierte) Blick, in der man zu reicheren Höhen emporsteigt – die so tun als wären sie durch keine Umstände bedingt, als ständen sie einfach jedem zur Verfügung – verstellt den Menschen den Blick auf die allgemeine Gegenwart und die allgemeine Zukunft. Darüber hinaus: die Zugänge zu dieser ominösen, reicheren Zukunft sind (sofern es sie überhaupt gibt) limitiert und oft längst schon reserviert. (Man fühlt sich an Kafkas Torhüter-Parabel erinnert …)
Fazit: Wir haben immer noch nicht begriffen, was auf dem Spiel steht.
Wenn man die Leute ausbeuten will, gibt es keinen besseren Trick, als sie davon zu überzeugen, dass sie lieben, was sie tun.
Miya Tokumitsus Text widmet sich der innewohnenden Heuchelei von Aphorismen wie „Tu, was du liebst“ oder „Wenn du magst, was du tust, musst du nie arbeiten.“ Sie sieht darin einen Trick, der eine Flut von freiwilliger Selbstausbeutung und letztlich auch eine Abwertung verschiedenster Arbeitsbereiche zur Folge hat. Ist man ein schlechterer Mensch, wenn man seine Arbeit nicht liebt? Drückt sich Liebe in bedingungsloser Hingabe, in Qualität, in Pflichtbewusstsein aus? Wer legt das fest? Fragen wie diese, und andere, verhandelt der Text.
Sam Gindin legt in seinem Text „Den globalen Kapitalismus beseitigen“ eine Liste mit neun Dingen vor, die einem helfen, sich im Bauch der Bestie zu organisieren, von der Mikro- bis zur Makroebene; der Text punktet vor allem durch seine Klarstellungsrhetorik.
Der folgende Beitrag von Adam Stoneman ist eine ebenso klare Stellungnahme, die sich gegen den Geltungskonsum von Rich Kids auf Instagram richtet, dessen Wurzeln er bis in 18. Jahrhundert (zu Ölgemälden, auf denen die bessere Klasse abgebildet ist) zurückverfolgt.
Keeanga-Yamahtta Taylors Beitrag schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Walter Benn Michaels im ersten Interview. Auch er sieht die Emanzipation von Minderheiten, besonders der afroamerikanischen Bevölkerung, als etwas, dass sich nicht von der Suche nach einer allgemeinen Lösung für soziale Fragen trennen lässt. Er zitiert Martin Luther King, der in seinem letzten Gespräch mit Harry Belafonte sagte:
Wir haben lange und hart für die Integration gekämpft, was in meinen Augen richtig ist, und ich weiß, dass wir gewinnen werden. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass wir uns in ein brennendes Haus integriert haben.
Zwei letzte Highlights: als erstes der Text von Charlie Post, der in „Wie Donald an die Macht kam“ seiner Überzeugung Ausdruck gibt, dass es vor allem eine enthemmte, unter den Folgen der neoliberalen Ordnung leidende Gruppe von Mittelschichtlern war, die Trump an die Macht gebracht hat – aus Furcht vor dem sozialen Abstieg ergriffen sie die Gelegenheit, einen Mann zu wählen, der versprach, für weniger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und für eine bessere Lage der amerikanischen Wirtschaft allgemein zu kämpfen.
Auch wenn das Argument als alleinige Begründung wohl nicht greift, offenbart es einen wichtigen, immer wieder problematischen Effekt in neokapitalistischen Gesellschaften: Die Menschen, die in ihnen leben, stellen meist nicht die generelle Verteilung des Wohlstands infrage, sondern fürchten nur, dass ihr eigener Anteil an diesem Wohlstand sinken könnte. Sie glauben, sie müssten gegen die sein, die ihren Platz in der Hierarchie einnehmen könnten – statt zu begreifen, dass die Hierarchie das größte, vielleicht sogar einzige Problem ist.
Das zweite Highlight ist ein Interview mit Bernie Sanders, das ebenso wie das erste ausgewogen und kritisch daherkommt und Sanders als einen klugen Denker, eine große Persönlichkeit zeigt, aber eben auch als einen schon auf seine Themen und Positionen eingeschworenen Menschen.
Allen muss die Wirtschaft nutzen, nicht nur den Reichen. (Bernie Sanders)
Diese Anthologie liefert sehr wichtige Beiträge zu aktuellen Debatten, vor allem was Kapitalismus und Neoliberalismus angeht. Jacobin ist zwar ein US-amerikanisches Magazin, aber viele Themen sind in unserer globalisierten Welt auch auf europäische Kontexte anwendbar. Einige Beiträge erschließen sich wohl nicht jeder/m Leser*in – ich zumindest hatte bei einigen Ausführungen zur Wirtschaftstheorie meine Probleme. Dennoch ist es im Kern eine Anthologie, die jede Person lesen kann und man nimmt mit Sicherheit immer etwas mit.
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