Österreichische Geschichten
Dass der österreichische Umgang mit der Vergangenheit mitunter von Widersprüchlichkeiten geprägt ist, ist bekannt. Von Kulturschaffenden wurde das Phänomen wiederholt thematisiert, mitunter begleitet von bemerkenswerten Kontroversen – oder besser gesagt: Anfeindungen –, man denke an die Plakatierung der FPÖ aus dem Jahr 1995, als den Passanten in Wien und anderenorts der Slogan „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk … - oder Kunst und Kultur?“ entgegengeschleudert wurde. In der Literatur zählen Elfriede Jelinek und Robert Menasse zu denjenigen, die in ihren Werken am klar den österreichischen Verdrängungsreflex in Bezug auf den Nationalsozialismus anprangern, etwa in dem verstörenden Roman „Die Kinder der Toten“ (Jelinek 1995) oder in Menasses „Die Vertreibung aus der Hölle“ (2001).
Luis Stabauer reiht sich ein in diese Tradition, die die Geschichte nicht einfach Geschichte sein lassen möchte. Sein Roman „Die Weißen“ ist, ähnlich wie „Die Vertreibung aus der Hölle“, eine geschickt angelegte Parallelerzählung, in der Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verknüpft werden.
Die Protagonisten des Romans heißen Franzi und Ernst, sie erzählen rückblickend und kapitelweise in der Perspektive changierend die Geschichte ihres Lebens, die zugleich eine österreichische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist die Zeit des Nationalsozialismus, als Ernst nach der Ermordung seiner Eltern durch die Austrofaschisten in Franzis Familie aufgenommen wird und die beiden sich unter den Decknamen Erich Mühsam und Rosa Luxemburg der Widerstandsgruppe „Die Weißen“ anschließen. Mit Auffliegen der Gruppe verlieren sie sich jedoch aus den Augen, erst 65 Jahre später führen sie ihre Lebenswege wieder zusammen – und sie erfahren, wie sie die Nazi-Zeit und den Krieg überstanden haben, und wie es ihnen danach ergangen ist.
Luis Stabauer ist mit „Die Weißen“ ein bemerkenswerter Parforceritt durch die österreichische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts gelungen; sowie ein literarisches Projekt, das schon aufgrund seiner Ambition Respekt verdient, wenngleich dem Verfasser an einigen Stellen die Darstellung etwas zu ausufernd geraten ist und die eine oder andere Verkürzung dem Roman gutgetan hätte.
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