Fragmente einer Sprache der queeren Liebe
Was passiert, wenn Intellektuelle sich verlieben? Sie schreiben darüber, in ihrer verkopften, intertextuellen und poetischen Art. So hat es die Autorin Maggie Nelson in ihrem Essay-Band Argonauten gemacht. Queeres Schreiben, das Schreiben aus einer queeren Biographie heraus, ist immer auch irgendwo persönliches Schreiben. Queeres Schreiben lebt geradezu davon, dass es aus Erfahrungen schöpft und diese als Deutungsmuster anbietet. Zugleich ist queeres Schreiben auch immer ein Ringen mit Identitäten und ein Kampf gegen herrschende Zustände.
Für diesen Kampf hat sich Nelson verbündete in ihr Argonauten-Boot geholt: von Bekannten aus der Queer Theory wie Judith Butler oder Eve Kosofsky Sedgwick, post-strukturalistische Denker wie Foucault oder Roland Barthes oder den Psychoanalytiker Donald Winnicott: Nelson zieht viele Stränge zusammen. Markiert sind die Zitate, die nahtlos in ihren Text kursiviert markiert eingehen, durch die Nennung der Autoren an den Rändern des Texts. (Eine Zitationsform, die auch Roland Barthes in seinen Fragmenten einer Sprache der Liebe nutzt, wenn er sich durch die Kulturgeschichte zitierend mit der Frage beschäftigt: Was ist eine Sprache der Liebe?) So gespickt mit Zitaten und Referenzen springen wir durch die Gedanken und die Biographie von Nelson, die sich in diesem erzählenden Essay vor allem auch um die Liebe zum Künstler Harry Dodge dreht. Nelson gelingt das Portrait einer queeren Familie: von der platzenden Plazenta bis zur Testosteron-Injektion, von der Zärtlichkeit gemeinsamer Diskussion bis zu harten Debatten über die Transition eines Partners.
Harry Dodge, der in diesem Essay neben der erzählenden Nelson, zum Hauptcharakter wird, befindet sich in Transition. Von wohin nach wohin, das ist eigentlich egal. Geschlechtsidentitäten, das Eins sein mit dem zugewiesenen Geschlecht, ist in der Familie von Nelson und Dodge bereits überwunden. Dodge, der Nelson noch vor der Transition kennenlernte, identifizierte sich von je her als Butch. Der Begriff steht für eine maskuline Spielart von Geschlecht, ohne dabei in die Falle zu tappen, von einem “Mann” zu sprechen. Butch, das kann auch eine maskuline Frau sein. Butch ist, was die Person, die sich damit identifiziert, daraus macht, denn “auch genital identische Geschlechtsakte bedeuten für verschiedene Menschen viele verschiedene Dinge”, wie Kosofsky Sedgwick zitiert wird. Weiter merkt Nelson selbst an, dass dieser Grundsatz “uns in Erinnerung ruft, dass genau dort, wie wir eine Verbindung suchen und erwarten, auch ein Unterschied liegt.”
Für alle, die sich nicht im Kanon von queer- und gendertheoretischen Zitaten und Denkweisen auskennen, geht zwar eine Textebene verloren, aber dennoch gibt der Text auch diesen Lesern viel Handwerkszeug mit. Der Text zeigt, wie queere Familien funktionieren. Wie queere Liebe ein ständiger Dialog ist, in den auch noch eine ganze Gesellschaft ihre Meinungen einmischt. Und wie nervig es sein kann, wenn man selbst oder Angehörige in die starren Kostüme von binären Geschlechtsidenitäten gezwängt werden. Auf einem Abendessen stellt eine Bekannte, gleich zu Beginn ihrer Beziehung, die Frage: “Hattest du vor Harry schon andere Frauen?”, und Nelson ist sprachlos: “War Harry eine Frau? War ich eine Heterofrau?” Sie kann diese Verwirrung nicht auflösen, der Absatz endet mit der Frage, wann Harry endlich von der Toilette zurück kommt. Es ist die Gleichzeitig des Banalen, des Alltäglichen und des manchmal verkopften, manchmal verliebten queeren Begehrens, dass Argonauten so schön macht. Dabei schafft es die deutsche Übersetzung das Saloppe aus dem amerikanischen in ein sonst eher an Trockenheit gewohntes Deutsch zu holen.
Absatz um Absatz, ganz ohne Kapitel, springen wir durch Zeiten und Momente im gemeinsamen Leben dieses Paares. Dabei ist Nelsons Portrait der Beziehung so schön und so poetisch, weil es sich nicht nur den Kampf auf die Fahne geschrieben hat, sondern die Weichheit und die Vulnerabilität. Sie legt offen, was schmerzt und betastet, statt zu stochern. Sie gibt zu, wenn auch sie nicht weiter weiß und sie macht klar, dass wir das gar nicht müssen. So auch, wenn sie sich Sorgen um die Folgen von Testosteron macht. Die Behandlung geht ihrer Meinung nach mit schwierigen Risiken einher – Harry entgegnet ihr, dass diese Risiken jeder “Bio-Mann” tragen müssen. Auf dieses Argument hin gibt Nelson sich geschlagen.
Fluide ist in diesem Text nicht nur die Verortung von Geschlecht, fluide ist auch das Genre dieses Textes selbst. Passagen lesen sich wie eine persönliche, gelebte Einführung in die Praxis von Gender Studies. Andere wiederum sind das Memoir einer amerikanischen Akademikerin. Und dann sind wiederum diese Passagen, die die Familiengeschichte einer queeren Familie zeigen. Der Text muss sich gar nicht einordnen lassen, er muss gerade dieser Ordnungssucht widerstehen, wenn er bestehen will. Er macht damit, was gute Literatur macht: das eigene Programm in die Praxis umsetzen. Und so gewinnt der Text noch eine weitere Dimension: er wird politisch.
Dieses Politische macht den Text umso interessanter, entsteht er doch zu einer Zeit, in der die Homosexuellen-Bewegungen in den meisten westlichen Ländern den Zugang zu bürgerlicher Institutionen erhalten haben. Das spaltet die Debatten: Auf der einen Seite gibt es radikale Forderungen nach einem Ende der Ehe als solche, auf der anderen Seite eine harsche Verteidigung der gerade gewonnenen Privilegien. Auch Nelson ist sich nicht sicher, wollte sie doch selbst nie heiraten, oder Kinder bekommen. Jetzt, in ihren 40ern, ist sie verheiratet, Mutter zweier Kinder (eines adoptiert, eines trägt sie selbst aus). Sie selbst erlebt den Clash von politischem Anspruch und Lebensrealität, von politischem Begehren und gelebter Beziehung. Und genau diesen Widerspruch buchstabiert Nelson wunderschön für uns aus. So endet die Danksagung in einem poetischen Seitenhieb auf Deleuze und Guattari, wenn Nelson anmerkt, dass eine Vermählung letztlich ein “immerwährendes Werden” sei. Schöner wurde queere Liebe nie beschrieben.
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