Griechische Trotzköpfe
In der Einleitung schreibt die Herausgeberin Maria Topali, dass die griechischen Lyriker und Lyrikerinnen, "die gegen Ende des vergangenen Jahrtausends [oder später] debütierten" "ein Beharren, Insistieren, ein Trotz, eine Hartnäckigkeit, ein gewisser Biss verbindet". Diese Gemeinsamkeit hat dieser Anthologie, die über hundert Gedichte von mehr als fünfzig Dichtern enthält, ihren Titel gegeben. Wobei auf der Buchrückseite der griechische Originaltitel angegeben ist: Πείηση με πείσμα, also "Poesie mit Trotz", was meines Erachtens sogar noch besser gepasst hätte.
Um Gemeinsamkeiten dieser Dichtergeneration herauszuarbeiten, wurden "Tags zur ersten Kategorisierung der Thematiken, mit denen sich die neue Lyrik beschäftigt" erstellt, insgesamt 29 Begriffe bzw. Begriffspaare: "Geographie * Migration (studentische/wirtschaftliche/aus und nach Griechenland) * Provinz/Stadt * Liebe * homoerotische Liebe * Beziehungen in der Familie * Mutter * Mutterschaft * Vater * Sohn/Mutter * Tradition * Globalisierung * Internet * Kunst * Technologie * Lyrik * Identität * Religion * Philosophie * Heimat * Griechenland * Macht * Holocaust * Humor * Trauer * Reise * Terrorismus * Aufstand * Griechenlandkrise". Es wurden also Dichter bzw. deren Gedichte gesucht, die sich mit mindestens einem dieser Tags beschäftigen. Da diese lange Liste aber schon ziemlich allumfassend ist, spüre ich da schon eine gewisse (postmoderne) Beliebigkeit. Für mich war es nicht offensichtlich, bei den ausgewählten Dichtern eine gemeinsame Sprache bzw. einen gemeinsamen Code zu erkennen. Gerade weil auch die versammelten Gedichte in ihrer Art und Machart so sehr unterschiedlich sind, was auch die Herausgeberin zugibt: "Die lyrischen Konzepte und insbesondere die Formensprache der Lyriker und Lyrikerinnen, die Aufnahme in die Anthologie fanden, variieren ganz erheblich." Es gibt aber noch eine weitere Klammer: "die Zeitschrift Ποίηση [Dichtung], später Ποιητική [Poetik] von Haris Vlavianos [...] vereinte unter ihrem Dach viele, wenn nicht die meisten der in dieser Anthologie vertretenen Dichter".
Ein wichtiges Thema der Anthologie ist die Griechenlandkrise (das letzte Tag). Auf der Buchrückseite wird sogar gemutmaßt, dass die Dichter dieser Anthologie die griechische Krise teilweise vorweggenommen haben. Zumindest aber "ihre Kontur [...] sich deutlich vor dem Ausbruch der griechischen Schuldenkrise" abgezeichnet hat. Und so finden sich auch einige schöne Beispiele im Buch.
Ein Gedicht ohne Titel von Giorgos Prevedourakis von 2013 fängt so an:
"Schlägermutter Saloniki
mit leeren Kalaschnikows rächen sich an dir
heimkehrende Banditen aus Odessa
[...]
auf neuorthodoxen Lastdreirädern marodieren
die Messgewänder"
Von Kiriakos Sifiltzoglou steht in dem Gedicht Dem unbekannten Patrioten von 2007 oder 2015:
"Mutter Heimat
ich tue dir nicht Unrecht
du bist eine Hündin
[...]
dieses süße Leben ist es
das Brandsätze legt
und die Ärzte schlagen
keine Behandlung vor
[...]
Mutter Heimat
ich tue dir nicht Unrecht
du bist eine Hündin
du hast mich großgezogen und dabei
auf den Hund gebracht"
Von Georgia Triantaphyllidou das Gedicht Zeitgeschehen von 2008, in dem es heißt:
"und während das Land sich küsste wie zum Tod
mit ein paar hartnäckigen Politikern
auf den Titelseiten"
Aber auch die Globalisierung (auch eines der Tags) ist ein wichtiges Thema. So heißt es bei Orfeas Apergis in seinem Gedicht »Die Wurzel im Meer«:
"– die Natur ist eine jungfräuliche,
schwarze Afrikanerin
von altererbtem weiblichem Gebaren,
wir stellen sie jedes Mal ein auf uns zu achten,
bezahlen sie,
fordern,
und sie hört nicht darauf,
wir sprechen unsere Sprache die sie nicht versteht"
Oder bei Nina Rizou:
"im globalen Universum
arbeitet eine Uhr
[...]
du zählst viel
wirst weiterhin zählen
bis du Ziffer wirst"
Da diese Anthologie griechische Dichter versammelt, von denen übrigens eine überwältigende Mehrheit in Athen lebt, ist Griechenland selbst natürlich ein Thema: "Ja, in der neuen Lyrik des 21. Jahrhunderts kann man mit ziemlich großer Genauigkeit das heutige Griechenland lesen (Tags)." Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass es vielerlei Anspielungen auf und Beschäftigung mit der griechischen Antike gibt. Als Deutscher ist es sinnvoll, bei manchen einem unbekannten Worten nachzuschauen, zum Beispiel bei "Laertes", "Symplegaden" oder "Chryse", denn dabei handelt es sich oftmals um Figuren oder Ähnliches aus der griechischen Mythologie.
Aber ein wesentlicher Punkt bei den Gedichten dieser Anthologie, und wahrscheinlich bei Gedichten überhaupt, ist es, sich an der Sprache abzuarbeiten sowie sich als Dichter selbst zu verorten. Hierfür ein paar Beispiele:
Milena von Vangelis Intzidis:
"Wir haben verbotene Früchte aus
Wörtlichkeit gekostet"
Gedicht ohne Titel von Dimitra Kationi:
"meine Krankheit heißt
Wörtlichkeit"
Die Mädchen in Edessa von Stathis Kephalouros:
"Ein Dichter wird aber sein
wer das Meer und seine Fische in Ruhe lässt
und hoch hinaufgeht nach Makedonien
dahin, wo die Erzbergwerke des griechischen Herzens liegen.
Wir haben Dichtung, Dichter nicht nötig"
Vielleicht bedeutet von Dimitris Leontzakos:
"das Gedicht schreibt dich
es schreibt dich andauernd
da du sonst nicht lebst."
Das Gedicht Nekrophanie von Patricia Kolaiti (Nekrophanie = Erscheinung von Leichen oder Toten) erinnert in seinem Rhythmus und Schwung an ein Rembetiko-Lied:
"Ach! Porzellanpuppe
Weißes Spielzeug des Todes
Unter deiner gefrorenen Haut
Schnell
Und heiß
Fließt das Blut."
Des Weiteren findet man in diesen Gedichten wirklich gelungene poetische Bilder, wie "die Sanduhr der Zeit", "die Sanduhr unseres Lebens", "möge also / ein Windchen wehen / damit das Hirn einen Spaziergang macht" oder auch das "Wörterbuch für unerwartete Sorgen".
Wer sich also einen guten Überblick über die aktuelle Dichtkunst in Griechenland verschaffen will, dem kann ich diese Anthologie sehr empfehlen. Auch wenn sie natürlich längst nicht alle aktiven griechischen Dichter berücksichtigen konnte.
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