Angeblich neue Ideen zur Einwanderungsgesellschaft
Mark Terkessidis Bändchen greift eine wichtige Frage auf: Was soll nach der Einwanderung kommen? Dazu verspricht er neue Ideen.
Dem folgt erst einmal Zahlenmaterial, was gar nicht schlecht ist, weil abregend: 18 Millionen Zuzüge und 13 Millionen Fortzüge für die BRD zwischen 1965 und 1990 und 23 Millionen Zuzüge und 17 Millionen Fortzüge von 1990 bis 2014 lassen die Ströme derzeit weniger erschreckend wirken. Daß manches Problem aus naiven und dann frustrierten Erwartungen einerseits und andererseits noch mehr schlichter Fremdenfeindlichkeit sich ergab, muß man auch sehen. Daß dies wiederum daher rührt, daß die offizielle BRD Einwanderung als Thema bis vor 20 Jahren ignorierte, hängt damit zusammen.
Darauf gibt es Theorien: der „kosmopolitane Baldachin“ – klingt gut, „die Fliehkräfte lassen ein vages Gebilde zurück“, und zwar von der Gesellschaft … aber auch von der Theorie… Daß der Autor den Begriff Interkultur verwendet, aber einräumt, es gebe „starke Argumente“, stattdessen Diversity oder Inklusion zu sagen, „das meine doch ohnehin das Gleiche“, ist da auch nicht so formuliert, daß man Erwartungen an ihn als Theoretiker dann noch hätte. Wobei: daß in der Inklusion alles „doch ohnehin das Gleiche“ sei, das wäre schon fast eine Pointe.
Danach gibt’s noch beliebige Überlegungen zu den „Kommunikationskanälen“ und anderen Hindernissen, wobei man bitte vor „misslungener Öffnung“ sich hüten solle – wofür das Schauspiel Köln als Beispiel herhalten muß, wo man eine Quote festschrieb: „30 Prozent Schauspieler[n] mit Migrationshintergrund“, die dann aber nicht spielen durften, weil die v.a. bösen Gastregisseure Rollen doch nach anderen Kriterien vergaben. Und wo sie doch spielen sollten, da „wurden sie »ethnisch« besetzt und damit komplett instrumentalisiert: Was könnte schlimmer sein als eine »authentische« Besetzung in einem Betrieb, der ja eigentlich darauf basiert, dass Leute etwas anderes darstellen als sie selbst?“ – Ja, das klingt ganz übel; aber eigentlich ist Terkessidis' Zuschreibung rassistischer als das, was er beklagt, denn etwas anderes als sie selbst würden sie schon darstellen, Jamie Foxx ist kein Pistolero und Samuel L. Jackson nicht das Faktotum eines Sklavenhändlers, aber in der Lesart Terkessidis' sind beide in Django Unchained (US 2012) sie selbst, weil … tja … und die Alternative wäre übrigens bei dieser Geschichte Blackfacing gewesen.
Nach diesem Muster zerfällt das Buch, ein Reflex hier, sowas wie Empathie da, dazu Assoziationen zu statt Kevins dem durch seinen Namen schon quasi diskriminierten „Mehmet“ … aber im Grunde ist der Autor nirgends in der Lage, mehr als dies zu sagen: daß Einwanderung schon lange besteht, oder sogar immer schon, irgendwie, daß sie ganz schön kompliziert, aber machbar ist … und, tja, jetzt viel Glück!
Ein verzichtbarer Band, und das ist bei diesem Thema sehr bedauerlich.
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