Was spricht, wenn wer spricht? Bourdieus Kultursoziologie
Pierre Bourdieus Grundidee, jedem einschlägig Interessierten wohl aus Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft bekannt, ist einfach, aber ungemein hilfreich und von ihm findungsreich auf vielerlei angewandt worden: Kapital umfasse neben dem, was Kapital üblicherweise meine, auch Bildung – Ausbildung plus vor allem distinktive (Herrschafts-)Techniken samt Habitus – sowie Beziehungen.
Das ist offensichtlich richtig, erst eine komplexe Gesellschaft, die der Kooperation der Bürger bedurfte, billigte ihnen Kapital zu, aufgrund dann auch der (erhofften) Beziehung mit ihnen und wegen ihrer Fähigkeiten, die ins Herrschaftstechnische zu reichen begannen, seitdem läßt sich jedes System so beschreiben, etwa der Kapitalismus des einstigen Ostblocks, der nicht marxistisch war, sondern der Versuch, den Kapitalismus auf Basis zweier Kapitalarten fortzuführen und das eigentliche Kapital als das aller dann so aufzuwenden, wie die 2/3-Kapitalisten es wollten ... samt Korruptionseffekten, natürlich, etwa eben heimlichen Schwächen für Devisen...
Öffentliche Schule? Ausbildungsstätte, die Kompetenz vermittelt, wo die Gesellschaft restriktiv ist, im Gegensatz zu privaten Bildungseinrichtungen, wo Kapital ermöglicht, Herrschaftstechniken (Grammatik, beispielsweise) und Beziehungen zu erwerben. Das ganze Schulsystem ließe sich mit Bourdieu verstanden besser gestalten: als Bildungserwerb, dann lebensfern, in Hochsprache, ohne Kompetenzen und Simulationen oder gar Glückskompetenz. Wer das als verstaubt denunziert, ist entweder verblödet oder auf einer Gehaltsliste.
Sprache – Schriften zur Kultursoziologie I – zielt hierauf. Nichts Neues also, aber vielleicht doch für jene, die Bourdieu nicht hinreichend kennen oder nicht auf aktuelle Situationen beziehen können, eine wesentliche Lektüre ...
... wobei eine Passage erstaunt, die hier kurz umrissen sei. Kokettierte Bourdieu zuweilen damit, daß er aus eher einfachen Verhältnissen zum Großordinarius wurde, was aber das Maximum gewesen sei, höher hinaus wäre es nicht gegangen, wegen des mangelnden Kapitals, so rutscht er in einem dieser Texte gehörig aus, und zwar, indem er ein Ressentiment der einfachen Schicht übernimmt, nämlich die Herrschaftstechnik Sprache nur als distinktiv beschreibt: So reden die da oben. – Ihm zufolge sei die Sprache der Herrschaft eine dekadent-„schwächelnde”, das entspreche ihren „Funktionen der Legitimierung durch Distinktion”, fertig ist die Erklärung, wogegen aber, nun wird’s besonders klein- und bildungsbürgerlich, die ihm zu dürftige „Rechtschreibung der Adligen” schon fast ein Argument sei. Daß Sprache als Abbildung und Universalisierung oder auch Verschleierung von Verhältnissen vielleicht von jener Raffinesse sein muß, die also bloß außerdem distinktiv ist, übersieht oder bagatellisiert Bourdieu.
Dennoch sind er und sein Ansatz natürlich wichtig, wie auch dieses Buch insgesamt erhellend ist.
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